„DIE WELT“ fordert Rücktritt von Merkel als „Totengräberin der EU“

Erschienen am 25. Juni 2016

Es ist ungewöhnlich, dass eine der großen renommierten Qualitätszeitungen in Deutschland auf der ersten Seite den Rücktritt eines Kanzlers fordert – zudem, wenn der Grund dafür auf den ersten Blick nicht in Fehlern liegt, die diesem offensichtlich und direkt zuzuordnen sind. DIE WELT macht jedoch am 25. Juni auf Seite 1 plakativ mit der großen Überschrift auf: „Die Briten haben auch Merkel abgewählt“. Am Schluss des Artikels heißt es dann: „Bevor sie endgültig zur Totengräberin der EU wird, müsste sie sich an David Cameron ein Beispiel nehmen“ – also zurücktreten.

Tut DIE WELT Angela Merkel unrecht? Ist die deutsche Bundeskanzlerin nun Sündenbock für alles und jedes? Nein. Der Brexit ist nur der vorläufige Höhepunkt eines grandiosen politischen Versagens, das später einmal in den Geschichtsbüchern zu dem Urteil führen wird, dass Merkel der schlechteste deutsche Bundeskanzler der Nachkriegszeit gewesen ist. Das habe ich bereits ausführlich in diesen beiden Artikeln begründet:

„Die Ära Merkel“- Aus einem Geschichtsbuch des Jahres 2116

Wie lange noch? Die schlechteste Kanzlerin in der deutschen Nachkriegsgeschichte

Merkel, die im vergangenen Jahr in der bekannten Forbes-Liste als zweit-einflussreichste Person der Welt (vor US-Präsident Obama!) aufgeführt wurde und mit Sicherheit die mit großem Abstand wichtigste und einflussreichste unter den Politikern der EU ist, kann nun nicht zur Tagesordnung übergehen und einfach so tun, als habe sie bzw. ihre Politik nichts mit dem Ereignis des Brexit zu tun.

Im Gegenteil. Es spricht viel dafür, dass die Abstimmung, die ja sehr knapp war, ohne die fatale Einwanderungspolitik von Merkel anders ausgegangen wäre. DIE WELT hat Recht, wenn sie konstatiert: „Der knappe Ausgang, der so vor einem Jahr nicht möglich gewesen wäre, beweist zudem deutlich, dass Angela Merkels Laisser-faire in der Flüchtlingskrise David Cameron die politische Karriere ruiniert hat – und Großbritannien der EU endgültig entfremdete. Die Bilder vom Balkan und die Exzesse von Köln, die der Ukip-Chef Farage stets genüsslich erwähnte, haben über den Brexit entschieden.“

Auch die FAZ konstatiert am 25.Juni auf Seite 1: „Massiv verstärkt worden ist dieses Gefühl der Entmündigung und der Selbstaufgabe durch die Handhabung der Flüchtlingskrise. Den Briten ging schon der Zustrom von Einwanderern aus anderen EU-Ländern zu weit. Auf die deutsche Macht-hoch-die-Tür-Politik im vergangenen Herbst blickte man in England mit blankem Entsetzen. Die Linie der Kanzlerin war mit dem Verständnis nationaler Souveränität in England unvereinbar.“

FDP-Chef Lindner erklärte denn auch: „Angela Merkel und Jean-Claude Juncker haben eine erhebliche Mitverantwortung für die Entscheidung der Briten.“ Ich finde, er sollte in der Konsequenz dieser richtigen Diagnose auch den Rücktritt von beiden fordern.

Lügen-Juncker (ich nenne ihn so, weil er öffentlich aus der Not der politischen Lüge eine Tugend gemacht hat) ist für mich ohnehin der mit Abstand unsympathischste europäische Politiker, der wie kein anderer die Kaste der arroganten Euro-Funktionäre repräsentiert. DIE WELT hat daher Recht, wenn sie schreibt, es wäre schon „ein Treppenwitz, wenn der Demokrat Cameron abtritt, aber der Funktionär Juncker weiter an seinem Schreibtisch hocken bliebe und sogar die demütigenden Austrittsverhandlungen managen dürfte. Wenn die EU sich als Demokratie inszenieren will, dann muss das Europaparlament Juncker jetzt absetzen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Der Brexit ist vor allem für Deutschland eine Katastrophe. Denn ohne die Briten ist die EU für uns sinnlos und vermutlich sogar eher schädlich. Traditionell vertraten die Briten in der EU eine eher liberale, marktwirtschaftliche Politik. Damit waren sie – in der Vor-Merkel-Ära, als Deutschland noch eher marktwirtschaftlich orientiert war – die wichtigsten Verbündeten der Deutschen gegen den Extrem-Etatismus der Franzosen. Künftig wird Italien an die Stelle Großbritanniens treten, und dort herrscht die gleiche Staatsgläubigkeit wie in Frankreich.

Die politische Klasse in Europa hat die berechtigte Kritik der Briten an den Demokratiedefiziten der EU nicht ernst genommen und stattdessen unver-drossen und ideologisch verbohrt die Utopie eines europäischen Suprastaates verfolgt, den jedoch die Menschen in Europa nicht wollen. Dass die EU sich ohne die Briten eher reformieren und demokratisieren wird als mit ihnen, ist eine weltfremde Hoffnung. Ja, die EU wird sich verändern – aber weiter in Richtung Etatismus.

Die Griechen – und mit ihnen Sigmar Gabriel – fordern bereits als Konsequenz aus dem Brexit die endgültige Abkehr von der Sparpolitik und eine verstärkte Schuldenpolitik zum Ausbau des europäischen Wohlfahrtsstaates. Ich kann mir schon gut vorstellen, wie eine Linksfront-Bundesregierung aus SPD, Linken und Grünen gemeinsam mit Franzosen, Griechen und Italienern diese Politik nach den nächsten Wahlen vorantreiben wird. Vorausgesetzt, Frankreich ist dann überhaupt noch EU-Mitglied, denn wenn die Forderung von Le Pen nach einer Volksabstimmung in unserem Nachbarland umgesetzt würde, dann ist klar, wie diese ausgehen würde.


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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.