Vermieter als Heuschrecken: Mechanismen der Entmenschlichung

Erschienen am 14. April 2019

Der SPIEGEL bringt auf einer ganzen Seite ein Foto mit einer riesigen kapitalistischen Vermieter-Heuschrecke mit Anzug, Smartphone, goldenen Manschettenknöpfen, goldenen Wohnungsschlüsseln und vor allem riesigen, gierigen Augen.

Auf dem Titelcover des SPIEGEL wird die rhetorische Frage gestellt: „Häuserkampf: Wie viel Kapitalismus verträgt der Wohnungsmarkt?“ Im Heft finden sich auf zwei Seiten Geschichten über Schicksale von Mietern, denen übel mitgespielt wurde. Geschichten, die Mitgefühl hervorrufen. Als Kontrast dazu das große Foto von der kapitalistischen Immobilien-Heuschrecke, die auf einem Haus sitzt, auf dem ein Banner angebracht wurde: „Spekulanten stoppen“. Welche Gefühle ruft die entmenschlichende Heuschrecken-Darstellung von Immobilieneigentümern hervor?

Wie wäre die Reaktion, wenn andere Minderheiten der Gesellschaft – z.B. Zuwanderer – in einer ähnlichen Form als abstoßende Tiere dargestellt würden? Zu Recht wäre die Empörung groß. Vor ziemlich genau einem Jahr demonstrierten linke Gruppen in Berlin gegen steigende Mieten. Auf einem Plakat konnte man lesen: „Kill your landlord“, also: „Töte deinen Vermieter!“ Aufreget hat sich darüber kaum jemand. Es sind schließlich nur Heuschrecken. Der Vorsitzende der Immobiliengesellschaft „Deutschen Wohnen“, die im Mittelpunkt der Enteignungskampagne steht, ist fast nur noch unterwegs in Begleitung mehrerer Bodyguards.

Ergebnisse der wissenschaftlichen Vorurteilsforschung

In der Vorurteilsforschung weiß man seit Langem, dass Minderheiten wahlweise als Tiere oder Maschinen dargestellt werden. Ergebnisse dieser Forschungen habe ich in meinem Buch „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ http://die-gesellschaft-und-ihre-reichen.de/ dargestellt. Hier ein Auszug:

Wissenschaftler untersuchten, wie Menschen andere soziale Gruppen wahrnehmen. Generell neigten wir dazu, Fremdgruppen – im Vergleich zu uns selbst bzw. zur eigenen Gruppe – als weniger menschlich wahrzunehmen. Dabei wird jedoch zwischen zwei unterschiedlichen Wahrnehmungen unterschieden: Es gebe Eigenschaften, die als „menschliche Natur“ („human nature“) bezeichnet werden (diese sind entwicklungsgeschichtlich früher) und solche, die als „einzigartig menschlich“ („uniquely human“) – diese sind entwicklungsgeschichtlich später –  angesehen würden.

Zur menschlichen Natur („human nature“) gehörten danach Merkmale wie:

Neugierig,

freundlich,

lebenslustig,

gesellig,

vertrauensvoll,

aggressiv,

verlegen,

ungeduldig,

eifersüchtig,

nervös.

Als „einzigartig menschlich“ („uniquely human”) wahrgenommen würden:

Großzügig,

bescheiden,

organisiert,

höflich,

gründlich,

kalt,

konservativ,

hartherzig,

schroff,

oberflächlich.

Fremdgruppen, die stärker mit „human nature“-Eigenschaften verbunden werden, würden im Prozess der Stereotypisierung in die Nähe von Tieren gerückt, während Fremdgruppen, die stärker mit „uniquely human“-Eigenschaften assoziiert würden, in die Nähe von Automaten und Robotern gerückt würden. „Darüber hinaus werden die menschlichen Merkmale in unterschiedlichem Grad mit verschiedenen nichtmenschlichen Gruppen assoziiert: Einzigartig menschliche Züge werden eher mit Robotern als mit Tieren assoziiert und Merkmale der menschlichen Natur eher mit Tieren als mit Robotern.“

Entmenschlichung von Minderheiten

Haslam unterscheidet zwischen zwei Formen der „Entmenschlichung“, die damit zusammenhängen, welche Dimension des Menschseins einer Fremdgruppe abgesprochen werde – die „animalische Entmenschlichung“ und die „mechanistische Entmenschlichung“. Diese beiden Formen der Entmenschlichung unterscheiden sich stark voneinander – bei der mechanistischen Entmenschlichung werden Fremdgruppen Emotionalität oder Wärme abgesprochen.

Wenn eine Fremdgruppe als weniger menschlich gesehen werde, dann werde sie in einigen Fällen eher in die Nähe von Automaten gerückt – dies sei vor allem bei Geschäftsleuten der Fall. Bei anderen Gruppen würden eher jene Eigenschaften assoziiert, die mehr gemeinsam mit Tieren haben.

Reiche und Geschäftsleute werden, diese zeigt die Vorurteilsforschung nach dem Stereotype Content Model, entmenschlicht, indem sie in die Nähe von kalten Rechenautomaten und Robotern gerückt werden (insofern ist die Darstellung vom SPIEGEL nicht ganz typisch). Fiske betont: „Diese kalten, aber effizienten Fremdgruppen werden mit Robotern verglichen. Sie werden als Bedrohung wahrgenommen, weil sie wie Automaten wirken. Fremdgruppen, die auf diese Weise entmenschlicht werden, sind eher angsteinflößend als abstoßend. Man denke an Cyborgs. Geschäftsleute und ihre Utensilien, von den Aktentaschen bis zu den Anzügen, verbinden wir gedanklich mit Robotern, vom Androiden bis zur Software. Auf der anderen Seite betrachten wir Geschäftsleute und Roboter gleichermaßen als kalt, konservativ, herzlos und oberflächlich, obwohl wir anerkennen, dass Geschäftsleute auch organisiert, höflich und gründlich sind. Was CEOs und Computern gleichermaßen fehlt, ist das typisch Menschliche: Neugierde, Freundlichkeit, Geselligkeit und Lebensfreude.“

Folgen der Entmenschlichung in instabilen Situationen

Diese Wahrnehmung von Reichen und anderen als „kompetent, aber kalt“ wahrgenommenen Minderheiten als weniger menschlich ist ein Grund, warum ihnen in Zeiten sozialer Unruhe manchmal Leid zugefügt wird. „Im schlimmsten Fall würde eine solche Perzeption die Eliminierung einer Gruppe mit hohem Status rechtfertigen, weil sie eine Gefahr für ‚uns‘ darstellt.“

Beneidete Gruppen werden einerseits als extrem fähig wahrgenommen, andererseits aber als wenig emotional. Die Wahrnehmung als weniger warm ist auch ein Ergebnis der Tatsache, dass leistungsfähigen sozialen Gruppen Kompetenz nicht abgesprochen werden kann – aber dafür „bestraft“ werden, dass sie in Dimensionen von Wärme und Moral schlecht wegkommen. „Menschen sind geneigt, Zielgruppen zu schädigen, für die sie keine Empathie empfinden und von denen sie zugleich annehmen, dass diese nicht über mentale Anteilnahme und Emotionen verfügen.“

Unter stabilen Bedingungen droht beneideten Gruppen weniger Gefahr, aber bei sozialen Unruhen werden sie attackiert. Neid führt nicht nur dazu, dass Menschen mit beneideten Gruppen weniger Mitgefühl haben, keine Empathie für sie empfinden und ihnen nicht helfen, sondern dass sie sogar Freude empfinden, wenn sie diese leiden sehen. Es kommt so einer gefährlichen Spirale, weil die Tatsache, dass beneideten Gruppen Leid zugefügt wird, bei Neidern zu Schadenfreude führt. „Geht aktive Schädigung mit Schadenfreude einher, weist das auf einen gefährlichen Lern- und Verstärkungszyklus, wobei sich die Freude über den zugefügten Schaden verstärkt und die Wahrscheinlichkeit von künftigen wiederholten Aggressionen erhöht. Mit anderen Worten, wenn es ein gutes Gefühl vermittelt, einer beneideten Gruppe aktiv Schaden zuzufügen, wird es wahrscheinlicher, dass diese Angriffe weitergehen.“

Die Folgerung von Harris u.a.: In Zeiten der Stabilität werden die negativen, aggressiven Tendenzen gegen beneidete Gruppen nicht aktiviert – hier arbeiten die Menschen mit diesen bewunderten Gruppen zusammen. Aber: „Leistungsstarke, kompetitive Fremdgruppen mit hohem Status müssen sich der sehr realen persönlichen Gefahren im Fall sozialer Unruhen bewusst bleiben“, denn in solchen instabilen Situationen sind sie gefährdet. Die spezifische Form der “mechanistischen Entmenschlichung” (Hasmal), in der Reiche mit gefühllosen Rechenautomaten assoziiert werden, ist eine Voraussetzung, um – insbesondere in Ausnahmesituationen wie Krisen oder Kriegen – solche Gruppen zu verfolgen oder sogar zu ermorden. Denn mit gefühllosen Rechenautomaten, die zwar fähig sind, aber denen menschliche Werte und Emotionen fremd sind, empfindet man kein Mitgefühl.

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.