Politisch korrekt ins neue Jahr
Erfahrungsbericht: Meine korrekte Woche

Erschienen am 6. Januar 2017

In einer Welt, wo überall Rechtspopulisten an der Macht sind oder an die Macht drängen, habe ich mir vorgenommen, ein Gegenzeichen zu setzen – und 2017 politisch korrekt zu leben, zu denken und zu sprechen. Nach einer Woche habe ich festgestellt, dass das anstrengender ist, als ich dachte. Ein Erfahrungsbericht.

Ich ändere meine spontanen Reaktionen

Das Schwierigste für mich war es, meine spontanen Reaktionen zu ändern. Nach einem Terroranschlag war ich bisher wütend und traurig. Das bin ich zwar immer noch, aber ich weiß, dass ich jetzt vor allem meine Mitmenschen über einige wichtige Dinge aufklären muss. Also ist meine erste Reaktion jetzt, dass ich auf der Arbeit und im Freundeskreis vorsorglich alle darüber belehre: Erstens ist nicht jeder Moslem ein Terrorist und zweitens darf man auf keinen Fall Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich zwar noch nie einen Menschen getroffen, der jeden Moslem für einen Terrorist gehalten hätte, aber da es ja immerhin sein könnte, dass jemand so etwas denkt, belehre ich vorbeugend jeden darüber, dass das nicht so ist. Worauf ich nicht gefasst war, ist indes, wie viel Fremdenfeindlichkeit und Rassismus es in der Mitte unserer Gesellschaft gibt. Ein Bekannter von mir schüttelte nur verständnislos mit dem Kopf und meinte, zwar sei selbstverständlich nicht jeder Moslem ein Terrorist, aber die meisten Terroristen seien Moslems. Also ich finde, an solchen unsäglichen Äußerungen sieht man doch, wie viel Aufklärungsarbeit noch gegen die Islamophobie zu leisten ist.

Mein Irrtum über Silvester in Köln

Als ich hörte, dass es diesmal an Silvester in Köln und anderen deutschen Städten ruhig blieb und es keine sexuellen Übergriffe gegen Frauen gab, war ich im ersten Moment richtig erleichtert. (Obwohl ich natürlich gleichzeitig dachte, dass es Alltagssexismus und Frauenfeindlichkeit überall und täglich in Deutschland gibt – man muss ja nur mal die sexistische Werbung anschauen, die Minister Maas doch eigentlich längst verbieten wollte.) Im zweiten Moment wurde mir klar, was der Preis für diese Ruhe in der Silvesternacht war: Die Polizei in Köln hatte in rassistischer Weise Nordafrikaner willkürlich schikaniert und kontrolliert. Das war mir zuerst gar nicht bewusst gewesen, aber als Simone Peter von den Grünen dann so mutig den Alltagsrassismus der Polizei anprangerte, schämte ich mich richtig, dass ich mich zunächst ganz naiv über eine ruhige Silvesternacht gefreut hatte.

Einen Moment lang hatte ich auch überlegt, ob es nicht schon ein Beweis von Sexismus der Kölner Polizei sei, dass diese nur männliche Jugendliche kontrolliert hat. Stellt man damit nicht eine Gruppe unter Generalverdacht? Ein politisch korrekter Freund beruhigte mich jedoch, hier müsse ich mir wirklich keine Sorgen machen: Geschlechterdiskriminierung sei nur dann schlimm, wenn sie sich gegen Frauen oder Transgender richte. Diskriminierung von Männern sei dagegen völlig in Ordnung und nur ein gerechter Ausgleich für die seit Jahrtausenden währende Diskriminierung von Frauen in patriarchalischen Strukturen.

Ich verzichte auf meinen Joghurt

Meine Laune wurde aufgehellt, als ich hörte, dass das Bundesumweltamt endlich (!) etwas gegen den bevorstehenden Klima-GAU unternimmt. Oder zumindest eine richtige Forderung erhebt, nämlich die Mehrwertsteuer für Milch und Fleisch von 7% auf 19% zu erhöhen. Das soll, so das Bundesamt, gegen den Klimawandel helfen, damit die Menschen nicht mehr so viele tierische Produkte verzehren.

Bisher fand ich Mehrwertsteuer-Erhöhungen zwar immer falsch, weil sie sozial ungerecht sind und die Schwachen in unserer Gesellschaft am stärksten treffen, während die Besserverdiener mal wieder verschont werden. Was dann dazu führt, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergeht. Aber in diesem Fall sehe ich das anders, denn geht es darum, mit dieser Steuererhöhung etwas gegen den Klimawandel zu tun, also letztlich die Welt zu retten.

Fleisch habe ich zwar bisher schon nicht gegessen, aber das nahm ich jetzt zum Anlass, 100% vegan zu leben. Bisher hatte ich mir nämlich irgendwie noch nicht genügend Gedanken darüber gemacht, dass ich auch durch den Verzehr meines täglichen Joghurts dazu beitrage, dass die Eisbären aussterben. Dabei ist der Zusammenhang doch ganz offensichtlich: Wenn Kühe pupsen, produzieren sie eine Menge Methan. Und tragen damit zur Erderwärmung bei – und damit auch zum Abschmelzen der Pole. Also verzichte ich künftig auf meinen Joghurt. Immerhin hat das einen Vorteil: Ich muss dann nicht mehr ökologisch korrekt die Joghurt-Becher zwecks nachhaltiger Wiederverwendung auskratzen.

Wagenknecht lobt Trump – ziemlich verwirrend

Politisch korrekt zu denken, ist gar nicht so einfach. Manchmal bin ich richtig verwirrt. Sarah Wagenknecht, die ich bewundere, weil sie sich so nachhaltig für soziale Gerechtigkeit und gegen den Kapitalismus einsetzt, hat neulich Donald Trump gelobt. Und der stellvertretende Boss der amerikanischen Autogewerkschaft hat sogar vor Freude geweint, weil Trump es den Großkonzernen endlich mal mit seinen Twitter-Kommandos zeigt und sie zwingt, neue Arbeitsplätze nicht mehr in Mexiko, sondern in Amerika zu schaffen. Eigentlich dachte ich, das sei nur ein weiterer Beleg für den wirklich üblen Rassismus von Trump, aber dann waren da die zustimmenden Kommentare des amerikanischen Gewerkschaftsführers und von Sarah Wagenknecht. Und jetzt bin ich einfach nicht mehr sicher, ob Trump wirklich ein so schlimmer Rassist, Sexist, Klimaleugner, Frauenfeind und überhaupt Menschenfeind ist, wie ich dachte. Also ziemlich verwirrend. Und wirklich anstrengend, nachhaltig politisch korrekt zu leben und zu denken.

Die Willkommenskultur lebt

Und dann gab es doch noch eine wirklich gute Nachricht: Ich hatte manchmal die Befürchtung, Deutschland habe unter dem Eindruck der ausländerfeindlichen Hetze von CSU und anderen Rechtspopulisten seinen Kurs in der Flüchtlingspolitik geändert und sich von der Willkommenskultur verabschiedet. Das machte mir wirklich Sorgen. Und dann kam die gute Nachricht vom Statistikamt: In Deutschland wurden in den ersten drei Quartalen 2016 mehr Asylanträge gestellt, als in den übrigen 27 Staaten zusammengenommen. In der EU wurden insgesamt 988.000 Asylanträge gestellt, davon entfielen rund zwei Drittel alleine auf Deutschland! Da war ich einen Moment richtig stolz auf Deutschland, obwohl ich dann wieder unsicher war, ob Stolz auf Deutschland nicht ziemlich nationalistisch und damit auch wieder politisch unkorrekt ist. Schließlich hatte ich mir geschworen, bei der nächsten Fußball-WM nicht mehr für Deutschland die Daumen zu drücken – und schon gar nicht ein Deutschlandfähnchen an mein Auto zu machen, weil das ja wirklich Ausdruck eines ganz üblen Nationalismus ist.

Ich hoffe nur, dass die Meldung des Statistikamtes nicht auch wieder eine gefakte, also sozusagen „postfaktische“ Nachricht war, man kann ja nie wissen. Schließlich hat sogar Angela Merkel vor postfaktischen Nachrichten gewarnt.


24 Besprechungen, Interviews und Artikel zu Rainer Zitelmanns aktuellem Buch "Reich werden und bleiben": http://www.reichwerdenundbleiben.net/

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.