Wissenschaftliche Neidforschung: Gibt es auch gutartigen Neid?*

Erschienen am 18. März 2019

Manchmal wird argumentiert, Neid müsse nicht unbedingt etwas Negatives sein, denn es gebe auch eine gutartige Form des Neides. Was sagt die wissenschaftliche Neidforschung dazu?

Helmut Schoeck wendet sich ausdrücklich gegen diese Auffassung. Der Neid gehöre zur menschlichen Existenz, aber fast alle Kulturen – etwa durch ihr Stammesethos – und alle Religionen hätten den Neid und den Neider verurteilt. „Er wird immer als Gefahr erkannt. Sehr selten, etwa in manchen Gedichten, wird Neid als Ansporn, als etwas Hohes oder Konstruktives angesprochen; es handelt sich aber dabei um eine falsche Wortwahl des Dichters, der ein agonales Phänomen meinte. Der eigentliche Neider schließt sich von vornherein vom Wettbewerb aus.“

Neid sei ein Aggressionsgefühl, das sich seiner Impotenz bereits bewusst sei und von vornherein einen Teil der Aggression, ein gutes Maß der Pein, der Qual, leicht masochistisch, auf das Subjekt selbst lenke. „Man missgönnt den anderen ihre personalen oder materiellen Werte und ist in der Regel fast noch stärker daran interessiert, sie zu vernichten als sie selbst zu erwerben.“

Der Neider sei weniger an einer Überführung irgendwelcher Werte aus dem Besitz anderer an sich selbst interessiert. „Er möchte den anderen beraubt, enteignet, entblößt, gedemütigt, geschädigt sehen, er malt sich aber fast nie im Einzelnen aus, wie eine Übertragung der fremden Güter an ihn selbst möglich wäre. Der reine Typ des Neiders ist kein Räuber oder Schwindler in eigener Sache. Und wenn es sich beim Neid um persönliche Eigenschaften, um Können oder Ansehen eines anderen Menschen handelt, ließe sich ein Raub ohnehin nicht ausführen. Aber der Wunsch, der andere möge seine Stimme, seine Virtuosität, sein gutes Aussehen oder seine Tugend verlieren, lässt sich ohne weiteres hegen.“

Die These vom „gutartigen Neid“

Diese Auffassung blieb indes nicht unwidersprochen. Lange und Crusius unterscheiden zwischen „benign“ und „malicious“ envy, also zwischen gutartigem und bösartigem Neid. In manchen Sprachen werde zwischen beiden Arten des Neides unterschieden – so gebe es im Russischen die Unterscheidung von weißem und schwarzem Neid, im Deutschen zwischen Neid und Missgunst (wobei im Deutschen Neid gleichwohl der Oberbegriff für beide Formen des Neides ist). Gutartiger Neid resultiere in einer Motivation, den eigenen Status zu verbessern und bösartiger Neid in dem Wunsch, dem anderen etwas wegzunehmen oder dessen Status zu verschlechtern. Dispositioneller Neid, so die Autoren, sei: „[…] eine auf Vergleichen basierende Charaktereigenschaft, die zu Frustration führt, wenn eine Person mit einem höheren Standard konfrontiert wird […] Im Allgemeinen ist das funktionelle Ziel des Neids, den Unterschied zwischen der eigenen und der beneideten Person zu nivellieren. Im Falle von gutartigem Neid versucht der Neider zum Beneideten aufzuschließen, während der Neider bei boshaftem Neid versucht, den beneideten Menschen herunterzuziehen.“

Die Autoren benennen drei häufig verwendete Tests bzw. Skalen, die Neid messen – am bekanntesten ist die Dispositional Envy Scale (DES). Sie kritisieren, dass diese Tests nicht zwischen beiden Arten von Neid unterschieden, sondern meist nur den bösartigen Neid messen. Sie haben daher eine eigene Skala mit zehn Fragen entwickelt, die es erlaubt, zwischen gutartigem und bösartigem Neid zu unterscheiden.

Typisch für Antworten zum gutartigen Neid ist etwa diese Aussage: „Wenn ich andere beneide, fokussiere ich mich auf die Frage, wie ich künftig ebenso gut werden kann.“ Typisch für Antworten zum bösartigen Neid ist etwa diese Aussage: „Ich wünschte, die mir überlegenen Personen sollten ihre Vorteile verlieren.“

Parrott unterscheidet zwischen „nicht-bösartigem“ und „bösartigem Neid“ („nonmalicious“ und „malicious envy“). Nichtbösartiger Neid bedeute, dass jemand sagt: „Ich wünschte, ich hätte das, was du hast.“ Dagegen bedeute bösartiger Neid, dass jemand sage: „Ich wünschte, du hättest das nicht, was du hast.“ Bösartiger Neid sei rein destruktiv: „Jemand mit bösartigem Neid wünscht sich, dass dem Beneideten das wunderschöne Auto gestohlen oder beschädigt werde, dass die Lichtgestalt entlarvt oder getötet werde, dass das schöne Gesicht verdeckt oder entstellt werde. Beim bösartigen Neid wird nicht notwendigerweise das begehrt, was der andere hat – sondern lediglich gewünscht, dass es dem anderen weggenommen wird.“

Die These, dass „gutartiger“ (benign) Neid eher einen Ansporn darstelle als Bewunderung für andere Menschen, vertreten Ven u.a. in dem Beitrag „Why Envy Outperforms Admiration“. Bewunderung für jemand anderen sei – anders als der schmerzvolle Neid – zwar ein gutes Gefühl, aber seltener Ansporn, um sich selbst zu verbessern. Zwar könne Bewunderung manchmal motivieren, räumen die Autoren ein, doch führe sie häufig zu Passivität. Bewunderung, die sich in der Anerkennung erschöpfe, wie außerordentlich gut ein anderer sei, führe eher zu einem passiven Verhalten. Von den drei Möglichkeiten des sozialen Aufwärts-Vergleichs (gutartiger Neid, bösartiger Neid, Bewunderung) motiviere am ehesten der gutartige Neid dazu, sich selbst zu verbessern.

Gegen diese These sprechen die Ergebnisse der oben zitierten empirischen Langzeituntersuchung über Neidempfinden aus Australien. Die Studie zeigte, dass sich Neid negativ auf das Wohlbefinden der Menschen auswirkt und dass es im Übrigen keinen empirischen Beleg dafür gibt, dass sich Neid vorteilhaft auswirkt – etwa als Motivation für späteren ökonomischen Erfolg.

„Gutartiger Neid“ – ein Widerspruch in sich

D’Arms und Herr lehnen die Unterscheidung zwischen gutartigem und bösartigem Neid ab. Sie bestreiten, dass es so etwas wie „benign envy“ gebe. Schon Kant definierte Neid als Hang, das Wohlergehen des anderen mit negativen Gefühlen zu betrachten. Neid ziele darauf, das Glück des anderen zu zerstören. Die Idee des gutartigen Neides komme aus dem alltäglichen Sprachgebrauch („was für ein tolles Haus, ich beneide dich darum“). Es sei jedoch häufig so, dass im alltäglichen Sprachgebrauch nicht präzise zwischen Emotionen unterschieden werde. Zum Neid gehöre nicht nur, das Gut des anderen zu begehren, sondern entscheidend sei der Wunsch, dass dieser das Gut, den Vorteil oder den Status verlieren möge. „Gutartiger Neid“ sei deshalb ein Widerspruch in sich.

Hat der Neidische die Wahl, ob der Beneidete das Gut besitzt oder keiner von beiden, dann bevorzugt er eine Situation, in der keiner von beiden es besitzt. Wenn der Nachbar einen Mercedes gekauft hat und ich bin deshalb neidisch, wird der Neid nicht unbedingt verschwinden, wenn ich mir eine Woche später selbst einen kaufe. Es wird aber sofort verschwinden, wenn der Nachbar seinen Mercedes – aus welchem Grund auch immer – wieder verliert.

Anders als Smith meinen D’Arms und Kerr, Neid sei nicht zwingend mit einem Empfinden der Ungerechtigkeit verbunden. Den Neider störe der Vorteil des anderen, unabhängig davon, ob dieser Vorteil verdient ist oder nicht. Tatsächlich wird der Neidische seinen Neid allerdings damit rechtfertigen, dass der Vorteil des anderen ungerechtfertigt sei, d.h. er wird seinen Neid moralisch verpacken.

Was ist „gerecht“?

Die Unterscheidung, ob Vorteile verdient oder unverdient seien, „gerecht“ oder „ungerecht“, ist aus meiner Sicht wenig zielführend. Jeder betrachtet etwas anderes als gerecht. Im Zweifel betrachtet er Wettbewerbsregeln dann als ungerecht, wenn er der Verlierer ist. Die Chancen sind von Natur aus ungleich verteilt, die Natur sieht kein Konzept der „Gerechtigkeit“ im Sinn von Gleichheit vor, auch nicht im Sinne gleicher Chancen. Beispiel: Eine schöne Frau hat Vorteile bei der Partnerwahl. Ist der Vorteil „verdient“? Die Frau, die weniger attraktiv ist und daher Nachteile bei der Partnerwahl hat, wird es möglicherweise ungerecht finden, dass das Äußere eine so große Rolle spielt.

Der Benachteiligte wünscht sich stets, dass die Regeln des Wettbewerbs anders aussehen sollten. Die weniger attraktive Frau wünscht sich, dass das Aussehen keine so große Rolle spielt, und der Arme, dass Geld in der Partnerwahl ohne Bedeutung ist.

Das, was als gutartiger Neid bezeichnet werde (also Neid ohne Ärger und Feindseligkeit), so argumentieren auch Harris und Solovey, sei besser als „Begehren oder Verlangen“ bezeichnet. Neid habe zwei Aspekte: Der Neider fokussiere sich auf der einen Seite darauf, das wegzunehmen, was der andere besitzt, er empfinde die Ungleichheit als ungerecht. Auf der anderen Seite interpretiere der Neider die Ungleichheit der Situation als Ergebnis seines eigenen Versagens, was sein Selbstwertgefühl bedrohe.

Angesichts der vielfältigen – zum Teil widersprüchlichen – Definitionen von Neid, schlagen Cohen-Charash und Larson eine Definition vor, die allen Konzepten vom Neid gemeinsam ist: „[…] sozialer Vergleich mit negativem Ergebnis, Gefühle des Schmerzes, Verlangen nach dem Objekt des Neids und das Ziel, den Schmerz des Neides zu eliminieren. Diese Elemente werden in allen Abhandlungen über Neid herausgearbeitet und können daher die konsensuale Basis einer Definition von Neid sein.“ Dieser kleinste gemeinsame Nenner aller Neid-Definitionen lautet demnach: „Darum definieren wir Neid als eine schmerzhafte Emotion, die die Überzeugungen beinhaltet, (a) jemandem fehlt ein begehrtes Objekt, das eine andere Person besitzt und (b) das gewünschte Objekt ist wichtig für dessen eigenes Selbstverständnis oder Wettbewerbsposition. Neid beinhaltet die Motivation, die durch ihn ausgelösten Schmerzen zu lindern und den eigenen relativen Status zu verbessern.”

*Dies ist ein Auszug aus dem 4. Kapitel des Buches von Rainer Zitelmann: „Die Gesellschaft und ihre Reichen. Vorurteile über eine beneidete Minderheit“. http://die-gesellschaft-und-ihre-reichen.de/ Dort finden sich auch die Quellenangaben zu den Zitaten.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.