„Politische Börsen“ als Dauerzustand – nicht nur in China

Erschienen am 30. Juli 2015

„Politische Börsen haben kurze Beine“, so lautet eine alte Börsenweisheit, die früher auch galt. Leider gilt der Spruch heute nicht mehr. Politische Börsen werden vielmehr zum Dauerzustand. Was derzeit in China geschieht, ist leider nur eine extreme Variante dessen, was wir seit mindestens 15 Jahren zunehmend auch in den USA und Europa beobachten können.

In den Medien wird ausgiebig – und oft mit kritischem Tenor – über die Interventionen der chinesischen Regierung am Aktienmarkt berichtet. Die Regierung in Peking hatte zunächst, seit Ende 2014, durch eine Politik des billigen Geldes und anderer Erleichterungen eine Blase am Aktienmarkt erzeugt. Der Shanghai Composite Index stieg in diesem Jahr von fast 3000 auf über 5000 Punkte. Nach dem Kurseinbruch im Juni intervenierte die chinesische Regierung wiederum. 1400 Aktien wurden vom Handel ausgesetzt, Großaktionären wurde der Verkauf weiterer Papiere verboten. Die Zentralbank förderte Aktienkäufe, Leerverkäufe wurden verboten usw.

Zu Recht werden diese massiven Interventionen des Staates am Aktienmarkt hierzulande kritisiert. Aber leider führt die chinesische Regierung nur das in extremer Weise fort, was seit Jahren gängige Praxis in den USA und Europa ist.

Erinnern wir uns: Nach dem Platzen der New-Economy-Blase um die Jahrtausendwende senkte Alan Greenspan in den USA die Zinsen mehrfach massiv, um die Aktienkurse zu stabilisieren. Die Folge war jedoch die nächste Blase, nämlich am US-Immobilienmarkt. Nachdem diese Blase ebenfalls geplatzt war, wurde wiederum mit gigantischen Interventionen reagiert. Da die Zinsen schon so weit gesenkt worden waren, dass es nicht mehr weiter ging, wurde eine Reihe weiterer neuer Maßnahmen eingeleitet und umgesetzt, so etwa massive Anleihekäufe.

Die EZB, die zunächst eine zurückhaltendere Politik verfolgte, reagierte dann in der Euro-Krise mit ähnlichen Maßnahmen und betreibt bis heute faktisch eine Politik der Staatsfinanzierung, die eigentlich nach ihren Statuten streng verboten ist. Pleitebanken wie in Griechenland werden direkt finanziert und wertlose Anleihen, wie etwa griechische Papiere, werden in großem Stil aufgekauft.

Die Märkte verlieren damit zunehmend ihre eigentliche Funktion als verlässliches Fieberthermometer. Anleihe- und Aktienkurse werden immer weniger von Faktoren wie der Entwicklung der Bonität der Schuldner (Anleihen) oder der erwarteten Entwicklung der Unternehmensgewinne (Aktien) beeinflusst. Stattdessen werden „politische Börsen“ zum Dauerzustand und die Märkte reagieren fast nur noch darauf, was die Politik und die Zentralbanken tun bzw. tun könnten.

Die Interventionen der Regierungen und der Zentralbanken an den Aktien- und Anleihenmärkte, die Politik des „billigen Geldes“ und all die neuen, „innovativen“ Maßnahmen wie etwa das „Quantiative Easing“ führen kurz- und mittelfristig zu einer scheinbaren Stabilisierung, verschlimmern jedoch langfristig die Probleme und bereiten den Boden für eine jeweils noch größere Finanzkrise. Letztlich kann der Markt nicht dauerhaft ausgeschaltet werden, sondern die Marktkräfte werden sich als stärker erweisen als die Zentralbanken und die Regierungen.

Das Paradoxe: Indem die Politik normale Bewegungen an den Börsen – wozu der Aufbau von Blasen ebenso gehört wie deren Platzen – verhindern und die Marktkräfte ausschalten will, verschlimmert sie das Problem dauerhaft. Schon der Ökonom und Nobelpreisträger Hayek hatte in seiner monetären Überinvestitionstheorie nachgewiesen, wie staatliche Interventionen – insbesondere durch die Geldpolitik – zur Ursache massiver Wirtschaftskrisen werden. Aber was die Zentralbanken heute machen, ob in China, Japan, den USA oder in Europa, hätte sich selbst Hayek, der dem Staat so ziemlich alles zutraute, niemals träumen lassen.


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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.