Bill Gates und die Rothschilds: Schuldige der Corona-Krise?

Erschienen am 12. April 2020

In der Corona-Krise finden wieder Sündenbock-Theorien Verbreitung. Zielscheibe sind oft Superreiche wie Bill Gates oder die Rothschilds, die angeblich die Schuldigen an der Pandemie sind.

Wer in sozialen Medien etwas über Bill Gates postet, wird in diesen Tagen mit einer Flut von Verschwörungstheorien überhäuft. Aus dem klugen Warner vor den Gefahren des Virus wird just der Macher des Virus. Laut anderen Verschwörungstheoretikern ist die reiche (jüdische) Familie Rothschild Schuld an der Coronakrise. Das war zu erwarten.

Ergebnisse einer Studie

In dem Buch „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ habe ich auf Basis von repräsentativen Umfragen belegt, dass viele Menschen schon vor der Corona-Krise der Meinung waren, dass Superreiche Schuld an den großen Krisen dieser Welt sind.
Die Vorurteilsforschung kennt etliche Belege dafür, dass Minderheiten zum Sündenbock für Krisen und andere Probleme auf der Welt gemacht werden. Besonders in Wirtschafts- und Finanzkrisen, deren Ursachen sehr komplex sind und von den meisten Menschen nicht verstanden werden, neigen viele dazu, die Verantwortung dafür Sündenböcken („gierige Banker“, „Superreiche“ usw.) zuzuschreiben. Amerikanern, Deutschen, Briten und Franzosen wurde für die Studie „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ folgende Aussage vorgelegt:

„Superreiche, die die immer mehr Macht wollen, sind schuld an vielen Problemen auf der Welt, z.B. an Finanzkrisen oder humanitären Krisen.“ (Anteil derjenigen, die zustimmen, in Prozent)

Deutschland 50

USA 25

Frankreich 33

Großbritannien 21

In Deutschland ist die Zustimmung doppelt so hoch wie in Großbritannien und den USA. Das lässt vermuten, dass sich die Aggressionen gegen Reiche und die Bereitschaft der Politik, gegen diese vorzugehen, in einer akuten Krise in Deutschland eher mobilisieren ließen als in den angelsächsischen Ländern.

Neider sind anfällig für Sündenbockdenken

Insbesondere die Gruppe der Neider ist äußerst anfällig für Sündenbocktheorien. Der oben zitierten Aussage stimmten Personen, die generell starken Sozialneid empfinden deutlich häufiger zu als Befragte, die weniger anfällig für Sozialneid sind.

Anteil der Sozialneider, die der Aussage zustimmen, in Prozent (in Klammern Anteil bei den Nicht-Neidern)

Deutschland 62 (36)

USA 57 (12)

Frankreich 46 (17)

Großbritannien 44 (10)

Der Vergleich zeigt, dass Neider sehr viel stärker zu Sündenbocktheorien neigen als Nicht-Neider, wobei der Unterschied in den USA und Großbritannien am stärksten ist. Diejenigen, die dem Sündenbockdenken anhängen, neigen auch eher zum Nullsummenglauben. Der Aussage: „Je mehr die Reichen haben, desto weniger bleibt für die Armen übrig“ stimmen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA 60, 69, 57 und 65 Prozent der Sündenbockdenker zu, aber nur 35, 41, 30 und 24 Prozent derjenigen, die nicht dem Sündenbockdenken zuneigen.

Psychologie des Sündenbockdenkens

Dass bestimmte Gruppen für schlimme Ereignisse verantwortlich gemacht wurden, wenn die Menschen sie sich nicht erklären konnten, kann man immer wieder in der Geschichte beobachten. So wurden nach Naturkatastrophen Sündenböcke gesucht. Ein Beispiel dafür sind die Hexenverfolgungen. In Europa wurden im Mittelalter und der Frühen Neuzeit etwa 40.000 bis 60.000 Menschen, vor allem Frauen, Opfer der Hexenverfolgung. Hexen wurden für die Ausbreitung von Seuchen, für Missernten, Naturkatastrophen und viele weitere negative Ereignisse verantwortlich gemacht, die die Menschen sich nicht erklären konnten.

Gordon Allport hat dem Sündenbock-Ansatz in seinem Klassiker “The Nature of Prejudice“ einen wichtigen Stellenwert eingeräumt. Die Sündenbocktheorie bezeichnete er als die am meisten verbreitete Erklärung für Vorurteile. Ein Grund dafür sei, dass sie besonders einfach zu verstehen sei, was wiederum möglicherweise ein Hinweis auf ihre Stichhaltigkeit sei. Denn die Leichtigkeit, die Theorie zu verstehen, korrespondiere mit der allgemeinen Vertrautheit dieser Erfahrung.

Schon bei Kindern sei zu beobachten, dass sie auf Frustrationen mit Aggressionen reagierten, wobei sie nicht die eigentliche Quelle für ihre Frustration attackierten, sondern jede beliebige Person oder jedes beliebige Objekt, das ihnen in die Quere komme. Später im Leben entwickelten die Kinder bzw. Erwachsenen eine mehr oder weniger große Frustrationstoleranz und lernten, differenzierter und angemessener mit Frustrationen umzugehen.

Die Attributions-Theorie betont, dass Menschen dazu neigen, komplexe Ereignisse, die sich einer einfachen Erklärung entziehen, damit zu erklären, dass bestimmte Gruppen als Schuldige identifiziert werden. Der amerikanische Psychologe Peter Glick argumentiert, dass nur solche Gruppen als Sündenböcke fungieren könnten, denen die Macht zugeschrieben werde, die negativen Ereignisse bewusst verursacht zu haben. Dies seien jedoch gerade nicht wehrlose Minoritäten. Superreiche bieten sich geradezu als ideale Sündenböcke an.

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.