„Merkel-Psychologie“ – die falsche Frage

Erschienen am 19. Februar 2016

Seit Monaten rätseln Kommentatoren, was Angela Merkel innerlich antreibt. Warum betreibt sie eine Politik, auf die der Rest Europas und auch die Mehrheit der Deutschen nur noch mit verständnislosem Kopfschütteln reagieren?

Manche Kommentatoren verweisen auf jenen Vorfall, als Merkel durch eine vermeintlich „hartherzige“ Reaktion das 14jährige palästinensische Mädchen Reem Sahwil zum Weinen brachte. Eine ganze Nation erlebte diesen Vorfall am Fernseher mit. Im Internet und in Printmedien wurde die Kanzlerin als gefühlskalt dargestellt. War das für die Kanzlerin, die so gerne von den Deutschen geliebt wurde, ein Trauma, das sie wenige Monate später zu einer radikalen Umkehr bewegte, um damit all jene Lügen zu strafen, die sie eben noch als hartherzig kritisiert hatten?

Andere Kommentatoren erklären Merkels Reaktion mit ihrem protestantischen Hintergrund: Es zeigten sich nunmehr die tief verankerte Prägungen durch das evangelische Pfarrhaus, in dem sie aufgewachsen ist.

Wiederum andere Beobachter verweisen darauf, dass Merkel, die bislang stets als entscheidungsschwach dargestellt wurde und die immer wieder dafür kritisiert wurde, Probleme „auszusitzen“ und nur zu moderieren statt zu führen, in Wahrheit oft einsame und vorschnelle Entscheidungen fälle. Sie verweisen dabei auf den Präzedenzfall der Reaktorkatastrophe von Fukushima, als Merkel kurzerhand anordnete, die Kernkraftwerke in Deutschland schnellstmöglich abzuschalten.

So reiht sich Erklärung an Erklärung. Aber im Mittelpunkt steht immer die Psyche von Angela Merkel. Ich finde, das ist jedoch die falsche Frage. Leben wir ein einer Autokratie, in der – so wie in Russland – ein Staatsoberhaupt einsame Entscheidungen fällt? Nein, Deutschland ist ein parlamentarisches System und ein Rechtsstaat. Freilich einer, der derzeit nicht richtig funktioniert. Und genau hier liegt das Problem.

Statt zu fragen, was in Angela Merkels Psyche vorgeht, sollten wir beispielsweise fragen, was mit dem Deutschen Bundestag los ist, der ja die Regierung kontrollieren soll. Und warum nicht längst eine Klage vor höchsten deutschen Gerichten dazu geführt hat, den massiven täglichen Rechtsverletzungen ein Ende zu bereiten. So heißt es beispielsweise, das Dublin III-Abkommen sei ausgesetzt. Stimmt das überhaupt? Kann die Bundeskanzlerin durch eine einsame Entscheidung einen völkerrechtlichen Vertrag einfach für nicht mehr gültig erklären? Natürlich nicht. Der Vertrag gilt natürlich nach wie vor, auch wenn sich Deutschland und andere Länder nicht mehr daran halten.

Wer die letzte Erklärung für die irrationale und offenbar gescheiterte Flüchtlinspolitik in Merkels Psyche sucht, greift also zu kurz. Welche Kontrollmechanismen und welche Institutionen in Deutschland haben versagt, dass die einsamen Entscheidungen von Frau Merkel allein das Geschehen bestimmen?

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.