Wir alle trauern um Guido Westerwelle. Politiker könnten viel von ihm lernen: Seine Orientierung an freiheitlichen Überzeugungen und sein Mut, gegen den Strom zu schwimmen, zeichneten ihn ganz besonders aus.
Ich bin Guido Westerwelle nur wenige Male kurz begegnet. Das erste Mal Ende der 90er Jahre, als ich noch Ressortleiter bei der Tageszeitung „Die Welt“ war. Das letzte Mal sah ich ihn 2013 kurz im „Fitness First“ am Kudamm – wir beide wohnten nicht weit auseinander und besuchten das gleiche Fitnesscenter.
Ich selbst trat der FDP 1995 bei, ein Jahr zuvor war er Generalsekretär der Partei geworden. Ich gehörte damals zum „nationalliberalen“ Flügel und stand mit Alexander von Stahl und anderen gegen den „linksliberalen“ Flügel von Leutheusser-Schnarrenberger.
Durch Westerwelle, ab 2001 Parteivorsitzender, wurde die FDP erst richtig zu „meiner“ Partei. Dabei vertrat er nie „nationalliberale“ Positionen, er war überhaupt kein Bindestrich-Liberaler. Er war ein unerschrockener Streiter für die Freiheit und vor allem für die Marktwirtschaft. Durch ihn wurde die FDP zu der Partei, mit der ich mich in hohem Maße identifizieren konnte. Ebenso ging es vielen, die Mitte der 90er mit mir gemeinsam gegen den sogenannten „Linksliberalismus“ (ein Begriff, der einen Widerspruch in sich selbst darstellt) gefochten hatten. Eines war Westerwelle mit Sicherheit nicht: Ein „Linksliberaler“.
Er verkörperte für mich das, was ich an Politikern schätze: Zuerst und vor allem sein konsequentes Eintreten für die Freiheit, für eine marktwirtschaftliche Orientierung. Damit war er – leider – eine seltene Ausnahme unter bundesdeutschen Politikern. Scharfzüngig, unerschrocken und rhetorisch brillant kritisierte er immer wieder eine Fehlentwicklung, die er als Sozialdemokratisierung der Gesellschaft bezeichnete.
Was mir besonders imponierte, war sein Mut, gegen den Strom zu schwimmen, sich gegen den Mainstream zu stellen. Ein Beispiel dafür ist seine Position zur Kernenergie, die stets sehr viel differenzierter und sachlicher war als es dem grünen Zeitgeist entsprach. Und seine FDP war auch die einzige Partei, die sich weigerte, eine Frauenquote einzuführen.
Vor allem focht er jedoch unermüdlich gegen den immer mehr ausufernden Wohlfahrtsstaat: „Wir alle zahlen gerne Steuern für Bedürftige, aber eben nicht für Findige.“ (2010) „Demokratischer Sozialismus ist so eine Art vegetarischer Schlachthof.“ (2007)
Hier ein Auszug aus einem Bericht von „Spiegel-Online“ über Westerwelles Rede auf dem Dreikönigstreffen der FDP Anfang 2008: „Es habe einen Wandel im Denken und Fühlen gegeben. Das Verteilen sei im Jahr 2007 wieder wichtiger geworden als das Erwirtschaften, der Staat wichtiger als das Private. In den vergangenen zwölf Monaten sei das Pendel nach links ausgeschlagen, die bürokratische Staatswirtschaft habe neue Anhänger gefunden bis in die Reihen der Union hinein. Seine scharfen Warnungen vor dem Wiedererstarken des Sozialismus in Deutschland seien angesichts der politischen Realität noch untertrieben gewesen. Der Linksruck müsse beendet werden… Die Mitte der Union sei der FDP zu links. ‚Verhindern Sie, dass Deutschland links der Mitte regiert wird, das geht nur mit uns!‘ fordert er die Wähler auf. Westerwelles Stimme überschlägt sich in diesem Moment. Freiheit könne auch unbequem sein und persönliche Schmerzen mitbringen, aber diese Freiheit sei ihm lieber als die Bevormundung durch den Staat.“
Scharf positionierte er die FDP gegen die Linke: „Wer Deutschland für kapitalistisch hält, der hält auch Kuba für demokratisch.“ (2005) Oder: „Ich habe nicht für die deutsche Einheit gekämpft, damit heute Kommunisten und Sozialisten was zu sagen haben.“ (2008).
Sein Mut, die freiheitliche Position auch gegen den sozialdemokratisch-grünen Zeitgeist zu verteidigen, war eine der Ursachen für den grandiosen Erfolg der FDP, die 2009 14,6 Prozent der Stimmen erzielte.
Dann machte er zwei entscheidende Fehler: Erstens wurde er, anders als von vielen erwartet, nicht Bundesfinanzminister, sondern Außenminister. Dabei passte dieses Amt so gar nicht zu ihm. Das sagte ich ihm auch, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Westerwelle war nicht der geborene Diplomat, sondern der geborene Kämpfer.
Sein größter Fehler war jedoch, dass er nicht aus der Bundesregierung ausschied, als er erkennen musste, dass die FDP ihre Ideen nicht einmal ansatzweise in der Merkel-Regierung durchsetzen konnte. Zu seiner Verteidigung muss man allerdings sagen: Nicht anders als ihm ging es zahllosen erfahrenen CDU-Politikern (wie etwa Friedrich Merz), die von Angela Merkel machtpolitisch ausgetrickst wurden. Wenn ein Politiker mit starken Überzeugungen auf eine machiavellistische Politikerin trifft, deren einzige Überzeugung im Grunde darin besteht, dass sie um jeden Preis regieren will, dann hat er schlechte Karten. Als er dies erkannte, wäre es richtig gewesen, die Koalition zu verlassen.
Die Wähler, die 2009 mit 14,6 Prozent FDP gewählt hatten, nahmen es der Partei übel, dass sie so gut wie nichts von ihren liberalen und marktwirtschaftlichen Ideen in der Regierung durchsetzte. Sie bestraften die FDP hart, die im Oktober 2013 an der 5 Prozent-Hürde scheiterte.
Was die FDP unter Westerwelle groß machte, war ihr unerschrockenes Eintreten für marktwirtschaftliche Prinzipien. Dabei irritierten ihn weder der Gegenwind durch linke Medien noch die zunehmende Verbreitung des sozialdemokratisch-grünen Zeitgeistes in allen Parteien, einschließlich der CDU. Heiner Geißler, der für mich die Vergrünung und Sozialdemokratisierung der Union verkörpert, nannte Westerwelle einen „Esel“; für die Grünen und Linken in allen Parteien war er die Inkarnation von „sozialer Kälte“, „Neoliberalismus“ und finsterstem Kapitalismus. Seine unermüdlich vorgetragene Forderung, die Steuern in Deutschland massiv zu senken, war für die staatsgläubigen Umverteiler in allen Parteien wie das rote Tuch für den Stier.
Von Westerwelles Mut und seiner Prinzipienfestigkeit können wir lernen. Westerwelle fehlt allen Menschen, denen die Freiheit der wichtigste Wert ist.
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