„Wut auf den Kapitalismus“: Attacke auf die Reichen

Erschienen am 16. März 2019

„Die neue Wut auf den Kapitalismus“, so lautete unlängst die große Überschrift auf der ersten Seite der „Zeit“. In dem Artikel heißt es, nicht ohne Sympathie für diese Positionen: „Der Angriff auf das Kapital läuft auf breiter Front… Es wird also ungemütlich für die Reichen – wenn nicht am Ende doch wieder andere die Rechnung bezahlen.“

70 Prozent Reichensteuern in den USA?

Sogar im Herzland des Kapitalismus geraten Reiche zunehmend in die Defensive. Eine repräsentative Befragung durch das Institut Ipsos MORI zeigt, dass jüngere Amerikaner Reiche äußerst kritisch sehen – ganz anders übrigens als ältere Amerikaner. Während vier der fünf von jungen Amerikanern am häufigsten genannten Persönlichkeitsmerkmale reicher Menschen negativ sind (Materialismus, Überheblichkeit, Gier, Egoismus), überwiegen bei den älteren Amerikanern mit vier von fünf Zuordnungen die positiven Beschreibungen (Fleiß, Intelligenz, Einfallsreichtum, Wagemut) von Reichen.

Die demokratischen Bewerber für den Präsidentschaftswahlkampf 2020 in den USA setzen auf die Anti-Reichen-Stimmung unter jungen Amerikanern. In der „Zeit“ erklärt der linke französische Ökonom Thomas Piketty („Das Kapital im 21. Jahrhundert“) stolz, dass zwei ihm nahestehende Ökonomen das Wirtschaftsprogramm der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Elisabeth Warren geschrieben hätten, die die Reichen zur Kasse bitten will. Und dies sei erst der Anfang, so verkündet Piketty optimistisch: „Die von Warren jetzt vorgesehenen Steuersätze lassen sich auf fünf bis zehn Prozent pro Jahr für Multimilliardäre ausweiten. Schon jetzt scheint sicher, dass diese Debatte im US-Wahlkampf des Jahres 2020 eine Schlüsselrolle spielen wird. Die New Yorker Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez schlägt einen Steuersatz von 70 Prozent auf die höchsten Einkommen vor. Bernie Sanders fordert einen Satz von 77 Prozent auf die höchsten Erbschaften. Warrens Ansatz ist am innovativsten, aber alle drei Vorschläge ergänzen sich und können sich gegenseitig bereichern.“ Soweit Thomas Piketty, der einst den französischen Präsident Francois Hollande beriet.

Frankreich: Die Wut der Gelbwesten

Zur Erinnerung: Francois Hollande führte 2013 in Frankreich eine „Millionärsteuer“ in Höhe von 75 Prozent für Einkommen über eine Million Euro ein. Hollande, der alle Franzosen oberhalb eines Nettoeinkommens von monatlich 4000 Euro als „reich“ bezeichnet hatte, wurde bekannt für seinen Satz: „Ich mag die Reichen nicht.“ Er selbst leistete sich indes einen Friseur, der in seiner Amtszeit 600.000 Euro bekam. Inzwischen regiert Emmanuel Macron, der zwar unter Hollande Wirtschaftsminister war, aber dessen Reichensteuer ablehnte. Er bezeichnete sie als „Kuba, nur ohne Sonne“. Aber Macron wird derzeit erbittert durch die sogenannte „Gelbwesten-Bewegung“ attackiert. Eine der zentralen Forderungen der „Gelbwesten“ ist eine radikale Besteuerung der „Reichen“, gegen die sich ihre Wut richtet. Vor einigen Wochen machte die Gelbwesten-Bewegung Schlagzeilen, weil aus ihren Reihen ein jüdischer Philosoph antisemitisch beschimpft wurde.

Großbritannien: Reichenhass mit antisemitischer Note

Die neue Wut auf den Kapitalismus und die Reichen ist ein internationales Phänomen. In Großbritannien wird sie geschürt vom linken Vorsitzenden der Labour-Party, Jeremy Corbyn, der Reiche mit drastischen Steuern belegen will. Wie so oft in der Geschichte verbinden sich bei Corbyn Reichenhass und Antisemitismus. Jüngst traten mehrere Abgeordnete aus seiner Labour-Fraktion aus – aus Protest gegen Corbyns Antisemitismus. Vorbild für Corbyn ist Hugo Chávez, der Venezuela auf den Weg zum „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ führte. Noch im August 2015 schrieb Corbyn auf seiner Website: „In Venezuela ist die bolivianische Revolution in vollem Gange und liefert Inspiration für einen ganzen Kontinent… Venezuela ist dabei, ernsthaft die Armut zu besiegen, indem es nachdrücklich die neoliberale Politik der internationalen Finanzinstitutionen zurückweist. Der Erfolg einer radikalen Politik in Venezuela wird durch die Unterstützung für die Ärmsten, die Freilegung von Ressourcen, aber vor allem durch die Bildung und Beteiligung der Bevölkerung erreicht. „

Deutschland: „Wir wollen die Investoren vertreiben“

Auch in Deutschland wird die Stimmung gegen „gierige Banker“, „raffgierige Manager“ und generell gegen „die Superreichen“ geschürt. Die Wohnungsmieten sind in Berlin und anderen deutschen Städten in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Dafür werden Sündenböcke gesucht. Und die Sündenböcke sind die privaten Vermieter. Auf der Mai-Demonstration im vergangenen Jahr waren Schilder mit der Aufschrift „Kill your landlord“ zu sehen. Im April beginnt in Berlin ein Volksbegehren, das sich zum Ziel gesetzt hat, alle privaten Wohnungseigentümer, die mindestens 3000 Wohnungen besitzen, zu enteignen. Die „Entschädigung“ soll dabei weit unter dem Verkehrswert liegen, so dass nicht einmal die Bankverbindlichkeiten der Immobilieneigentümer abgedeckt wären. Faktisch wäre es eine entschädigungslose Enteignung. Der Sprecher der Initiative erklärte in einem Interview: „Wir wollen die Investoren aus der Stadt vertreiben.“ Nach Umfragen sympathisiert die Mehrheit der Berliner mit dieser Initiative.

Aber es soll nicht bei Eigentümern wie der „Deutschen Wohnen“ bleiben, die mehrere Tausend Wohnungen besitzen. Die Initiative droht auf ihrer Webseite bereits jetzt kleineren Vermietern: „Die kleinen Miethaie schauen auf den großen Miethai und nehmen ihn als Vorbild. So wird auch eine Niederlage des großen Miethais für die Kleineren eine Lehre sein. Deutsche Wohnen das Handwerk zu legen nützt allen Mieterinnen und Mietern in Berlin, die vom Mietenwahnsinn betroffen sind.“ Also: Auch der „kleine Miethai“ (= kleiner Privatvermieter) soll nicht ungeschoren davon kommen, er kommt als nächstes dran.

Deutsche anfällig für Sündenbockdenken

Die Institute Allensbach und Ipsos MORI führten im Mai und Juni 2018 eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe in Deutschland, den USA, Großbritannien und Frankreich durch. Den Befragten wurde unter anderem folgende Aussage vorgelegt: „Superreiche, die immer mehr Macht wollen, sind schuld an vielen Problemen auf der Welt, z.B. an Finanzkrisen oder humanitären Krisen.“ In Deutschland ist die Zustimmung zu dieser Sündenbock-Aussage mit 50 Prozent doppelt so hoch wie in Großbritannien und den USA (25 bzw. 21 Prozent). Das lässt vermuten, dass sich Aggressionen gegen Reiche und die Bereitschaft der Politik, gegen diese vorzugehen, in einer akuten Finanz- oder Wirtschaftskrise in Deutschland eher mobilisieren ließen als in den angelsächsischen Ländern. In Frankreich liegt die Zustimmung bei 33 Prozent.

Insgesamt ist jedoch laut der Umfrage der Sozialneid gegen Reiche in Frankreich am stärksten. Danach folgt Deutschland. In den USA und besonders in Großbritannien ist der Sozialneid gegen Reiche deutlich geringer – nur die jungen Amerikaner sind, wie oben erwähnt, eine Ausnahme.

Doch auch in den USA ist zu beobachten, dass „Kapitalismus“ immer mehr zu einem „bad word“ wird, während „Sozialismus“ zunehmend einen guten Klang hat. Dafür gibt es zwei Gründe: Für die jungen Menschen ist der Sozialismus Geschichte. Wer heute 30 ist, wurde geboren, als der Sozialismus in der Sowjetunion und Osteuropa zusammenbrach. Und in der Schule lernen die Schüler wenig über das Versagen des Sozialismus und die Verbrechen in kommunistischen Ländern.

Der zweite Grund ist die Finanzkrise von 2008: Nach herrschender Deutung war die Finanzkrise angeblich Ausdruck von „Marktversagen“. Da die Ursachen der Krise sehr komplex waren, haben nur wenige Menschen verstanden, was wirklich passiert ist. In solchen Krisen mit komplexen Ursachen werden stets Minderheiten gesucht, die man als Sündenbock dafür verantwortlich machen kann. Und, wie so oft in der Geschichte, sind die Reichen als beneidete Minderheit ein idealer Sündenbock.

Während die Medien bei anderen Minderheiten (z.B. bei Moslems) stets davor warnen, alle Angehörigen unter „Generalverdacht“ zu stellen und pauschal mit negativen Urteilen zu belegen, wird genau dies bei Reichen gemacht: Wo immer ein Manager versagt hat und dennoch hohe Abfindungen bekommt, wird das verallgemeinert und bestätigt die Stereotypen über die „raffgierigen Reichen“.

*Der Artikel erschien zuerst im „Mannheimer Morgen“

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.