Venezuela: Utopia der Linken
Sozialismus wieder mal gescheitert

Erschienen am 1. April 2017

Venezuela: Das war das Utopia der Linken. Sarah Wagenknecht pries das Wirtschaftsmodell des Landes und die Linke organisierte Kampagnen für das sozialistische Venezuela.

Hugo Chávez und sein Modell des „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ übten eine ungeheure Faszination auf die Linke in der ganzen Welt aus. Die Ökonomin der Linken Sarah Wagenknecht pries lautstark das Wirtschaftsmodell von Chávez. Und was ist heute? Jetzt ist es auf einmal still um Venezuela geworden. Die Verhaftungen prominenter Oppositionspolitiker (wie Leopoldo López), die wegen „Rebellion“ zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, waren in deutschen Medien nur ein Randthema, ebenso wie die Beseitigung der Pressefreiheit. Für jeden ist inzwischen ersichtlich, dass es sich um eine sozialistische Diktatur handelt. Als weiteren Schritt in der Etablierung der sozialistischen Diktatur wurden dem Kongress vor einigen Tagen alle gesetzgeberischen Kompetenzen entzogen – das Parlament sollte damit vollständig entmachtet werden. Grund: Seit ihrem Wahlsieg im Dezember 2015 hatte die bürgerlich-konservative Opposition im Parlament eine klare Mehrheit. Nach heftigsten internationalen Protesten wies der Staatspräsident das Verfassungsgericht zwar an, den Schritt zurückzunehmen, aber dies sagt ja schon alles über den nicht mehr existierenden Rechtsstaat, wenn der Präsident dem Verfassungsgericht zuerst befiehlt, die Rechte des Parlamentes abzuschaffen und dann wieder befiehlt, das rückgängig zu machen.

Hunger und Inflationsrate über 1000%

Die Inflationsrate in Venezuela betrug selbst nach offiziellen Angaben im vergangenen Jahr 800%. Inzwischen liegt sie nahe bei 2000%. Die Inflation ist kein neues Phänomen in Venezuela. Sie begleitet das sozialistische Land seit vielen Jahren und stieg von 18,7% (2007) über 40,6% (2013) auf 121,7% (2015). Die Inflation löste bereits Anfang 2014 Massenproteste gegen den (noch persönlich von Chávez eingesetzten) Staatschef Nicolás Maduro aus. Bei den Protesten kamen 42 Menschen ums Leben, 785 wurden verletzt. Im Juli 2016 musste Venezuela die Grenze zu Kolumbien für 12 Stunden öffnen, damit die Menschen dort einkaufen konnten. Zuvor war die Grenze schon von 500 verzweifelten Frauen durchbrochen worden, die Lebensmittel im Nachbarland kaufen wollten. In den Supermärkten gab es Schlangen von 500 Metern. Am 12. August 2016 wurden fünf Grenzposten nach Kolumbien geöffnet, und in drei Tagen nahmen über 120.000 Menschen die Gelegenheit wahr, in Kolumbien einzukaufen.

Zweitgrößte Erdölreserven der Welt

Das alles ist absurd. Denn Venezuela ist potenziell eines der reichsten Länder der Welt. Hier lagern 14,7 Prozent der weltweiten Ölreserven (nur in Saudi-Arabien sind es mit 15,7% noch etwas mehr). Zum Vergleich: Selbst im Iran sind es nur 9,4% und in Russland 4,8%, in Libyen 2,9%. Der Ölpreisverfall hat alle diese Länder getroffen, aber in keinem anderen der an Erdöl reichen Länder hungern die Menschen und gibt es eine Hyperinflation. Schuld daran ist offensichtlich nicht der Ölpreisverfall, sondern das sozialistische Missmanagement. Zudem herrscht laut dem Ranking von „Transparency International“ in keinem südamerikanischen Land eine so hohe Korruption wie im sozialistischen Musterland.

Wieder einmal ist der Sozialismus gescheitert

Die sozialistische Utopie ist wieder einmal gescheitert – und hat zu Diktatur und wirtschaftlichem Siechtum geführt. Ich wundere mich, warum es immer noch Menschen gibt, die glauben, der Sozialismus sei eine gute Idee, die bisher nur in der Praxis noch nicht richtig durchgeführt worden sei. Wie oft will man das Experiment denn noch wiederholen? Wo hat es funktioniert? In Russland nicht, in den osteuropäischen Ländern wie Rumänien, Bulgarien oder Polen nicht, in der DDR nicht. Kein Modell hat funktioniert: Weder in Albanien noch in Jugoslawien oder in Nordkorea (wo die Menschen ebenfalls Hunger leiden). Überall hat es zu Unfreiheit und wirtschaftlichem Niedergang geführt. Den Chinesen geht es erst besser, seit sie sich vom sozialistischen Wirtschaftsmodell verabschiedet haben und auf Marktwirtschaft setzen.

Und die Medien…?

Als ich vergangenes Jahr in den USA war, wurde in vielen US-Medien groß über die Hungerproteste berichtet – und es wurde dort sehr deutlich von einem erneuten Scheitern des sozialistischen Modells gesprochen. In Deutschland liest man viel weniger über die Tragödie in Venezuela. Und die Kommentatoren in den deutschen Medien sehen die Entwicklung auch offenbar nicht als erneute Bestätigung für das Scheitern des Sozialismus. Das Wort „Sozialismus“ findet sich in den meisten Berichten nicht einmal. Wahrscheinlich will man das für viele linke Journalisten so schön klingende Wort nicht besudeln. Die „Welt“ überschreibt einen – ansonsten sehr guten – Artikel mit der absurden Überschrift: „Der Sozialismus ist tot. Es lebe die Diktatur!“ Nun ja, es war die „Welt“-Ausgabe vom 1. April. Vielleicht war die Überschrift also nur ein Aprilscherz. Denn Sozialismus und Diktatur, das ist natürlich keineswegs ein Widerspruch. Fast alle sozialistischen Länder (mit wenigen Ausnahmen wie Schweden) waren Diktaturen.

Wo bleibt die Selbstkritik der Linken?

Sarah Wagenknecht pries Hugo Chávez noch vor vier Jahren als „großen Präsidenten“, der „mit seinem ganzen Leben für den Kampf um die Gerechtigkeit und Würde stand“. Würde??? Gerechtigkeit??? Das sehen die Hungernden in Venezuela ganz anders. Chávez, so Wagenknecht, habe bewiesen, dass ein „anderes Wirtschaftsmodell möglich sei“. Bitte verschont uns mit „anderen Wirtschaftsmodellen“, wenn die so aussehen wie in Venezuela!

Sarah Wagenknecht gibt sich inzwischen lernwillig und beruft sich heute sogar auf den Marktwirtschaftler Ludwig Erhard. Aber hat sie wirklich gelernt? Wo bleiben dann selbstkritische Worte über ihre grandiose Fehleinschätzung des Wirtschaftsmodells von Chávez? Und der von den Linken in Berlin ursprünglich als Staatssekretär vorgesehene Andrej Holm schwärmte in Büchern und Vorträgen zur sozialistischen Utopie in Venezuela. Jetzt ist es merkwürdig ruhig geworden. Betretenes Schweigen. Man hört nichts mehr dazu von den Linken. Und wenn, dann sind natürlich allein die USA schuld. So wie bekanntlich für alle Übel dieser Welt. Der Sozialismus kann seine Unschuld offenbar nicht verlieren, egal wie oft er scheitert.

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.