Politiker entdecken ihre Wahrheitsliebe
Juncker & Maas gegen Facebook

Erschienen am 27. Dezember 2016

Noch nie haben Politiker so oft und so eindringlich vor Lügen gewarnt wie in den vergangenen Wochen. Jetzt hat sogar der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, Facebook eindringlich vor der Verbreitung von Lügen gewarnt. Und Justizminister Maas droht mit empfindlichen Bußgeldern.

Das war sogar den tagesthemen eine Meldung wert: Juncker meinte, Facebook solle erkennen, wie wichtig die „Glaubwürdigkeit“ sei. Er appellierte an das soziale Netzwerk, entschiedener gegen Lügen vorzugehen. Das ist allerdings pikant und fast schon komisch. Denn von Juncker stammt der berühmte Ausspruch: „Wenn es ernst wird, muss man lügen“. Juncker hatte dies auf einer Abendveranstaltung zur Euro-Krise im April 2011 erklärt. Er hatte nicht nur gelogen – so wie das alle Menschen zuweilen tun -, sondern mit diesem Satz die Lüge offiziell als legitimes Mittel der Politik verklärt.

Juncker und die Glaubwürdigkeit

Junckers Vorstellung von Glaubwürdigkeit hat er Ende 1999 deutlich gemacht: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“

Und dieser Juncker mahnt nun soziale Netzwerke, sie sollten besser gegen Lügen vorgehen. Wollte Juncker Facebook anstiften, Falschaussagen wie jene, die er im Zusammenhang mit einem Geheimtreffen zur Eurokrise 2011 getan hat, zu zensieren? Damals schrieb die FAZ in einem Artikel mit der Überschrift „Juncker nach falschen Dementis in der Kritik“: „Letztlich stellt sich nach dem missglückten Geheimtreffen die Frage neu, wie viel Wahrheit oder harte Fakten die Politik Menschen und Märkten zumuten kann und wie sehr zu viele Lügen und ‚Unschärfen‘ ihre Glaubwürdigkeit aushebeln.“

Justizminister Maas: Wer im Glashaus sitzt…

Auch Bundesjustizminister Maas hat Facebook und anderen sozialen Netzwerken unlängst mit empfindlichen Geldstrafen gedroht, wenn sie nicht konsequent gegen die Verbreitung von Lügen vorgingen. Als ich das las, erinnerte ich mich an einen Artikel im „Spiegel“ 36/2016 mit der Überschrift: „Justizaffäre um Heiko Maas: Ist dieser Mann ein Lügenminister?“ In dem Artikel hieß es: „Eine Falschaussage könnte ihn den Job kosten: Heiko Maas hat womöglich den Bundestag über seine wahre Rolle in den Landesverrat-Ermittlungen gegen Netzpolitik.org belogen.“

Als dieser Verdacht aufkam: Hätte Facebook dann die entsprechenden Aussagen von Maas nicht mehr verbreiten dürfen – unter Androhung von Bußgeldern?

Wer soll denn entscheiden, was eine Lüge bzw. Falschnachricht ist oder nicht? Bei Orwell ist dafür ein Wahrheitsministerium zuständig. Mir graut bei dem Gedanken, dass private Betreiber von sozialen Netzwerken oder Politiker künftig entscheiden, was eine Falschnachricht ist und was nicht.


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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.