Griechenland – wie geht es weiter?

Erschienen am 2. Februar 2015

Bürgerliche Politiker haben in der Geschichte stets die Irrationalität von Ideologen unterschätzt. Weil sie es selbst gewohnt sind, erstens mehr oder minder rational zu denken und zweitens vor dem Wahlkampf Versprechungen zu machen, von denen sie danach nichts mehr wissen wollen, projizieren sie dieses Verhalten – fälschlicherweise – auch auf Ideologen wie Alexis Tsipras und seinen linksradikalen Wirtschaftsprofessor.

Die Geschichte lehrt uns: Bevor extremistische Ideologen an die Macht kamen, beruhigten sich bürgerliche Politiker stets damit, es werde nach der Wahl nicht alles so heiß gegessen wie es gekocht wurde. Einmal an der Macht, so die naive Hoffnung, würden die Extremisten bald vernünftig und von ihren wirren Theorien abrücken. Die Wahlkampfparolen würden bald vergessen und eine realistische Politik träte an ihre Stelle.

Nun müssen die europäischen Politiker aus diesen Wunschträumen aufwachen. Die neue, extremistische Regierung in Griechenland hat sie eines besseren belehrt. Von Vernunft und Einlenken keine Spur. Sie stellt Tausende überflüssige Beamte wieder ein, erhöht den Mindestlohn, stoppt Privatisierungen, wirft demonstrativ die Troika aus IWF, EZB und EU aus dem Land und biedert sich beim autokratisch regierten Russland an, in der Hoffnung, das wirtschaftlich am Abgrund stehende Land könne zur Hilfe eilen.

Wie geht es nun weiter?

  1. Das Schlimmste wäre es, wenn die europäischen Politiker aus Schwäche Zugeständnisse machen und auf die extremistische Regierung zugehen. Das wäre ein Signal an die Linksextremisten in Spanien und anderen Ländern: Frechheit und Vertragsbruch lohnen sich! Machen wir es den Griechen nach! Wählen wir linksextrem, stoßen die EU vor den Kopf – und man wird uns dann auch entgegenkommen und weitere Milliarden geben, selbst wenn wir begonnene Reformen rückgängig machen. In Spanien ist bereits jetzt laut Umfragen die erst vor einem Jahr gegründete linksextreme Partei Podemos die stärkste politische Kraft. Sie vertritt ähnliche Positionen wie die griechische Syriza-Partei, und ist teilweise noch radikaler. So fordert Podemos u.a. den Austritt des Landes aus der Nato, was Putin bestimmt gefallen wird.
  2. Ich hoffe, die EU-Politiker haben genug Mut, sich nicht erpressen zu lassen und die Zahlungen an Griechenland sofort einzustellen. Das würde natürlich zum Staatsbankrott führen. Staatsbankrotte hat es sehr viel häufiger in der Geschichte gegeben, als man annimmt. Die Finanzwissenschaftler Carmen M. Reinhart und Kenneth S. Rogoff zählten seit dem Jahr 1800 mindestens 250 Staatspleiten für die Auslandsschulden und mindestens 68 Inlandspleiten, bei denen die Einlagen der eigenen Bevölkerung in Landeswährung betroffen waren. Spitzenreiter war Spanien mit 13 Pleiten, gefolgt von Venezuela mit zehn. Nur wenige große Länder, so wie die USA, Kanada, Australien, Schweden und Norwegen, waren noch nie pleite. Interessant sind auch die Zeiträume der Zahlungsunfähigkeit: Griechenland war in mehr als der Hälfte der Zeit seiner Existenz zahlungsunfähig. Für Griechenland wäre also ein Staatsbankrott keineswegs etwas Außergewöhnliches. Für die anderen südeuropäischen Länder wäre ein griechischer Staatsbankrott jedoch hoffentlich ein abschreckendes Beispiel. Natürlich wäre dann offensichtlich, dass die an Griechenland vergebenen Kredite unwiederbringlich verloren sind. Das sind sie jedoch sowieso. Kein vernünftiger Mensch sollte glauben, was uns Herr Schäuble und Frau Merkel erzählt haben, dass Griechenland nämlich seine Kredite jemals wieder zurückzahlen werde.

Wenn Griechenland bankrott geht, ist die Krise in der EU gleichwohl noch lange nicht gelöst. In Ländern wie Frankreich und Italien sind die Probleme nach wie vor dramatisch. Francois Hollande ist zugegebenermaßen nicht so radikal wie Alexis Tsipras. Aber auch er hat Frankreich mit seiner sozialistischen, wirtschaftsfeindlichen Politik in eine gefährliche Situation gebracht. Frankreich ist in den Jahren, seit Hollande regiert, immer mehr zum Sorgenkind Europas geworden. Auch im Falle Hollandes hatten naive Zeitgenossen geglaubt, seine primitiven, linken Wahlkampfparolen („Ich mag die Reichen nicht“, 75% Reichensteuer) seien nur leeres Gerede, und sobald er an der Macht sei, werde er – ähnlich wie seinerzeit Gerhard Schröder in Deutschland – die dringend notwendigen Reformen angehen. Ich habe schon vor Hollandes Wahlsieg eindringlich vor dieser Naivität gewarnt.

Griechenland zeigt leider nur in besonders drastischer Form ein generelles, europäisches Problem auf: Der europäische Wohlfahrtsstaat ist längst an seine Grenzen gelangt. Die Verteilung sozialer Wohltaten auf Pump, an die sich Politiker und Wähler über Jahrzehnte gewöhnt haben, geht nicht mehr endlos so weiter.

Für Griechenland kommt hinzu: Ein Land ohne ein funktionierendes ökonomisches Geschäftsmodell und ohne funktionierende Verwaltung muss im Zeitalter der Globalisierung zur Kenntnis nehmen, dass es nicht nur deshalb, weil es geographisch in Europa liegt, einen Anspruch auf einen im weltweiten Vergleich hohen Lebensstandard hat. Wir leben in einer Zeit sehr rascher Veränderungen, wo ehemalige Entwicklungsländer wirtschaftlich aufsteigen und der Lebensstandard dort enorm steigt. Heute konkurriert fast jeder mit jedem auf dieser Welt. Schon immer in der Geschichte sind Staaten auf- und abgestiegen. Das dauerte früher oft Jahrhunderte, heute geht das sehr viel schneller. Ich verstehe, dass es für die Menschen, die in einem Land wie Griechenland leben, hart ist, diese Realität zu akzeptieren und zu akzeptieren, dass es keine Garantie und keinen Anspruch auf den Lebensstandard gibt, den sie vor zehn Jahren hatten oder den andere europäische Länder (noch) genießen.

Deshalb haben die Griechen die Realitätsverweigerer gewählt. Für die Ideologen ist die Wirklichkeit nie ein Argument. Wenn die Realität und ihre Ideologie nicht zusammenpassen, dann sagen sie: Pech für die Realität. Wer diese Denkweise der Ideologen nicht versteht, kann auch nicht verstehen, was letzte Woche in Griechenland vor sich gegangen ist.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.