„Paradise-Papers“
Medien schüren Volkszorn gegen Reiche

Erschienen am 12. November 2017

Datenschutz, ansonsten ein Lieblingsthema von Linken und Grünen, ist auf einmal kein Thema mehr, wenn es um Reiche geht. Medien und Politiker schüren den Volkszorn gegen Reiche.

Ältere erinnern sich noch: 1987 war der Widerstand gegen eine bundesweite Volkszählung ein Thema, das die politische Linke in Deutschland so stark mobilisierte wie sonst nur der Kampf gegen den „Nato-Doppelbeschluss“ oder gegen das vermeintliche „Waldsterben“. Mit der Volkszählung stehe Orwells „1984“ vor der Tür, so wiederholten auch viele Grüne und Linke, als 2011 erneut gezählt wurde. Datenschutz, sicherlich ein berechtigtes Anliegen, ist für sie ein Fetisch geworden, ein heiliges Gut, das zum Beispiel Grund genug ist, gegen Videoüberwachung zu sein. Doch so heilig ist dieses Gut nun wieder auch nicht, wenn es um „Reiche“, „Superreiche“ und „Großkonzerne“ geht. Im Gegenteil: Dann wird das Thema Datenschutz nicht einmal mehr erwähnt, denn bekanntlich gelten allgemeine Bürgerrechte, wie beispielsweise das auf informationelle Selbstbestimmung, für Kapitalisten nicht.

„Paradise Papers“ und Datenschutz
Bei den sogenannten „Paradise Papers“ werden Steuerdaten von Reichen veröffentlicht, obwohl die Journalisten, die das tun, selbst einräumen, dass diese größtenteils nicht gegen Recht und Gesetz verstoßen hätten, sondern überwiegend legale Steuergestaltungen nutzten. Dieses Argument wird jedoch leichtfertig beiseite geschoben, wie Rainer Hank in der FAZ in einem ausgezeichneten Artikel zeigt: „Der Fakt, dass die dokumentierte Steuergestaltung legal ist, wird nicht etwa positiv als mildernder Umstand angerechnet, sondern ist ganz im Gegenteil am Ende der Beweis dafür wie verachtenswert dieses Verhalten sei: ‚Schämt euch!'“

Der Journalist Jakob Augstein, der öffentlich zum Boykott von Unternehmen wie Apple aufruft, räumt selbst ein: „… aber am Ende könnte es sein, dass illegal an den Paradise Papers vor allem ihre Beschaffung ist“. Die illegale Beschaffung wird jedoch von ihm ebenso wenig kritisiert wie die Veröffentlichung der Daten. „Zur Hölle mit den Reichen“ überschreibt er seinen Artikel. Zu Recht wäre die Empörung groß, wenn jemand „Zur Hölle mit….“ irgendeiner anderen Minderheit hetzte. Aber Hass im Internet ist immer dann legitim, wenn er sich gegen Reiche richtet.

Legal, aber nicht „legitim“
Das Totschlagargument lautet: „Diese Steuergestaltungen mögen zwar legal sein, aber sie sind nicht legitim.“ Das hört sich gut an und jeder nickt. Aber wenn man genauer nachdenkt, wird es schwieriger. Denn was legal ist, darüber entscheiden Gerichte. Aber wer entscheidet darüber, was „legitim“ ist? Das „gesunde Volksempfinden“? Die Politiker? Journalisten?

Was wäre denn, wenn morgen ein Journalist einen Finanzbeamten besticht und an eine Liste von Menschen kommt, die zwar Hartz IV-Empfänger sind, aber nebenbei schwarz arbeiten und diese dann ins Internet stellte oder auszugsweise in einer Zeitung veröffentlichte? Wäre das auch in Ordnung?

Vor einigen Jahren konnte man in der „Süddeutschen Zeitung“ lesen: „Die Jobcenter haben 2010 deutlich mehr potentielle Schwarzarbeiter unter den Hartz-IV-Empfängern ertappt. 59.000 Fälle wurden wegen des Verdachts auf Schwarzarbeit an die zuständige Zollverwaltung weitergegeben. 2009 waren es knapp 10.000 weniger. Dies geht aus dem Jahresbericht 2010 der Bundesagentur für Arbeit (BA) über die Grundsicherung für Arbeitssuchende hervor, den die BA im Internet veröffentlicht hat. Demnach wurden auch deutlich mehr Fälle der Staatsanwaltschaft wegen eines ‚begründeten Straftatverdachts‘ übergeben. 2010 geschah dies bei 26.000 Leistungsbeziehern. Im Vorjahr registrierte die Bundesagentur knapp 16.000 entsprechende Fälle.“

Dieser Bericht erschien, ohne dass Namen genannt werden – das ist auch gut so. Und die Schwarzarbeiter, die gleichzeitig Hartz IV beziehen, wurden auch nicht als „asozial“ beschimpft. Genau das macht die „Süddeutsche Zeitung“ jedoch jetzt, die am 11. November die ganze Seite 3 diesem Thema widmet. Hier werden Namen genannt und es wird zum Boykott gegen bezichtigte Firmen wie Apple, Nike und Amazon aufgerufen.

Ich höre schon den Einwand, man könne doch einen kleinen Steuersünder, der schwarz arbeitet, nicht mit einem Reichen vergleichen, der sich legaler Steuergestaltungen bediene. Und warum denn nicht? Weil das eine illegal ist und das andere legal? Nein – im Gegenteil: Das Illegale (also die Steuerhinterziehung) wird als weniger schändlich bewertet als das Legale (also das Nutzen von Steuergestaltungsmöglichkeiten) weil der Täter in einem Fall ja ein armer (= guter) Bezieher von Hartz IV ist und im anderen Fall ein reicher (= böser) Unternehmer.

Wir leben in einer eigenartigen Welt: Gesetzesverstöße, wie z.B. die von Angela Merkel bei der Euro-Rettung, beim Abschalten von Kernkraftwerken oder bei der Öffnung der Grenzen, werden als „legitim“ bezeichnet (weil angeblich Ausfluss einer höheren Moral), aber „Reiche“ werden pauschal unter Generalverdacht gestellt, weil ja das „gesunde Volksempfinden“ bestimme, was „legitim“ ist. Mit rechtsstaatlichem Denken hat das nichts mehr zu tun.

„Asoziale“ und „Skinheads in Nadelstreifen“
Die „Süddeutsche Zeitung“ lässt den Volkszorn kochen. Viele Leser, so lässt die Redaktion auf Seite 3 wissen, seien „sehr leidenschaftlich gewesen in dieser Woche“. Sie hätten den Journalisten „gedankt dafür, dass man ‚die Ungerechtigkeit auf dieser Welt ans Tageslicht bringt‘, haben Steueroasen-Nutzer ‚Asoziale‘ oder ‚Skinheads in Nadelstreifen‘ genannt“. Offenbar macht sich die Redaktion diese Beschimpfungen zueigen, denn die große Überschrift über dem Artikel lautet „Die Asozialen“. Ein Bild zeigt einen Reichen und darunter lautet die Bildzeile: „Die Botschaft der Superreichen ist schlicht: Wir sind dreist, klar, und ihr seid doof.“

Politiker stimmen in die populistischen Parolen ein. Der Hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) leitet eine Pressemitteilung zum Thema ein: „Was zur Vertreibung von Kriminellen oder Tricksern aus Steuerparadiesen beiträgt, ist mir willkommen, so auch die Enthüllungen der Paradise Papers.“ Ansgar Graw kommentiert das in der „Welt“: „Kriminelle und Trickser in einem Atemzug? Erstere verstoßen gegen Recht, letztere nutzen Gesetze in einer Weise, die uns nicht gefallen mag, aber doch weit entfernt ist vom Verbrechertum.“ Solche Stimmen sind in der Diskussion leider die Ausnahme.

Rainer Zitelmann diskutiert am Mittwoch um 22.45 bei Maischberger (ARD) über dieses Thema

Kürzlich erschienen, überall besprochen und beachtet: www.zitelmann-autobiografie.de

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.