Unwort „soziale Gerechtigkeit“:
Warum sagen sie „Gerechtigkeit“, wenn „Gleichheit“ gemeint ist?

Erschienen am 30. März 2017

Alle reden darüber – aber keiner weiß, was genau damit gemeint ist: „Soziale Gerechtigkeit“.

Kein Begriff wird in der politischen Auseinandersetzung häufiger verwendet als „soziale Gerechtigkeit“. Schaut man genauer hin, dann ist mit „Gerechtigkeit“ meist einfach „Gleichheit“ gemeint.

Gleichheit ist ungerecht

Dabei ist Gerechtigkeit eigentlich genau das Gegenteil von Gleichheit. Schon der griechische Philosoph Aristoteles meinte, Gerechtigkeit verlange Gleiche gleich und Ungleiche ungleich zu behandeln. Ich möchte es einfacher ausdrücken: Gerecht ist, wenn der das Gleiche bekommt, der das Gleiche tut.

Wenn Sie so gut Fußball spielen können wie Thomas Müller, dann werden Sie auch so viel verdienen wie er. Sein Jahresverdienst 2016 belief sich auf 16 Millionen Euro. Ungerecht? Ist es ungerecht, dass nicht jeder so gut Fußball spielen kann wie Müller oder ist es ungerecht, dass sich sein Einkommen – so wie das aller anderen Menschen – durch Angebot und Nachfrage reguliert? Tätigkeiten, die fast jeder ausüben kann oder könnte (z.B. die einer Reinigungskraft) werden daher, auch wenn sie für die Gesellschaft sehr wichtig sind, geringer bezahlt als Tätigkeiten, die nur von ganz wenigen ausgeführt werden können (wie etwa die eines Herzchirurgen oder eines Top-Managers). Ungerecht?

Wenn diejenigen, die für „soziale Gerechtigkeit“ plädieren, in Wahrheit „mehr Gleichheit“ meinen, warum sagen sie das dann nicht? Dafür gibt es drei Gründe:

1. „Gerechtigkeit“ klingt schöner als „Gleichheit“

„Gerechtigkeit“ klingt schöner als „Gleichheit“. Nicht jeder ist für „Gleichheit“, aber jeder ist dafür, dass es „gerecht“ zugehen soll. Der Begriff eignet sich ideal für Stimmungsmache, denn fast jeder glaubt, wenn es gerecht zuginge, müsse er mehr bekommen, als er derzeit verdient. Zudem eignet sich der Begriff hervorragend zur Mobilisierung von Neidgefühlen, denn „sozial ungerecht“ sind danach alle Einkommen, die außerhalb der Vorstellungssphäre des Durchschnittsbürgers liegen (z.B. Managergehälter). „Sozial gerecht“ ist damit, wenn man anderen etwas wegnimmt, um seine eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern. Ein Gedanke mit verführerischem Potenzial.

2. „Gerechtigkeit“ ist so schön diffus

Zweitens: „Gerechtigkeit“ ist so schön diffus. Deshalb eignet er sich für Demagogen besonders gut. Der Philosoph Professor Wolfgang Kersting schreibt in seinem Buch „Kritik der Gleichheit“: „Gerade weil der Begriff der distributiven Gerechtigkeit keine kriterielle Schärfe besitzt, vermag er sich dem politischen Opportunismus und den Begehrlichkeiten der Verteilungslobby zu empfehlen. Er ist moralisch geschmeidig, kann jedem Maximierungsinteresse den Anschein moralischer Berechtigung geben. Die Rhetorik der sozialen Gerechtigkeit beutet undeutliche moralische Institutionen aus und bietet die jeweils angestrebte sozioökonomische Besserstellung als inhaltliche Klärung an.“

3. „Gerechtigkeit“ kennt keine Grenzen

Drittens: Der Begriff „soziale Gerechtigkeit“ eignet sich hervorragend als Kampfinstrument gegen den politischen Gegner, weil er keinerlei Grenze kennt. Wenn CDU/CSU und SPD einen Mindestlohn von 8.84 durchsetzen, dann argumentiert die Linke, das sei nicht gerecht, denn ein „Leben in Würde“ gebe es nur ab 12 Euro Mindestlohn. Würden die Managergehälter auf das 20fache des Durchschnittslohns beschränkt, dann würde morgen vom politischen Gegner erklärt, mehr als das 12fache sei ungerecht. „Gerechtigkeit“ in diesem Sinne hat keine Grenze, solange nicht alle gleich sind.

Einzelfälle beweisen nichts

Der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek erklärte einmal: „Mehr als zehn Jahre lang habe ich mich intensiv damit befasst, den Sinn des Begriff ‚soziale Gerechtigkeit‘ herauszufinden… ich bin zu dem Schluss gelangt, dass für eine Gesellschaft freier Menschen dieses Wort überhaupt keinen Sinn hat.“ In einem Buch zum Thema schrieb Hayek, der Ausdruck „soziale Gerechtigkeit“ gehöre „in die Kategorie des Unsinns“.

Die Anhänger der „sozialen Gerechtigkeit“ argumentieren nicht mit systematischen und logischen Überlegungen, sondern mit Einzelbeispielen. Und die gibt es für jedes Argument: So werden Manager angeführt, die hohe Gehälter bezogen, obwohl sie ihrem Unternehmen letztlich dann geschadet haben. Die gleichen Kritiker, die daraus ableiten, man solle generell die Manager-Gehälter massiv beschränken, würden sich zu Recht dagegen verwahren, wenn jemand Einzelfälle von Hartz IV-Missbrauch als Argument für eine massive Kürzung aller Hartz IV-Leistungen ins Feld führen würde.

Viele Menschen lassen sich durch die Medienberichterstattung täuschen: Sie nehmen an, dass „Nieten in Nadelstreifen“, die Millionengehälter für Minderleistungen beziehen, die Regel wären. Natürlich ist das nicht so: Es wird nur mehr über diese Fälle berichtet – so wie in der Zeitung eher über abstürzende Flugzeuge berichtet wird als über solche, die heil gelandet sind (vermutlich würde das auch die Leser langweilen).

25 Besprechungen + Interviews zu Zitelmanns neuem Buch "Psychologie der Superreichen": http://psychologie-der-superreichen.de/presse/. Im März erstmals auf der Bestellerliste vom manager-magazin.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.