Der Ruf nach dem Staat

Erschienen am 8. September 2008

Als vor zwei Monaten die ersten Nachrichten über die Schieflage der beiden US-Hypothekenriesen kamen und deren Aktienkurse stark einbrachen, schrieb ich in meinem Kommentar der IMMOBILIEN NEWS 29-08: „Beide Gesellschaften stehen kurz vor dem Ruin – aber diesen Ruin wird es natürlich nicht geben, weil sonst der Finanz- und Immobilienmarkt in den USA komplett zusammenbrechen werden. Also wird – wieder einmal – der Staat eingreifen. Ich vermute, beide Banken, die schon bislang mit Staatsgarantien gearbeitet haben, werden nun in der einen oder anderen Form faktisch oder auch formell verstaatlicht. Dabei war gerade die Staatsnähe der Banken eine Ursache für ihr Versagen. Wie grandios nicht selten gerade quasi staatliche Banken agieren, davon haben wir in Deutschland mit der IKB und den Landesbanken gerade ein Lehrstück vorgeführt bekommen. Staatliche Lösungen sind kurzfristig vielleicht unvermeidbar, aber langfristig werden sie dazu führen, dass sich die Probleme auf einer höheren Stufe kumulieren werden und zudem die Wirtschaft und das Finanzsystem massiv an Effizienz verlieren.“

Nicht nur in Deutschland, auch in den USA wird der Ruf nach mehr staatlicher Regulierung des Finanzwesens immer stärker. George Soros schreibt in seinem soeben erschienenen Buch „The New Paradigm for Financial Markets. The Credit Crisis of 2008 and what it means“, die freie Marktwirtschaft habe versagt und der Staat müsse künftig das Finanzwesen international streng regulieren. Zu der gleichen Folgerung gelangt ein soeben erschienenes Buch von Wolfgang Köhler mit dem Titel „Wall Street Panik. Banken außer Kontrolle“. Der Autor fordert in seinem (im Übrigen sehr interessanten, kenntnis-reichen und lesenswerten) Buch eine „stringente, effektive und effiziente Überwachung der Banken“ und eine sehr viel stärkere Rolle des Staates.

Auf den ersten Blick scheinen diese Forderungen plausibel. Angesichts des Versagens zahlreicher Bankmanager, die ihre eigenen Produkte nicht mehr verstanden haben und blind einem Herdentrieb folgten, als sie mit höchstem Leverage in immer komplexere Finanzinstrumente investierten, drängt sich die Forderung nach mehr staatlicher Regulierung auf. Ich bin jedoch in dieser Beziehung skeptisch – und empfehle jedem die Lektüre des ausgezeichneten Buches „Teufelskreis der Finanzmärkte – Märkte, Hedgefonds und die Risiken von Finanzinnovationen“. Der Autor des soeben in deutscher Sprache erschienenen Werkes, Richard Bookstaber, ist einer der besten Kenner des US-Finanzsystems. Er war über viele Jahre für Risikomanagement und quantitatives Research bei Banken wie Salomon Smith Barney, Citigroup und Morgan Stanley zuständig. Als Resümee seines Buches schreibt er: „Bemühungen, die auf zusätzliche Sicherheitsmerkmale, Regulierungen und Vorsichtsmaßnahmen gerichtet sind, erhöhen nur die Komplexität des Systems und steigern die Unfallhäufigkeit.“ Und: „Wenn Regulierungsversuche in einem komplexen System überhaupt etwas bewirken, dann höchstens eine Verschlimmerung.“ Seine mit vielen guten Argumenten begründete Befürchtung sollte all jenen zu denken geben, die jetzt reflexartig nach staatlicher Regulierung rufen.

Die Hoffnung, der Staat werde es besser machen als die Manager privater Banken ist absurd. Gerade erst haben wir in Deutschland erlebt, dass die staatlichen Banken diejenigen waren, die den schlechtesten Job gemacht haben. Parteienvertreter in den Aufsichtsräten, die nicht die geringste Ahnung vom Business haben, sind bestimmt keine Garantie, um Katastrophen wie die jetzige Finanzkrise zu verhindern. Und es wäre zudem nicht das erste Mal, dass staatliche Regulierungen genau das Gegenteil dessen bewirken, was intendiert ist.

Der oben zitierte Autor Wolfgang Köhler versucht in seinem Buch den Nachweis zu führen, dass eine immer stärkere Deregulierung des Finanzsystems in den USA die wichtigste Ursache für die jetzige Krise sei. Aus dieser Diagnose folgt dann die logische Therapie, nämlich ein Plädoyer für eine stärkere staatliche Regulierung.

Ich halte die Diagnose jedoch für falsch. Der Ursprung der jetzigen Krise lag genau im Gegenteil, nämlich in dem massiven Versuch der Fed, die Gesetze des Marktes auszutricksen und in Folge des Platzens der New Economy-Blase und des 11. September durch drastische Zinssenkungen die Finanzwelt mit Liquidität zu überfluten. Zudem setzte der amerikanische Staat durch zahlreiche Förderprogramme, steuerliche Anreize und durch die halbstaatlichen Institutionen Fannie und Freddie falsche Impulse und schaffte Rahmenbedingungen, die entscheidend zu der Fehlentwicklung am US-Hausmarkt beitrugen. Die soziale Utopie, jeden Amerikaner zum Eigenheimbesitzer zu machen, und zwar auch jene Bevölkerungskreise und Personen, die dazu eigentlich überhaupt nicht in der Lage sind, war eine der Ursachen für die jetzige Krise.

Alan Greenspan schreibt in seinen Memoiren: „Mir war bewusst, dass die Lockerung der Bedingungen für Subprime-Kreditnehmer die Risiken an den Finanzmärkten erhöhen würde. Ich glaubte aber damals wie heute, dass die Vorzüge eines breiteren Wohneigentums das Risiko wert waren.“ Der Beinahe-Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems als angemessener Preis für die sozialpolitisch wünschenswerte Erhöhung der Wohneigentumsquote in den USA um einige Prozentpunkte?! Übrigens dürfte die Wohneigentumsquote in den USA jetzt aufgrund der zahlreichen Zwangsversteigerungen schon bald deutlich zurückgehen – ein weiteres Beispiel dafür, wie staatliches Handeln in der Konsequenz oftmals das Gegenteil des Intendierten bewirkt.

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass etwa zwei Jahrzehnte nach dem Untergang des Sozialismus und dem Versagen der Staatswirtschaft diese als Lösung für die aktuellen Probleme empfohlen wird. Die Marktwirtschaft befindet sich derzeit weltweit in der Defensive: In Russland werden Betriebe faktisch wieder verstaatlicht, die USA verstaatlichen die beiden größten Banken – und überall wird der Markt zum Sündenbock für die Probleme gemacht. Ein Land mit einer so starken etatistischen Tradition wie Deutschland ist für solche „Problemlösungen“ natürlich besonders anfällig.

Sollte sich die Finanzkrise weiter verschärfen und die Realwirtschaft massiv in Mitleidenschaft ziehen, dann werden die deutschen Parteien fast unisono nach „mehr Staat“ rufen. Und diejenigen, die dies am lautesten und konsequentesten postulieren – nämlich die Vertreter Linkspartei – werden bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einen bislang nicht für möglich gehaltenen Zulauf erhalten.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.

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