Das Geheimnis mit dem Gendersternchen*
Warum heißt es nicht „TerroristInnen“?

Erschienen am 7. Januar 2017

Meine zweite politisch korrekte Woche beginnt mit einem Sprachkurs. Ich lerne, warum „Migranten“ falsch ist, „MigrantInnen“ schon besser, aber nur „Migrant*innen“ richtig. Ziemlich stolz war ich, als ich endlich begriffen hatte, warum man (frau) politisch korrekt dennoch „Terroristen“ schreibt – und nicht etwa „Terrorist*innen“ oder „TerroristInnen“.

Ich engagiere eine SprachlehrerIn

Ich hatte an dieser Stelle von meiner ersten politisch korrekten Woche berichtet. Um die Leser, die das erste Stück nicht gelesen haben, auf den Stand zu bringen: Wegen des weltweit grassierenden Rechtspopulismus hatte ich mich entschlossen, genau ab dem 1.Januar 2017 nur noch politisch korrekt zu denken, zu sprechen und zu fühlen: Politisch korrekt ins neue Jahr – Erfahrungsbericht: Meine korrekte Woche

Es hatte sich herausgestellt, dass das viel schwieriger ist, als ich zuerst dachte. Also entschloss ich mich, am Beginn der zweiten Woche die Sache etwas systematischer anzugehen und einen Sprachlehrer in politischer Korrektheit zu engagieren. Am Beginn der ersten Stunde klärte mich mein Lehrer auf, dass er gar kein Lehrer sei, sondern eine Lehrer*in.

Ich lerne politisch korrekt zu schreiben

Als ich fragte, was das denn mit dem * auf sich habe, lächelte er nur mitleidig. „Hm, du hast noch sehr viel zu lernen. Vor allem solltest du erst einmal richtig schreiben lernen.“ Da war ich jetzt doch ein wenig beleidigt und traute mich, trotz der strengen Miene des Lehrers, zu widersprechen: „Also, ich weiß ja, dass ich in politischer Korrektheit noch eine Menge zu lernen habe. Aber schreiben??? Ich habe gerade mein 19. Buch geschrieben und schreibe täglich seit 50 Jahren. Ich weiß nicht so recht…“ Mein Lehrer erwiderte: „Du hast bisher nur geglaubt, du könntest richtig schreiben. In Wahrheit verrätst du mit deinem schlechten, unaufgeklärten Deutsch, wie unsensibel du gegenüber Frauen, Transgendern und allen anderen Geschlechtern bist.“ Nun gut, unsensibel wollte ich bestimmt nicht sein, und schon gar nicht gegen Frauen oder Transgender. Zum Glück hatte mein Lehrer Geduld und Verständnis dafür, dass Jahrzehnte, die ich diskriminierend gedacht, gefühlt und geschrieben habe, nicht von heute auf morgen auszumerzen sind.

Warum „MigrantInnen“ nur halb richtig ist

Plötzlich erinnerte ich mich, dass ich mal von dem sogenannten „Binnen-I“ gelesen hatte: Also man sagt „StudentInnen“ oder „MigrantInnen“ oder „FlüchtlingshelferInnen“, um nicht durch die Verwendung der männlichen Form Frauen zu diskriminieren und auszugrenzen. Stolz schrieb ich also „FlüchtlingshelferInnnen“ in mein Schulheft. „Naja“, seufzte mein Lehrer (ich hatte immer noch nicht verstanden, warum es eigentlich eine Lehrer*in ist), „immerhin hast du schon ein wenig politisch korrektes Bewusstsein entwickelt, aber trotzdem diskriminierst du mit deiner Schreibweise immer noch ganze Bevölkerungsgruppen. Und dazu noch solche, die sowieso schon besonders benachteiligt und diskriminiert sind.“ Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Mein Lehrer klärte mich auf, dass die Grünen schon 2015 auf ihrem Parteitag beschlossen hatten, dass das Binnen-I nicht genug ist. „Transsexuelle, transgender und intersexuelle Personen würden so unsichtbar gemacht und diskriminiert“, hieß es in dem Grünen-Antrag. Transgender „unsichtbar“ machen… Hm, also, das leuchtete mir spontan ein, dass das ganz bestimmt nicht politisch korrekt sein könne. Dennoch erschien mir die Sache zunehmend kompliziert.

Ein erleuchtender Artikel aus der „Süddeutschen“

Zudem gebe ich zu, dass ich langsam ein wenig Zweifel bekam, ob das nicht doch ein wenig übertrieben oder esoterisch sei. Mein Lehrer konnte wohl meine Gedanken lesen und überreichte mir mit wichtiger Miene einen Artikel aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 22. November 2015: „Ein Sternchen für alle“. Der Artikel war eingeleitet mit der Bemerkung: „Die Politiker*innen der Grünen wollen künftig ein Gendersternchen setzen, um Diskriminierung zu vermeiden. Schön ist das nicht – aber richtig.“ Nun ja, wenn die „Süddeutsche Zeitung“ das schreibt, also immerhin die Zeitung, in der Heribert Prantl die Leser seit Jahren belehrt, wie man politisch korrekt denkt, dann sollte ich es doch nicht auf die leichte Schulter nehmen. In dem Artikel hieß es, im Regelfall solle man den „Gender-Star“ verwenden, also Bürger*innen oder Student*innen schreiben. Zur Not könne man auch „Bürgerinnen und Bürger“ oder „Studentinnen und Studenten“ sagen oder versuchen, alle Probleme durch Partizipien im Plural zu vermeiden („Studierende“). Aus dem Fernsehen wusste ich ja, dass es seit Jahren kein Politiker mehr wagt, sich an die Bürger oder Wähler zu wenden, sondern stets die „Bürgerinnen und Bürger“ anspricht, sich am Wahlabend (auch wenn er verloren hat), bei den „Wählerinnen und Wählern“ artig bedankt. Als es mir mal langweilig vor dem Fernseher war, hatte ich ausgerechnet, wie viel Stunden Sendezeit es pro Monat verbraucht, immer diese Doppelungen zu gebrauchen. Ich fragte deshalb meine Lehrer*in, ob das vielleicht der tiefere Grund sei, warum die doppelte Ansprache nicht immer verwendet werde, also warum man zum Beispiel nicht von „Terroristen und Terroristinnen“ spricht oder von „Gefährdern und Gefährderinnen“.

Warum „Terrorist*innen“ falsch ist

Zu Beginn meiner zweiten Stunden Sprachunterricht brachte ich mein Heft mit und zeigte meiner Lehrer*in stolz die Seite mit den Hausaufgaben:

Lehrer*innen
Flüchtlingshelfer*innen
Student*innen
Fernfahrer*innen
Holzfäller*innen
Verbrecher*innen
Krankenschwester*innen
Mörder*innen
Terrorist*innen
Professor*innen

Meine Lehrer*in schlug die Hände über dem Kopf zusammen: „Du hast eine Fehlerquote von 30 Prozent und hast bisher geglaubt, dass du – außer in der Zeichensetzung – die deutsche Sprache recht gut beherrscht? Komm‘ mal runter von deiner chauvinistischen Überheblichkeit.“ Das saß. Überheblich wollte ich ja gewiss nicht sein, und chauvinistisch erst Recht nicht, denn das war ja ganz klar frauenfeindlich (und vermutlich sogar menschenverachtend und unsäglich, zwei wichtige Wörter, die ich noch lernen sollte).

Falsch waren die Terrorist*innen, Mörder*innen und Verbrecher*innen, so klärte mich meine Lehrer*in auf. „Ist doch klar, dass frau (er sagte immer „frau“ statt „man“) so was nicht sagen kann. Hast du schon einmal gehört, dass frau von ‚Terroristen und Terroristinnen‘ spricht oder von ‚Gefährder*innen‘?“ Ich gebe zu, dass ich so etwas noch nie gehört hatte. Ich traute mich zu widersprechen: „Also immerhin gibt es auch weibliche Terroristen, ich meine natürlich Terrorist*innen. Grenzt man die nicht aus, wenn nur die männliche Form verwendet wird?“ Ausgrenzen wollte ich nämlich wirklich niemanden mehr, auch keine Terrorist*innen. Vielleicht würden durch den Begriff „Terroristen“ transsexuelle, transgender und intersexuelle Attentäter sogar „unsichtbar gemacht“, wie es im Antrag der Grünen hieß, über den die „Süddeutsche Zeitung“ so positiv berichtet hatte. Und unsichtbare Terrorist*innen sind natürlich besonders gefährlich und können nicht einmal durch Videoüberwachung entdeckt werden.

Eine einfache Gender-Daumenregel

Meine Lehrer*in erklärte mir, dass das alles ziemlich kompliziert sei, aber sie habe eine einfache Gender-Daumenregel, bei der frau nichts falsch machen könne: „Also frau sagt beispielsweise politisch korrekt: ‚Soldaten sind Mörder‘. Aber frau sagt nicht: ‚Soldat*innen sind Mörder*innen‘. Bei negativen Begriffen und bösen Menschen darfst, ja solltest du stets nur die männliche Form verwenden. Das mag dir in deiner patriarchalischen Männer-Logik vielleicht inkonsequent erscheinen. Aber denk doch mal nach: Für all das Unheil, dass Männer in Jahrtausenden angerichtet haben, ist das doch eine wirklich sehr milde Strafe.“ Ich atmete auf. Ja, das leuchtet sofort ein.

In meiner ersten Schulstunde hatte ich eine Menge gelernt – vor allem verstand ich, dass ich noch ganz am Anfang stehe bei der Umsetzung meines Vorhabens, ab 2017 nur noch politisch korrekt zu denken, zu sprechen, zu fühlen und zu schreiben. Ich bewunderte immer mehr Menschen wie meine Lehrer*in, die das alles so sicher und selbstverständlich beherrschen.


24 Besprechungen, Interviews und Artikel zu Rainer Zitelmanns aktuellem Buch "Reich werden und bleiben": http://www.reichwerdenundbleiben.net/

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.