Jahreskongress der STUDENTS FOR LIBERTY:
Libertäre in den USA im Aufwind und zwischen allen Fronten

Erschienen am 20. Januar 2019

Aus deutscher Sicht nehmen wir in den USA nur Trump und seine linken Gegner von den Demokraten wahr. Doch es hat sich eine starke libertäre Bewegung als dritte Kraft entwickelt. Teil davon sind die „Students for Liberty“, die am vom 17.-19. Januar in Washington ihre internationale Jahrestagung Libertycon abhielten. Rainer Zitelmann war einer der Sprecher der Tagung – hier sein Bericht:

Wolf von Laer, ein Deutscher, der als CEO weltweit die Vereinigung leitet, hält ein Che Guevara-T-Shirt hoch: „Das trugen die Studenten, als ich studierte. Es zeigt einen Massenmörder.“ Die Students for Liberty tragen andere T-Shirts: „Peace, Love, Liberty“ oder „Less Marx more Mises“. Und Liberty meinen sie umfassend. Hier kommen Themen und Einstellungen zusammen, die man in Deutschland nicht erwarten würde: Unter den Sponsoren sind die „LGBTQ For Liberty“, die sich für die Rechte von Schwulen, Lesben, Transgendern und anderen sexuellen Minderheiten einsetzt, ebenso wie die konservative Heritage Foundation und das Mises Institute, die mit ihren wissenschaftlichen Studien die Überlegenheit des Kapitalismus belegen.

Facebook, Google und Microsoft sind ebenso unter den Sponsoren wie die Atlas Society, die verschiedene libertäre und konservative Initiativen und Think Tanks vernetzt.

Beim Award-Dinner werden Studenten geehrt, die sich besonders ausgezeichnet haben. Beispielsweise Gruppen aus Afrika und Asien, die sich ebenso für den Kampf um die Rechte für sexuelle Minderheiten engagieren wie für den Kapitalismus und für Deregulierung. Ich spreche mit einem jungen kanadischen Mitarbeiter, der die Tagung organisiert hat. Er erklärt mir, wie unsinnig es ist, dass man in Kanada Cannabis-Produkte zwar rauchen darf, aber dass diese nicht im Tee oder in Plätzchen verkauft werden dürfen: So würden Menschen zum Rauchen verleitet. Er setzt sich für Rechte von Konsumenten ein und gegen staatliche Überregulierung im Namen von „Verbraucherschutz“. Als Student hat er seine Abschlussarbeit über den Zusammenhang von wirtschaftlicher Freiheit und Menschenrechten geschrieben, und belegt, dass es in kapitalistischen Ländern besser um die Menschenrechte bestellt ist.

Trump: Libertäre zwischen allen Stühlen
Trump ist ein schwieriges Thema für die Libertären, sie geraten zwischen alle Fronten. Beim Empfang erklärt mir ein junger Mann, der in der Fundraising-Abteilung der Cato-Stiftung arbeitet, dass Trump bei Spendern hochgradig polarisiert: „Die einen kritisieren uns dafür, dass wir nicht kritisch genug sind gegen Trump, die anderen dafür, dass wir ihn zu stark kritisieren.“ Dass Trump gegen den Freihandel ist und Unternehmen diktieren will, wo sie investieren sollen, stört ihn; dass Trump sich nicht um Political Correctness kümmert, gefällt ihm. Ein anderer Mitarbeiter einer Stiftung sagt mir, er sei 70 Prozent gegen Trump und 30 Prozent für ihn. Mit solchen differenzierten Einstellungen hat man es als Libertärer heute nicht leicht. Die Trump-Anhänger erwarten ein 100%-Bekenntnis zu ihm, die Trump-Kritiker eine 100%-Verdammung.

Beim Dinner diskutieren Wissenschaftler der Harvard- und der Georgetown-University zum Thema: „The Constitution in the Trump Era“. Frage: Gefährdet Trump die grundlegenden Freiheiten der amerikanischen Verfassung? Die Meinungen gehen auseinander. Einerseits wird darauf verwiesen, dass die „Checks and Balances“ nach wie vor funktionieren, andererseits wird auf Gefährdungen hingewiesen.

Wahrscheinlich ist es das Schicksal der Libertären, zwischen allen Stühlen zu sitzen. Aus Sicht der Linken sind sie zu rechts (und vor allem zu pro-kapitalistisch), aus Sicht der Rechten zu links. In der Haltung zur Einwanderung oder zur Kriminalitätsbekämpfung werden oft Positionen vertreten, die mich an weltfremde Vorstellungen der Grünen in Deutschland erinnern. Hier stehen Positionen, die wir in Deutschland eher Linken und Grünen zuordnen würden neben anderen Positionen, die wir in Deutschland Konservativen und Rechten zuordnen würden. Keiner empfindet dies hier als ungewöhnlich oder widersprüchlich.

Sozialismus in den USA auf dem Vormarsch
Vor einem Vormarsch des Sozialismus in den USA warnten Justin Haskel und Donald Kendal vom libertär-konservativen Heartland Institute aus Chicago in ihrem Vortrag „Socialism is Evil“. Laut Umfragen favorisierten in den USA 57 Prozent der Wähler der Demokraten sozialistische Ideen, und auch in der Gesamtbevölkerung fänden sozialistische Ideen inzwischen bei 50 Prozent der Amerikaner Zuspruch, insbesondere bei jungen Amerikanern. Früher sei „Socialism“ in den USA ein „dirty word“ gewesen, doch dies sei inzwischen ganz anders – heute sei für viele „Kapitalismus“ ein „dirty word“. Das unendliche Leid, das sozialistische Systeme über die Menschen gebracht habe, die Millionen Ermordeten und Vertriebenen, seien heute, drei Jahrzehnte nach dem Ende des Kommunismus, weitgehend in Vergessenheit geraten. Ursache für die Fehlentwicklung sei einerseits das amerikanische Bildungswesen, das strategisch von der politischen Linken eingenommen worden sei. Zudem hätten Hollywood-Filme einen Beitrag geleistet, in denen regelmäßig reiche Kapitalisten als Bösewichte dargestellt würden. Nach jedem Scheitern eines sozialistischen Experiments, wie zuletzt in Venezuela, behaupteten die Linken, dies sei noch nicht der „wahre“ Sozialismus gewesen, das nächste Mal werde es besser. So gehe das nun seit Hundert Jahren, so Haskel. Die steigende Popularität linker, sozialistischer Ideen, habe jedoch zu einer starken Gegenbewegung geführt. Für die Libertären ist „Sozialismus“ auch heute das „dirty word“, das es früher für fast alle Amerikaner war.

Intolerantes Meinungsklima an US-Unis
In einem Land, in dem die „Freedom of Speech“ hochgehalten wird, gilt das an vielen amerikanischen Universitäten längst nicht mehr. Dort herrscht ein intolerantes Meinungsklima, das wir auch von deutschen Universitäten kennen – aber in den USA ist es noch sehr viel verrückter. Dort gibt es eine „Shut up“-Bewegung, die radikal dafür kämpft, dass Andersdenkende (also Nicht-Linke) nicht an Universitäten auftreten und keine Vorträge halten dürfen. Werden sie doch einmal von einer der Unis eingeladen, die sich dem Meinungsdiktat widersetzten, dann versuchen Linke, die Veranstaltung zu verhindern und zu sprengen. Intoleranz wird zur Tugend umgedeutet. Hinzu kommt: Professoren an US-Universitäten müssen „Trigger warnings“ ausgeben, wenn die Gefahr bestehen könnte, dass sich irgendjemand durch irgendeinen Text (z.B. aus der klassischen Literatur) verletzt fühlen könnte. Und die linken Studenten sind wie Mimosen; sie fühlen sich durch alles verletzt, was nicht ihrer Ideologie entspricht. Robby Soave von dem libertären Think-Tank Reason hielt einen Vortrag über „Campus Panics“. Mehrere Jahre hat er radikale Studenten in amerikanischen Universitäten für sein Buch „Panic Attack“ interviewt, das im Juni erscheinen soll. Die Studenten, die nicht-linke Meinungen nicht dulden, niederschreien und zum Teil mit Gewalt unterdrücken, seien zwar eine Minderheit, aber oftmals hätten sich die Universitätsverwaltungen mit ihnen „arrangiert“ – teils, weil sie ihnen ideologisch nahe stünden, teils einfach aus Opportunismus, um ihre „Ruhe“ zu haben. Es gibt inzwischen Gegenbewegungen an den Universitäten, zum Teil von sogenannten „Trumpes“, zum Teil von libertären Gruppen. Auch hier hat Trump zu einer Polarisierung geführt, denn nicht wenige Studentengruppen aus dem republikanischen Lager, die noch vor zwei Jahren extrem kritisch gegenüber Trump waren, seien inzwischen zu Trumpes geworden, frei nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Die gute Nachricht: Die zahlreichen linken Gruppen sind ideologisch heillos zerstritten und haben sich in ihren dogmatischen Diskussionen verfangen. Und inzwischen gibt es sogar linke Professoren, denen die extreme Intoleranz der linken Studenten zu weit geht – auch das kennen wir in Deutschland aus den Zeiten der 68er-Revolte.

Steve Forbes über Fake News
Stargast bei der Konferenz war der legendäre Steve Forbes, der das Magazin „Forbes“ gründete, das heute eine Auflage von 900.000 hat. Er kandidierte 1996 und 2000 in den Vorwahlen für die Präsidentschaftsbewerber der Republikaner und setzte sich für eine Flat Tax ein. Sein Vermögen wurde 2017 auf 430 Millionen Dollar geschätzt.

Forbes sprach zum Thema „Fake News“. Er vertrat eine interessante, optimistische These: Man solle die Menschen nicht unterschätzen. Er verweist auf die in den 50er-Jahren verbreitete Theorie der „geheimen Verführung“ durch die Werbung. Ein Buch des Konsumkritikers Vance Packard über die trickreichen Verführungen der Werbung hatte damals für großes Aufsehen gesorgt, aber die Befürchtungen hätten sich als falsch herausgestellt, weil die Menschen zunehmend kritisch gegenüber der Werbung geworden seien. Von dieser Erfahrung zog Forbes die Analogie zu Zeitungen und Nachrichtensendungen: Wenn die vermeintlichen „Gatekeeper“ in klassischen Medien ihre Funktion nicht mehr erfüllten, und dies sei häufig so, dann würden die Menschen eben zunehmend kritischer. Und dies sei gut so. Mit seinem Magazin „Forbes“ sei er online einen anderen Weg gegangen: Heute schrieben dort neben fest angestellten Journalisten 2800 Freiberufliche. Natürlich seien immer auch Beiträge und Autoren darunter, die journalistischen Kriterien nicht entsprechen, aber dies sei auch bei klassischen Medien so (ich dachte dabei an den Fall Relotius). Aber solche Beiträge würden heute, im Internetzeitalter, manchmal schon in Sekundenschnelle durch Leserreaktionen entlarvt. Zudem handele es sich hier nur um eine Minderheit, und auf der anderen Seite stünde der Vorteil, mit einer solchen Offenheit für Beiträge von freien Journalisten die Expertise von Tausenden Menschen zu nutzen, die viel Wichtiges an Nachrichten und Deutungen beizutragen hätten. Steve Forbes wunderte sich, warum die meisten anderen klassischen Medien diese ungeheuren Potenziale ungenutzt ließen.

Bedingungsloses Grundeinkommen?
Die Libertären sind keine einheitliche Bewegung mit einheitlicher Ausrichtung. Sehr viele Themen werden extrem kontrovers diskutiert, so etwa die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Andrew Yang, ein erfolgreicher Unternehmer, dessen Eltern aus Taiwan kommen und der sich 2020 als Präsidentschaftskandidat bei den Demokraten bewerben will, setzte sich vehement für ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1000 Dollar im Monat ein – mit den bekannten Argumenten: Durch die technologische Entwicklung würden immer mehr Arbeitsplätze vernichtet und es sei besser, den betroffenen Menschen unbürokratisch ein bedingungsloses Grundeinkommen zu garantieren als die derzeitigen Sozialleistungen, die mit einer ausufernden und kostspieligen Bürokratie verbunden seien. Seine Idealvorstellung wäre es, die Einkommensteuer abzuschaffen und durch die Mehrwertsteuer zu ersetzen. Der libertäre Ökonom Jeffrey Miron von Harvard widersprach vehement: Schon seit den Zeiten der Maschinenstürmer hätten Menschen befürchtet, die technologische Entwicklung würde Arbeitsplätze vernichten, tatsächlich seien immer wieder neue und andere entstanden. Auch wenn die Menschen stets glaubten, diesmal sei „alles anders“, hätte sich dies bislang stets als Irrtum herausgestellt. Die Kosten für ein bedingungsloses Grundeinkommen seien zudem astronomisch hoch, wie er vorrechnete. Zudem sei es eine naive Illusion, zu glauben, das Grundeinkommen werde an Stelle der bisherigen Sozialleistungen treten. Eher sei zu befürchten, dass massive zusätzliche Kosten entstünden, dabei sei schon das heutige Sozialsystem in den USA nicht mehr finanzierbar. Ähnlich sei es bei der Mehrwertsteuer, die Yang als Mittel zur Finanzierung vorgeschlagen hat: In der Realität würde diese wohl nicht an Stelle der Einkommensteuer treten, sondern hinzukommen.

Wie kommen die Amerikaner wieder zusammen?
Die amerikanische Gesellschaft ist heute so gespalten wie nie und die Intoleranz gegenüber Menschen mit anderer Meinung hat ein erschreckendes Ausmaß erreicht – und zwar auf beiden Seiten, sowohl der Trump-Befürworter wie der Trump-Kritiker. Dies war Ausgangspunkt des Vortrages von Arthur C. Brooks. Er gehört zu den bekanntesten Libertären in den USA. Der Sozialwissenschaftler, Musiker und Kolumnist der „New York Times“ ist Präsident des American Enterprise Institute, eines konservativen Think Tanks. In dieser Situation sei es die wichtigste Aufgabe der Libertären, sich für Respekt gegenüber Andersdenkenden einzusetzen. Der Andersdenkende sei eben nicht der Feind. Auch dann nicht, wenn er für den Sozialismus sei. Die Menschen hätten vergessen, dass es das Wesen einer pluralistischen, freien Gesellschaft sei, dass es eben Menschen gibt, die ganz anders denken und deren Recht es sei, ihre Meinung zu äußern. Heute würden in Amerika Toleranz und Respekt vor Andersdenkenden leider oft als Zeichen der Schwäche gesehen, und die sozialen Medien leisteten dazu einen Beitrag. Die Mission der Libertären sieht er darin, dagegenzuhalten.

Der republikanische Kongressabgeordnete Justin Amash, der den Bundesstaat Michigan vertritt, gehörte ebenfalls zu den Rednern. Er ist einer der bekanntesten dezidiert Libertären im US-Kongress. Sein Befund: Die meisten Amerikaner mögen heute weder die Demokraten noch die Republikaner, und dies sei eine historische Chance für die Libertären. Damit ist indes nicht die gleichnamige Partei genannt, sondern eine parteiübergreifende Bewegung, die inzwischen von zahlreichen Think Tanks und Initiativen getragen wird.

Applaus für Shutdown
Wenn Amash und andere Redner den „Shutdown“ erwähnten, der derzeit die amerikanische politische Diskussion beherrscht, dann kam immer wieder Applaus im Publikum auf. „Shutdown“, also die teilweise Stilllegung des Staates, hat für manche Libertären etwas Faszinierendes. Amash kommentierte diesen Applaus kritisch und meinte, Wähler und Mitarbeiter von Behörden, die keinen Lohn bekämen, würden eine solche Haltung mit Sicherheit nicht goutieren. Amash ist ein Sympathieträger und wendet sich gegen libertären Fundamentalismus. Selbstironie ist ein gutes Mittel dagegen – und der Komödiant Lou Perez brachte die Zuhörer zum Lachen als er meinte: Wir Libertären haben eine Garantie, dass wir mit Sicherheit immer alle vier Jahre todunglücklich sind, nämlich wenn ein neuer Präsident gewählt wird. Egal ob Bush, Obama, Trump oder sonst jemand, wir werden immer unglücklich sein.

 

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.