Bürger, seid wachsam! So könnten die Herrschenden die Corona-Krise missbrauchen

Erschienen am 22. März 2020

Eine Redensart sagt: „Das Provisorium wird das Definitive“. Diese Gefahr wird in der Corona-Krise massiv unterschätzt, obwohl es in der Geschichte zahlreiche Beispiele gibt, wie aus „vorübergehenden“ Maßnahmen, die in Notzeiten beschlossen wurden, dauerhafte Änderungen wurden. Die geschichtlichen Erfahrungen – ich werde einige Beispiele anführen – sollte sich jeder Bürger vor Augen führen und wachsam sein.

Glücklicherweise erkennen inzwischen die meisten Menschen die Gefahren, die vom Corona-Virus ausgehen. Zwar gibt es immer noch Besserwisser, die diese Gefahren verdrängen oder bagatellisieren, doch deren Zahl dürfte angesichts der dramatischen Ereignisse weltweit weiter sinken. Auch Politiker, die das Problem anfangs leugneten oder klein redeten (von Jens Spahn bis Donald Trump) wurden rasch durch die Ereignisse oder durch die Opposition gezwungen, ihre Haltung zu korrigieren. Aber eine andere Gefahr wird massiv unterschätzt.

Die unterschätzte Gefahr

Einerseits ist schnelles, entschlossenes Handeln notwendig – daran hat es leider in den meisten Ländern gefehlt, auch in Deutschland. Nur wenige Länder, etwa Taiwan oder Südkorea, haben rasch und entschlossen das Richtige getan. Andererseits birgt die Panikstimmung und die schnelle Reaktion darauf auch die Gefahr, dass Maßnahmen beschlossen werden, die von den Herrschenden dauerhaft zur Beseitigung von grundlegenden Freiheitsrechten genutzt werden. Es gibt nur wenige warnende Stimmen, Torsten Krauel warnt in der WELT: „Und Notstandsklauseln übereilt auf nicht grundgesetzkonformem Weg zu verabschieden, nur um schnell irgendetwas zu tun, frei nach dem Leitmotiv ‚Sicherheit geht vor’ – das darf die Politik sich bei der Gesetzgebung nicht leisten, gerade jetzt nicht. Die Bekämpfung von Corona darf auf gar keinen Fall dazu führen, dass die Politik aus lauter Eile eine juristische Gasse für ein Ermächtigungsgesetz öffnet, mit dem eine böswillige Regierung die Grundrechte auch zu ganz anderen Zwecken als der Wahrung der Gesundheit einschränken könnte.“

Viele Diktaturen in der Geschichte entstanden aus der „vorübergehenden“ Außerkraftsetzung von Rechten in Notsituationen.

Die Diktatur in der Römischen Republik

Die Diktatur war in der Verfassung der Römischen Republik als vorübergehendes Notstandsregime gedacht. Bei akuter Bedrohung durch einen äußeren Feind konnte der Senat den Notstand ausrufen und einen Diktator (dictator) bestimmen, der von einem der Konsuln ernannt wurde. Der Diktator hatte keinen Kollegen, dafür war sein Amt (dictatura) auf sechs Monate befristet. Diese Frist genügte für die militärischen Operationen auch, denn in älterer Zeit wurde in aller Regel nur im Sommer Krieg geführt. Auch die Diktatur Caesars begann befristet, doch nach seiner Rückkehr aus Ägypten im Jahre 46 v. Chr. ließ er sich zum Diktator auf zehn Jahre ernennen. Nach seinem letzten militärischen Erfolg in Spanien wurde er vom Senat schließlich Anfang 44 zum dictator perpetuus (Diktator auf Lebenszeit) ernannt.

Artikel 48 der Weimarer Verfassung

Artikel 48 der Weimarer Verfassung ermöglichte es, in Notzeiten vorübergehend wesentliche Grundrechte der Verfassung außer Kraft zu setzen. Die Nationalsozialisten nutzten diesen Artikel im Jahr 1933 nach dem Reichstagsbrand. Eine auf Grundlage dieses Artikels erlassene Verordnung setzte die wesentlichen Grundrechte dieser Verfassung außer Kraft und ging damit über ihren angegebenen Zweck der „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ weit hinaus. Das Deutsche Reich befand sich in einem förmlich verhängten Ausnahmezustand, der es den Nationalsozialisten ermöglichte, Unterdrückungsmaßnahmen gegen Oppositionelle mit dem Schein von Legalität zu umgeben. Politische Gegner konnten ohne Anklage und Beweise in gerichtlich nicht kontrollierbare „Schutzhaft“ genommen und regimekritische Zeitungen verboten werden. Bei dem im Juni 1933 verhängten Verbot der SPD und der Errichtung des Einparteienstaates war die Verordnung von entscheidender Bedeutung.

Der Solidaritätszuschlag

Man muss jedoch nicht gleich die Errichtung einer totalitären Diktatur befürchten, um die Mechanismen zu erkennen, wie aus zunächst angeblich „vorübergehend“ beschlossenen Maßnahmen dauerhafte werden. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte Solidaritätszuschlag. Er wurde 1991 befristet auf ein Jahr eingeführt zur Finanzierung verschiedener „Mehrbelastungen […] aus dem Konflikt am Golf […] auch für die Unterstützung der Länder in Mittel-, Ost- und Südeuropa […] und den Kosten der deutschen Einheit“. Ab 1995 wurde der Zuschlag (unbefristet) zur Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit eingeführt, besteht bekanntlich bis heute fort und soll nach dem Willen von SPD, Grünen und Linken für Besserverdienende auch dauerhaft bestehen bleiben.

Corona-Bekämpfung als Vorwand

Alle Alarmglocken sollten läuten, wenn Forderungen, die seit Jahren von Politikern erhoben und (zum Glück) nicht umgesetzt wurden, nun unter dem Vorwand der Corona-Bekämpfung erneut auf den Tisch kommen und eingeführt werden. Ein Beispiel ist die Idee von „Eurobonds“ – eine Lieblingsforderung der SPD. Bei dieser Art der Anleihe würden EU-Staaten gemeinsam Schulden am Kapitalmarkt aufnehmen, die aufgenommenen Mittel unter sich aufteilen und gesamtschuldnernisch für die Rückzahlung und Zinsen dieser Schulden haften. Deutschland hat seine Schulden im Verhältnis zum BIP in den letzten Jahren dank der Politik der „schwarzen Null“ reduziert, aber für andere Länder – wie etwa Italien – gilt das Gegenteil. Diese Länder schielen schon immer auf die deutsche Bonität und sind natürlich davon begeistert, dass sie bei Eurobonds direkt davon profitieren können. Die Nutznießer der deutschen Politik der schwarzen Null sollen nun jene Länder werden, die nicht die geringste Haushaltsdisziplin gezeigt haben. Diese Idee wurde nun von der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hervorgeholt und zur Tarnung mit einem neuen Begriff versehen: „Corona-Bonds“.

Gefährlich ist das, weil es in der Natur eines solches Instrumentes liegt, dass es gerade nicht vorübergehender Art ist und nach dem Ende der Krise nicht wieder abgeschafft werden kann.

Misstrauen gegen die Herrschenden

Misstrauen gegen die Herrschenden ist angebracht. Und das gilt insbesondere heute. Meine Furcht, dass die Corona-Krise benutzt wird, um die Demokratie zu zerstören, wäre zu Zeiten von Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Helmut Kohl sehr gering gewesen. Heute haben wir es jedoch weltweit mit Politikern zu tun, für die der Rechtsstaat kein Wert an sich ist. Angela Merkel beispielsweise hat nie ein Verhältnis zum Rechtstaat gefunden und in Krisen – etwa in der Eurokrise, nach Fukushima oder in der Flüchtlingskrise – immer wieder bewiesen, dass sie bereit ist, gegen Recht und Gesetz zu verstoßen. Ihre Einstellung zur Demokratie wurde zuletzt erst in der Bemerkung deutlich, man müsse die Ergebnisse der Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen „rückgängig machen“. Ursula von der Leyen als mächtigste Frau der EU hat bekanntlich eine ähnliche Einstellung. In den USA haben wir einen Präsidenten, dessen Bewunderung für Autokraten bekannt ist und bei dem ich nicht darauf vertrauen würde, dass er die Notsituation der Corona-Krise nicht dafür missbrauchen könnte, Freiheitsrechte abzuschaffen. Von Politikern wie Putin und Erdogan müssen wir gar nicht erst reden – sie haben auch ohne die Corona-Krise schon fast alle Freiheitsrechte beseitigt. Misstrauen gegen die Herrschenden ist also dringender denn je.

Verschwörungsspinner wollen uns sogar weiß machen, die Corona-Krise sei „gemacht“ worden, um solche Ziele zu erreichen oder all dies sei gar eine Erfindung finsterer Mächte mit einem geheimen Plan. Das ist Blödsinn. Die Corona-Gefahr ist real. Aber die Herrschenden könnten die Gelegenheit nutzen, um dauerhaft Freiheitsrechte zu beschränken oder – wie mit den Eurobonds – unserem Land dauerhaft erheblichen Schaden zuzufügen. Die geschichtlichen Erfahrungen sollten uns eine Lehre sein.

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.