Zeitbombe bei Versicherungen

Erschienen am 16. August 2010

Derzeit ist nicht abzusehen, dass die Niedrigzinsphase demnächst zu Ende geht. Und sollte sie zu Ende gehen, dann besteht die reale Gefahr einer inflationären Entwicklung. Für beide Szenarien – also für eine lang andauernde Niedrigzinsphase und auch für eine inflationäre Entwicklung – sind die deutschen Versicherungen nicht vorbereitet. Hier tickt eine Zeitbombe.

Anders als beispielsweise die britischen Lebensversicherungen, die traditionell einen Großteil der Anlegergelder in Aktien anlegen, setzen deutsche Lebensversicherer sehr einseitig auf Anleihen. Damit sind sie in der Vergangenheit nicht so schlecht gefahren, doch für die Zukunft bedeutet dies ein immenses Risiko. Sehr vermögende Privatanleger in Europa legen 50% ihres Vermögens in Immobilien an – bei den Versicherungen sind es nur um die sechs Prozent. Das ist unverständlich.

So schön es auch für Immobilienverkäufer ist, wenn die deutschen Versicherungen ihre Immobilienquote um einen Prozentpunkt erhöhen wollen – an dem Problem, dass diese mit ihren Vermögensanlagen weniger erwirtschaften als sie ihren Versicherten versprechen, ändert dies überhaupt nichts. Es ist nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Versicherungswirtschaft passt sich zu langsam an die geänderte Zinslandschaft an und lebt von der Hoffnung, dass die Zinsen wieder steigen. Das ist höchst riskant. Eigentlich schreit die Situation geradezu nach einer deutlichen Ausweitung der Immobilienquote.

Die unsinnigen Solvency II-Regelungen werden das Problem noch verschärfen und geben den Versicherungen eine Rationalisierung für ihre unter Risikogesichtspunkten nicht vertretbare Fixierung auf Anleihen. Tatsächlich gibt es keinen vernünftigen Grund, warum die gesetzlich zulässige Immobilienquote von 25% nicht ausgeschöpft wird.

Manchmal höre ich als Begründung, es gebe nicht genügend Immobilien, wenn die deutschen Versicherer so viel in Immobilien investieren würden. Das Argument kann mich nicht überzeugen: Weltweit gibt es natürlich genügend Immobilien zur Anlage. Auch das Argument, Immobilien seien nicht so fungibel und liquide, finde ich nicht überzeugend: Schließlich besteht gerade für eine Lebensversicherung gar keine Notwendigkeit, 95% der Assets liquide anzulegen. Selbst bei einer Immobilienquote von 25% wären ja immer noch etwa 70% des Anlagevermögens absolut liquide. Das ist mehr als genug, um die laufenden Verpflichtungen zu erfüllen.

Offenbar ist es der Immobilienbranche noch nicht ausreichend gelungen, die Vorteilhaftigkeit von Immobilien-Anlagen, insbesondere auch im Vergleich zu Anleihen, zu kommunizieren. Dabei gilt es ja nicht, die in den Versicherungen für die Immobilienanlagen zuständigen Personen zu überzeugen (die sind schon überzeugt), sondern die für die übergeordnete Asset-Allokation verantwortlichen Entscheidungsträger. Warum beispielsweise kaufen Versicherungen lieber Unternehmensanleihen als Immobilien, die an die Anleiheemittenten vermietet sind, obwohl letztere in der Regel über ein sehr viel besseres Chancen-Risikoprofil verfügen, was den Nachteil der geringeren Fungibilität mehr als nur kompensiert? Warum kaufen sie lieber Staatsanleihen, die mit 2,25% rentieren als Immobilien, die an staatliche Mieter vermietet sind und die das Doppelte bringen und dazu noch einen Inflationsschutz?

Ich glaube, der Grund, warum die Versicherungen keine deutlich höhere Immobilienquote haben, ist ganz einfach: Die anderen tun es auch nicht. Der Herden- und Nachahmungstrieb ist bei institutionellen Investoren mindestens ebenso ausgeprägt wie bei Kleinanlegern. Das Motto lautet: Wenn ich das mache, was die anderen auch machen, kann mir niemand ein Vorwurf machen, wenn es schiefgehen sollte. Ich fürchte jedoch, die Sache wird schiefgehen.

Egal ob die Zinsen so niedrig bleiben oder ob wir mittelfristig auf eine Inflation zusteuern – die deutschen Versicherungen werden ein Riesen-Problem bekommen. Die Versicherungskunden übrigens auch. Konnten Versicherungskunden vor der Jahrtausendwende bei monatlichen Sparraten von 100 Euro nach 30 Jahren noch mit einer Rente von gut 114.000 Euro kalkulieren, hat sich die Summe inzwischen fast halbiert. Die ohnehin bei den meisten Bürgern viel zu geringe Altersvorsorge ist nun in einer doppelten Krise: Auf die Krise der gesetzlichen Rentenversicherung folgt die Krise der privaten Rentenversicherung.

Dies sollt eigentlich eine Chance für Anbieter von Immobilienprodukten sein. Schade, dass gerade jetzt auch die offenen Immobilienfonds in einer Krise sind. Die Anbieter geschlossener Fonds sollten ihre Zurückhaltung mit Blick auf Sparpläne überdenken – denn anders werden sie jüngere Anleger, für die das Thema Altersvorsorge wichtig ist, nicht für sich gewinnen können. Konsequenter sollten Anbieter von Fonds darüber nachdenken, wie sie für die Altersvorsorge geeignete Modelle (z.B. Fonds mit Wiederanlageoptionen, thesaurierende Fonds bzw. Fonds mit höherer Tilgung) konzipieren können.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.

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