Systemveränderung durch Eliminierung der Gegenpole

Erschienen am 24. Oktober 2011

Vergangene Woche wurde Jean-Claude Trichet als Präsident der EZB verabschiedet. Claus Döring von der BÖRSEN ZEITUNG bringt es in einem Kommentar auf den Punkt: „Präsident Jean-Claude Trichet übergibt an seinen Nachfolger Mario Draghi eine politisierte Europäische Zentralbank.“

Die unabhängige Zentralbank bildete im System der Bundesrepublik Deutschland ein wirksames Gegengewicht gegen die Politik, auf das wir zu Recht stolz sein konnten. Die Deutsche Bundesbank stand für so etwas wie Gewaltenteilung in einem freiheitlichen Verfassungsstaat und garantierte weitgehend die Geldwertstabilität. Die EZB, die eigentlich dieser Tradition folgen sollte, hat in den letzten Monaten und Jahren ihre Unabhängigkeit vollends verloren. Das bedeutet eine gravierende Systemänderung, deren Folgen wir alle zu spüren bekommen werden.

Ich empfehle jedem Leser die im Jahr 2003 erschienene hervorragende wissenschaftliche Untersuchung von Peter Bernholz, Monetary Regimes and Inflation (Besprechung unter www.empfohlene-wirtschaftsbuecher.de). In seiner Arbeit hat er den Nachweis geführt, dass es nur zwei wirksame Gegenmittel gegen die Gefahr von Inflation und Hyperinflation gibt: Entweder die Golddeckung der Währung oder eine unabhängige Zentralbank. Eine historische Analyse der Inflationsraten belegt eindeutig, dass diese deutlich niedriger waren in Ländern mit Goldstandard oder unabhängiger Zentralbank.

Die EZB sollte ähnlich unabhängig werden wie die Deutsche Bundesbank. Das war das Versprechen bei der Einführung des Euro. So wie alle anderen Euro-Versprechen wurde es gebrochen. Die EZB ist inzwischen nicht mehr Widerpart der Politik, sondern ein Transmissionsriemen der Politik zur Durchsetzung ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik. Damit ist ein wesentliches Stück Freiheit gestorben.

Und nun macht sich die Politik daran, weitere kritische Gegenpole zu eliminieren. EU-Binnenmarktkommissar Michal Barnier kündigte vergangene Woche an, man wolle es in der Staatsschuldenkrise Ratingagenturen verbieten, Urteile über die Kreditwürdigkeit kriselnder EU-Länder zu veröffentlichen. Das ist so, als wolle man Feuer bekämpfen, indem man Rauchmelder abschaltet.

Zwar ist unklar, wie es die EU erreichen will, amerikanischen Ratingagenturen zu verbieten, ihre Urteile zu veröffentlichen, so dass es aus meiner Sicht zweifelhaft ist, ob und wie dieser Vorschlag umgesetzt werden soll. Der absurde Gedanke ist verräterisch und steht für eine letztlich totalitäre Gesinnung. Der Kommentator der FAZ, Holger Steitzner, fragte zu Recht: „Wie weit reicht der Wille zur Zensur und zur Einschränkung der Freiheit?“

Neben dem Staat und unabhängig von ihm, so wollen es weite Teile der europäischen politischen Klasse, soll es keine kritischen Instanzen mehr geben, die als Korrektiv und Gegenpol wirken können – keine unabhängige Zentralbank, keine Ratingagenturen. Denkt man den Gedanken zu Ende, müsste man dann auch die Freiheit der Presseberichterstattung einschränken, denn auch diese stört ja die Politik in der unbedingten Durchsetzung ihres Machtanspruchs.

Totalitäre Systeme sind in der Geschichte allesamt gescheitert. Unsere Freiheit beruht nicht zuletzt darauf, dass es Gegenpole gibt, die die Politik daran hindert, hemmungslos „durchzuregieren“ – dazu gehören unabhängige Zentralbanken ebenso wie Ratingagenturen oder eine freie Presse.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.

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