Diskussion über Superreiche:
Sieben Vorurteile gegen Reiche

Erschienen am 12. März 2017

Reiche und Superreiche lösen starke Emotionen aus. Die meisten Menschen kennen persönlich keine Superreichen, aber haben dennoch eine feste Meinung über sie – und oft keine gute.

In den vergangenen vier Wochen – seit Erscheinen meines Buches „Psychologie der Superreichen“ – habe ich Dutzende Interviews geführt und über tausend Menschen haben auf Online-Foren verschiedener Medien über Reiche diskutiert. Einigen Stereotypen bin ich immer wieder begegnet:

1. Reiche sind durch Betrug reich geworden

Sätze wie: „Die haben ihr Geld entweder geerbt oder ergaunert“ habe ich oft gehört. Wurden Bill Gates, Steve Jobs, Mark Zuckerberg, Howard Schulz, Sergej Brin, Michael Dell, Jeff Bezoz oder Invar Kamprad reich, weil sie skrupelloser sind als andere Menschen? Oder deshalb, weil sie Produkte erfunden und vermarktet haben, die einen großen Nutzen für viele Menschen stiften – den PC, das Iphone, Facebook, Starbucks, Google, Amazon, Ikea-Möbel usw.? Millionen Menschen (sicher auch die meisten Leser dieses Beitrages) nutzen Produkte dieser Unternehmen und haben damit dazu beigetragen, dass diese Menschen reich wurden. Nehmen wir deutsche Beispiele: Die Albrecht-Brüder mit Aldi, Schwarz mit Lidl, Otto mit dem Otto-Versand, Erich Sixt: Alles Betrüger? Oder Leute, die der Gesellschaft einen großen Nutzen gebracht haben und dadurch reich wurden?

2. Reiche haben einfach nur Glück gehabt

Reichtum durch Glück? Ja, das gibt es. Das beste Beispiel dafür sind Lottospieler. Nur: Die meisten verlieren das Geld, das sie durch pures Glück gewonnen haben wieder, weil sie eben weder über die mentalen Fähigkeiten verfügen, reich zu werden noch reich zu bleiben. Umgekehrt gibt es in der Biografie sehr reicher Menschen oft große Brüche, Krisen und Rückschläge: Sie verloren nicht selten hohe Beträge, konnten diese jedoch erneut verdienen, weil sie wussten, wie „es geht“ und über das notwendige unternehmerische Gespür verfügten. Kein Mensch hat im Leben immer nur Glück oder immer nur Pech. Im Laufe eines Lebens gleichen sich positive und negative Zufälle im Großen und Ganzen wieder aus. Es genügt auch keineswegs, auf eine glückliche Konstellation zu treffen, sondern viel wichtiger ist es, die darin liegenden Chancen überhaupt zu erkennen (was nur die wenigsten Menschen können) und diese dann wirtschaftlich erfolgreich zu nutzen und umzusetzen. Ich habe diesem Thema übrigens in meinem Buch ein ganzes Kapitel gewidmet.

3. Reiche kommen aus reichen Elternhäusern

Zugegeben: Aus Arbeiterfamilien kommen die wenigsten Reichen. Aber die wenigsten kommen auch aus reichen Elternhäusern. Das wird durch meine Studie „Psychologie der Superreichen“ illustriert. Diese ist zwar – wie alle qualitativen Studien in der Sozialforschung – nicht repräsentativ, aber in einer Hinsicht waren die Biografien der Superreichen typisch: Die meisten kommen aus der Mittelschicht. Die Eltern waren in den seltensten Fällen reich. Aber es waren viele kleine und mittlere Unternehmer und Selbstständige darunter. Das Vorbild von selbstständigen Eltern hat die Kinder ermutigt und auf die Idee gebracht, sich später selbstständig zu machen. Und wir wissen aus zahlreichen anderen Studien, dass die allermeisten Selfmade-Reichen als Unternehmer zu ihrem Reichtum kamen.

4. Ohne gute Beziehungen wird niemand reich

Das stimmt. Aber falsch ist die Ansicht, dass man diese Beziehungen schon zum Start mitbringen muss. Reiche sind sehr gute Netzwerker. Sie bauen ihre Beziehungen aktiv auf und verlassen sich nicht darauf, wen sie heute bereits kennen. Der beste Netzwerker unter den Hochvermögenden, die ich für mein Buch interviewt habe, kommt aus einer Arbeiterfamilie – und ist damit die Ausnahme unter den Studienteilnehmern gewesen. Er hatte zunächst keinerlei Beziehungen, aber ist heute einer der bestvernetzten Menschen in der Welt der großen Unternehmen und Banken in Deutschland. Das Netzwerk war nicht da, er hat es selbst geschaffen.

5. Reich werden war früher einfach und ist heute viel schwerer

Falsch. Das Gegenteil ist richtig. Vergleicht man die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt vor 30 Jahren mit der heutigen Liste, dann wird man feststellen, dass der Anteil der Selfmade-Milliardäre im Vergleich zu den Erben erheblich gestiegen ist. Niemals in der Geschichte war es möglich, so schnell so viel Geld zu verdienen wie heute im Internet-Zeitalter. Deshalb gab es auch niemals so viele junge Milliardäre und Multimillionäre wie heute.

6. Reichen geht es nur um persönlichen Luxus

Je reicher ein Mensch ist, desto weniger Geld gibt er privat aus, wenn man die Ausgaben als Prozentsatz seines Vermögens betrachtet. Die Vorstellung, ein Milliardär habe Milliardenbeträge auf dem Bankkonto liegen, ist ohnehin ganz falsch. Das meiste Geld steckt in Firmen. Und das Gros des neu erwirtschafteten Geldes wird reinvestiert. Unter den Interviewpartnern meines Buches „Psychologie der Superreichen“ war ein mehrfacher Milliardär, bei dem jedes Jahr mindestens 100 Millionen zu dem Vermögen hinzukommen. Davon gibt er maximal eine Million aus. Eine Menge Geld, aber eben nur 1 Prozent dessen, was neu hinzukommt. 99 Prozent investiert er wieder in seine Firmen. Die in Medien verbreitete Vorstellung, die meisten reichen Menschen verbrächten ihre Zeit hauptsächlich auf Luxusyachten oder damit, ihren gigantischen Fuhrpark zu pflegen, ist falsch. Ja, es gibt Menschen, für die dies zutrifft. Aber die meisten Reichen arbeiten in ihrem Unternehmen oder als Investoren – und die meisten geben sehr viel weniger für Luxusgüter als, sie könnten.

7. Reiche zahlen keine Steuern

Prominente Steuerhinterzieher wie Klaus Zumwinckel (Ex-Vorstand der Deutschen Post) oder Uli Hoeneß (FC Bayern München) haben große Aufmerksamkeit durch die Medien bekommen. Und natürlich sind sie nicht die einzigen, die Steuern hinterzogen haben. Die Steueroasen für Privatpersonen, die es früher gab (so etwa die Schweiz) funktionieren jedoch seit einigen Jahren nicht mehr. Auch legale Steuersparmodelle wurden schon vor vielen Jahren durch Paragrafen wie etwa 15 b des Einkommensteuergesetzes unterbunden. Was es nach wie vor gibt, sind allerdings Steuervermeidungsstrategien durch internationale Großkonzerne wie etwa Amazon oder Google. Diese sollten jedoch nicht mit Steuerhinterziehung durch Privatpersonen verwechselt werden. Die Fakten: In Deutschland zahlt das obere eine Prozent (!) der Steuerpflichtigen 22,2 Prozent der Einkommensteuer, obwohl der Anteil am Gesamtbetrag der Einkünfte lediglich bei 11,6 Prozent liegt. Falsch ist auch die Legende, durch die Abgeltungssteuer von 25 Prozent plus Soli seien diese Personen bessergestellt: Denn als Firmeninhaber haben sie auf Unternehmensebene bereits Körperschaftssteuer und Gewerbesteuer bezahlt, so dass die gesamte Steuerbelastung nach Ausschüttung bei über 47 Prozent liegt – genau wie der persönliche Einkommensteuersatz für Spitzenverdiener.

Psychologische Funktion der Vorurteile

Sind im Umkehrschluss alle Reichen gute und ehrliche Menschen? Natürlich nicht. In allen Gesellschaftsschichten gibt es moralisch und unmoralisch handelnde Menschen, Ehrliche und Gauner, Gierige und Bescheidene. Im Villenviertel ebenso wie im Slum. Aus der Vorurteilsforschung wissen wir jedoch, dass Menschen besonders gerne Vorurteile gegenüber Minderheiten pflegen, wenn sie selbst keinen oder nur wenige soziale Kontakte zu ihnen haben. Zweifelsohne trifft das auch für Reiche zu. Einen Journalisten, der mich für einen Radiosender interviewte und meinte, Milliardäre hätten ihr Vermögen entweder ererbt oder ergaunert fragte ich zurück, wie viele er denn persönlich kenne. Er kannte keinen einzigen.

Was ist die psychologische Funktion der Vorurteile gegen Reiche? Wenn ich mir sage: „Reiche sind alle durch Betrug reich geworden“, dann habe ich eine wunderbare Erklärung, warum ich selbst nicht reich bin: „Ich bin halt nun einmal ein so ehrlicher und moralisch hoch stehender Mensch, deshalb bin ich nicht reich.“ Wer sagt, „Reiche sind nur durch Glück reich geworden“, hat ebenfalls einen einfachen Grund, warum er selbst nicht reich ist: Andere hatten mehr Glück als er. Wer sagt: „Früher war es viel einfacher reich zu werden, heute ist es fast unmöglich“, hat auch eine gute Erklärung: Er lebt halt in der falschen Zeit.

Um es klar zu sagen: Niemand muss reich werden wollen. Obwohl die Tatsache, dass jede Woche etwa 20 Millionen Menschen Lotto spielen (und 80 Prozent der Bundesbürger über 18 Jahren schon einmal einen Lotto-Tippschein ausgefüllt haben) schon dafürspricht, dass der Wunsch reich zu werden, nicht allzu selten sein dürfte. Aber warum soll ich anderen Menschen, die als Unternehmer mit pfiffigen Ideen reich geworden sind, ihren Reichtum neiden? Geht es mir dadurch besser? Ich denke eher, dass der Neidische sich durch seine Missgunst selbst jeder Chance beraubt, einmal reich zu werden. Mit den oben zitierten Lebenslügen und Vorurteilen betrügt er ja vor allem sich selbst.

Vielleicht ist es schlauer, Menschen, die aus eigener Kraft reich geworden sind, genau zuzuhören und sich zu überlegen, was man vielleicht von ihnen lernen kann. Genau das habe ich für meine Studie über die „Psychologie der Superreichen“ getan.


Hier ein aktuelles Radioninterview (13.3.) mit Rainer Zitelmann zum Thema dieses Beitrages:
http://www.mdr.de/mediathek/infothek/audio-321328.html

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.