„Hart aber fair“: So gut kann man sich mit schlechtem Gewissen fühlen

Erschienen am 20. September 2016

„Zäune statt Hilfe – sind wir selbst schuld an der nächsten Flüchtlingswelle?“ das war das Thema am Montag bei „Hart aber fair“ (ARD). Tenor: Grenzen zu schützen ist unmenschlich. Mit ganz viel Entwicklungshilfe sollen wir den Menschen in Afrika helfen, damit diese nicht zu uns nach Europa kommen müssen.

„Hart aber fair“ ist meine Lieblingstalkshow, weil es hier oft richtige Kontroversen von interessanten Gästen gibt. Zudem mag ich den Moderator Plasberg, der immer wieder dazwischen geht, wenn sich mal wieder ein Politiker im Wortschaum verliert und Sprechblasen verbreitet, statt die ihm gestellte Frage zu beantworten.

Diesmal war es anders. Fast alle waren sich einig. Dem ungarischen Botschafter Peter Györkos allein fiel die Rolle des herzlosen Bösewichtes zu, der „Zäune baut“ und für die „Festung Europa“ plädiert, statt „Fluchtursachen zu beseitigen“.

Die anderen vier Teilnehmer einte die penetrant vorgetragene Anklagehaltung gegen Europa und den Westen, gespeist aus dem schlechten Gewissen, mit dem man sich so gut und moralisch überlegen fühlen kann: Neven Subotic, der Fußballer aus Bosnien, der sich mit einer Stiftung für Projekte in Afrika einsetzt; Elias Bierdel, Vorstand der Organisation „Borderline Europe – Menschenrechte ohne Grenzen“; Shafgah Laghai, ARD-Korrespondentin in Nairobi. Und Norbert Röttgen (CDU), einst Merkels Liebling, später von ihr verstoßen und derzeit bemüht, wieder politisch Fuß zu fassen. Die vier waren sich einig:

Die Industrieländer sind am Elend in Afrika schuld. Durch den „Klimawandel“ rauben wir den Menschen dort die Lebensgrundlage. Wir vergiften die Umwelt, deshalb müssen die Menschen aus Afrika fliehen. Wir beuten den Kontinent aus – von den Zeiten des Kolonialismus bis heute. Mir „wir“ meinten die Diskussionsteilnehmer natürlich nicht sich selbst, sondern die „großen Konzerne“, denen es nur um „Profite“ gehe.

Das alles wird mit einer fast religiösen Gewissheit vorgetragen. Da wir alle schuldig sind, müssen wir Sühne leisten und sind zur Wiedergutmachung aufgefordert. Grenzen zu schützen ist unmenschlich, das fanden zumindest drei der fünf. Wir sollten all denen, die zu uns kommen wollen, die legale Möglichkeit geben, damit sie nicht illegal und über gefährliche Fluchtrouten mit Schleppern zu uns kommen müssen. Zudem sollten wir viel, viel mehr Entwicklungshilfe leisten als bisher.

Die „Diskussion“, die sonst oft so spannend bei Plasberg ist, fand diesmal wegen schlechter Auswahl der Gäste kaum statt. Jemand wie der Autor und NZZ-Korrespondent René Zeyer hat gefehlt. Er hätte einen Gegenpunkt gesetzt mit seiner These, dass die Entwicklungshilfepolitik bislang vollkommen versagt hat und auch künftig versagen muss. Zeyers These: „Man hat in den letzten 50 Jahren ständig neue Konzepte für die Entwicklungshilfe entworfen… Die Armut in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara ist trotzdem gleich hoch geblieben. Trotz 1.000 Milliarden an Entwicklungsgeldern ist Afrika der Kontinent mit den meisten gescheiterten Staaten, der einzige Kontinent mit einer bedeutenden Zunahme an Hungernden.“

In der Diskussionsrunde schien es fast so, als leisteten wir nur spärliche Entwicklungshilfe. Faktencheck dazu: Die EU und ihre 28 Mitgliedsstaaten leisten zusammengenommen einen Anteil von über 50 Prozent an der weltweiten Entwicklungshilfe und stellen dafür nach Auskunft des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit jährlich über 58 Milliarden Euro zur Verfügung. Doch diese Hilfe kann die Ursachen für Elend und Not in der Welt nicht beseitigen.

Schaut man die Welt etwas objektiver an und nicht durch die Brille des schlechten Gewissens und der antikapitalistischen Gewissheiten, dann kann man leicht erkennen: Der Schlüssel dafür, dass es Menschen besser geht in den Ländern, die wir früher „Entwicklungsländer“ nannten, ist nicht weniger, sondern mehr Kapitalismus.

Beispiel China: In China wurden in den letzten Jahrzehnten Hunderte Millionen Menschen aus der Armut gebracht, weil man auf mehr Marktwirtschaft gesetzt hat. 1982 lebten 52,8 Prozent der Chinesen unter dem Existenzminimum, heute sind es nur noch 8 Prozent. Dabei hat China nur einen Bruchteil der „Entwicklungshilfe“ erhalten, die Afrika bekommen hat. Wenn es den Chinesen heute viel besser geht als vor 30 Jahren, dann nicht wegen westlicher Entwicklungshilfe, sondern wegen marktwirtschaftlicher Reformen. Kapitalismus ist offenbar ein viel wirksameres Programm zur Armutsbekämpfung als Entwicklungshilfe.

Eine wesentliche Ursache für die Not in Afrika wurde von keinem der Diskussionsteilnehmer genannt, nämlich der Mangel an wirtschaftlicher Freiheit in den afrikanischen Ländern. Eigentlich ist die Sache ganz einfach: Je mehr wirtschaftliche Freiheit es in einem Land gibt, desto besser ist in der Regel auch dessen wirtschaftliche Lage. Hier der „Faktencheck“ für diese These:

Nach dem berühmten Ranking der wirtschaftlichen Freiheit, das regelmäßig von der renommierten Heritage-Foundation veröffentlicht wird, stehen an der Spitze Länder wie Hongkong, Singapur, Neuseeland, die Schweiz, Australien und Kanada. Unter den ersten 20 Ländern mit einem hohen Maß an wirtschaftlicher Freiheit sind auch Großbritannien, die USA, Dänemark, die Niederlande, Deutschland und Luxemburg. In diesen Ländern geht es den Menschen gut und niemand muss aus ihnen in andere Teile der Welt fliehen. Schaut man auf den Teil der Liste, wo sich die wirtschaftlich unfreien Länder befinden, dann sieht man dort vor allem afrikanische Länder, so etwa Angola (Platz 156), Kongo (Platz 163), Tschad (Platz 164), Eritrea (Platz 173), Zimbabwe (Platz 175). Andere afrikanische Länder wie Somalia oder Sudan haben kein Ranking, weil sie so schlecht dastehen, dass man sie nicht einmal mehr bewerten kann.

All diesen Ländern wird es so lange nicht besser gehen, bis die Menschen dort wirtschaftlich freiheitliche Systeme eingeführt haben. Das können wir Europäer aber nicht für sie tun. Die Amerikaner haben immer wieder versucht – oft mit Gewalt – ihr System in solche Länder zu exportieren und sind immer wieder kläglich gescheitert.

Angela Merkel hätte an der Diskussionsrunde ihre Freude gehabt. Denn noch am Vormittag hatte sie auf der Pressekonferenz zum Ausgang der Berlin-Wahlen ihr neues Rezept erklärt, damit sich ein erneuter Zustrom von einer Million oder mehr Flüchtlingen nicht wiederholt: Man müsse die „Fluchtursachen beseitigen“ und „den Menschen in Afrika eine Perspektive geben“, damit sie nicht zu uns kommen. So schön das klingt, so unrealistisch ist es.


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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.