Die Immobilienbranche unterschätzt das Internet

Erschienen am 8. September 2014

1995, damals war ich noch Ressortleiter bei der Tageszeitung DIE WELT, bat mich mein damaliger unmittelbarer Vorgesetzter, Chefredakteur Dr. Mathias Döpfner, die Leser unserer Zeitung auf „Welt-online“ vorzubereiten und ihnen die Bedeutung des Internets zu erklären: „Wir werden bald online gehen, denn da liegt die Zukunft“. Ich erinnere mich noch sehr gut an dieses Gespräch vor fast zwei Jahrzehnten und an die Begeisterung, mit der ich dann einige Jahre später als „Ressortleiter Immobilien“ der WELT dieses Medium nutzte – für Chats zwischen Lesern und Steuerberatern oder einfach nur, um Dokumente einzustellen, die zu umfangreich gewesen wären, um sie in der Printausgabe abzudrucken. Mathias Döpfner wurde dann bald Vorstandsvorsitzender der Axel-Springer AG und hat das Unternehmen seitdem konsequent auf das Internet ausgerichtet. „Wie hältst du es mit dem Internet – das ist die Schlüsselfrage heute“, erklärte er immer wieder.

Zur gleichen Zeit (1998) startete Immobilienscout24. Ich kann mich noch an die Reaktionen in der Branche erinnern: Zweifel und Skepsis überwogen: „Brauchen wir das? Das ist doch nur so eine Mode.“ Das war die überwiegende Reaktion. Heute denkt niemand mehr so – mit Blick auf Immobilienscout. Jeder inseriert dort, es ist zum selbstverständlichen Marktplatz geworden.

Aber die Skepsis gegenüber dem Internet in der Immobilienbranche ist geblieben. Die meisten Firmen widmen sich dem Thema allenfalls halbherzig. Bei ihren Kindern haben sie gemerkt, dass Facebook & Co wichtig sind. Also bitten sie die junge Praktikantin oder die Sekretärin, sich mal ein wenig um die Facebook-Seite zu kümmern. Das Internet als Chefsache und als strategische Herausforderung für das Unternehmen? Das findet man in kaum einer Firma.

Die Unterschätzung wird zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Wenn ich so an das Thema herangehe, dann „bringt“ es natürlich nichts. Dann kann ich es gleich ganz lassen.

Szenenwechsel: Der Einzelhandel hat die Bedeutung des Themas zunächst auch verschlafen. Aufgewacht ist man durch Amazon und Zalando. Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub ist inzwischen einer der größten Investoren bei Zalando und anderen Unternehmen von „Rocket Internet“. Als ich in New York einige große Buchhandlungen gesucht habe, in denen ich noch vor wenigen Jahren gerne eingekauft hatte, erklärte mir der Taxifahrer bei drei ehemals großen Läden: „Die gibt es nicht mehr, das läuft jetzt im Internet.“ Amazon hat zunächst den Buchhandel revolutioniert. Viele haben das erst verstanden, als es zu spät war.

Jetzt ist die Textilwirtschaft an der Reihe. Das Berliner Unternehmen Zalando hat die Milliardenmarke im Umsatz bereits im vierten Jahr nach der Gründung überschritten. Der Firmenwert heute wird auf vier Mrd. Euro geschätzt, demnächst sollen in einem IPO 750 Millionen eingesammelt werden. Das wäre der größte Börsengang eines deutschen Internetunternehmens seit dem Platzen der Dotcom-Blase. Noch ist allerdings nicht ausgemacht, ob es sich bei Zalando um ein viel zu teuer im Umsatz aufgeblasenes Unternehmen handelt oder um einen zukunftsfähigen Einzelhandelsgiganten im Netz, der auch in der Lage ist, irgendwann einmal profitabel zu arbeiten.

Dahinter stehen drei Brüder, die inzwischen von Berlin aus mehr als 100 Internet-Unternehmen gegründet haben, mit denen sie in über 50 Nationen aktiv wurden und in denen heute rund 25.000 Menschen arbeiten. „Klotzen und nicht kleckern“, ist ihr Motto. Die Immobilienbranche kleckert weiter. Zumindest ganz überwiegend.

Es gibt einige Firmen – ich nenne da zum Beispiel unsere Kunden Skjerven-Group oder Accentro -, die haben das Thema verstanden. Für sie ist die Suchmaschinenoptimierung (SEO) der wesentliche Schlüssel zur Kundengewinnung. Sie akquirieren damit höchst erfolgreich Kunden aus der ganzen Welt, die ihnen Eigentumswohnungen in Berlin abkaufen. Startup-Unternehmen wie realbest (einer der Mitgründer kommt von Zalando) sind ebenfalls an den Markt gegangen, um verstärkt die Chancen des Internet zu nutzen.

Aber in Deutschland muss man mehr Geduld haben als in den USA. Das hat das Unternehmen Auction.com gemerkt, die glaubten, ihre großen Erfolge aus Amerika rasch nach Deutschland transferieren zu können, und das Geschäft schon ein Jahr später wieder einstellten. So funktioniert das mit dem Internet in Deutschland nicht. Die Deutschen sind nun einmal gegenüber neuen Ideen skeptischer als die Amerikaner. Und für die Immobilienbranche trifft dies in besonderem Maße zu.

Dabei gibt es einen geflügelten Satz, der sich immer wieder als richtig herausstellt: Nicht selten wird überschätzt, was mit dem Internet in einem Jahr erreicht werden kann, und massiv unterschätzt, was in zehn Jahren möglich ist.

Denken Sie in der Perspektive von einem Jahr oder von zehn Jahren? Was bedeutet das Internet ganz konkret für Ihr Unternehmen? Haben Sie sich schon intensiv mit SEO auseinandergesetzt? Wenn Sie beispielsweise Asset-Manager für Einzelhandelsimmobilien sind, dann machen Sie doch mal einen Test: Geben Sie den Suchbegriff „Asset-Management Einzelhandelsimmobilien“ bei Google ein. Und schauen Sie, ob Ihr Unternehmen überhaupt auftaucht. Das Unternehmen Redos werden Sie auf der ersten Seite bei Google finden – die Experten unserer Abteilung „Online-Positionierung“ haben hier erfolgreich SEO angewandt. Sie sind Wohnungsprivatisierer in Berlin? Dann geben Sie mal den Begriff „Wohnungsprivatisierung Berlin“ bei Google ein. Ganz oben auf der ersten Seite werden Sie die Unternehmen Skjerven-Group und Accentro finden, übrigens auch zwei Kunden unserer Firma.

Wie das alles möglich ist? Wie so etwas funktioniert? Warum es wichtig für die Zukunft Ihres Geschäftes ist? Das sind Fragen, die jeden Geschäftsführer eines Immobilienunternehmens brennend interessieren müssten! Ich beobachte, dass viele Vorstände und Geschäftsführer – oftmals in meinem Alter, also 50+ – nicht einmal über elementare Grundkenntnisse über Themen wie etwa SEO verfügen. Sie kennen vielleicht noch aus der Steuersparzeit die letzten Feinheiten des Einkommensteuergesetzes oder von Doppelbesteuerungsabkommen (was heute lange nicht mehr so wichtig ist wie früher), aber dem Internet verweigern sie sich oder „delegieren“ das an Mitarbeiter auf der zweiten, dritten oder vierten Ebene.

Fühlen Sie sich angesprochen? Ich lade Sie ein zur BERLINER IMMOBILIENRUNDE am 18. September. Thema: „Chancen im Internet nutzen“. Bitte seien Sie nicht überrascht, wenn Sie hier, anders als bei vielen anderen Veranstaltungen, die wir durchführen, nur sehr wenige andere Teilnehmer treffen. Die meisten Führungskräfte in der Immobilienbranche verschlafen das Thema, und sie werden natürlich nicht dabei sein, weil sie nicht einen ganzen Tag ihrer wertvollen Zeit einem so unwichtigen Thema wie dem Internet widmen wollen. Umso besser für diejenigen, die sich heute damit auseinandersetzen. Die, die das Thema ignorieren, sind die Herties, Kaufhofs und Karstädter von gestern. Die es verstehen, sind die Amazons von morgen.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.