Gehebelte Lügen und gebrochene Versprechen

Erschienen am 15. November 2011

„Die Lügen-Währung“, so überschrieb ich Ende März meinen Kommentar. Die Zahl der gebrochenen Euro-Versprechen ist gar nicht mehr zu zählen. Und die Halbwertzeit der Verlautbarungen von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble wird immer kürzer.

Kurz vor der letzten Abstimmung im Bundestag kam das Gerücht auf, dass die für den Rettungsschirm vorgesehene Summe „gehebelt“ werden solle. Das wurde sofort lautstark von allen Politikern entschieden dementiert. Nein, einen Hebel werde man ganz bestimmt nicht beschließen… Vergangenen Mittwoch hat man wieder im Bundestag abgestimmt – und zwar genau über diesen Hebel. Wieder war das mit einer Lüge verbunden, nämlich mit der, dass das Risiko für Deutschland dadurch nicht erhöht werde. Man verkauft die Menschen für dumm, wenn man das Risiko nur in der Höhe der im Feuer stehenden Beträge misst (die ja wahrlich groß genug sind), statt hinzuzufügen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass wir dieses Geld zahlen müssen, deutlich erhöht wird. Die Politiker beschimpfen „die Banker“ wegen komplizierter, unverständlicher Finanzprodukte. Und jetzt schaffen sie selbst genau solche Produkte, von denen ich sicher bin, dass sie kaum ein Abgeordneter, der darüber abstimmt, versteht.

Zwar hat der Aktienmarkt zunächst positiv auf die Beschlüsse reagiert, aber viel wichtiger ist die Reaktion am Anleihemarkt. Italien musste kurz nach der Verabschiedung des neuen „Rettungsmechanismus“ über 6% für seine Anleihen bezahlen – und dies, obwohl die EZB mit Käufen italienischer Staatsanleihen Kurspflege betreibt. Niemand weiß, wie der Kurs ohne die Käufe durch die EZB wäre. Und genau dies schürt zusätzliches Misstrauen, da die Marktmechanismen eben teilweise ausgehebelt wurden.

Hier braut sich ein Problem zusammen, das dann nicht mehr so „leicht“ zu lösen ist, wie die griechische Misere. Zwar geht es Italien wesentlich besser als Griechenland, aber die Verschuldung ist immens hoch und die Finanzmärkte werden sich bald intensiver mit Italien befassen. Wenn aber Italien fallen sollte, dann ist es „Aus“ mit dem Euro in seiner heutigen Form.

Der Euro selbst steckt in einer tiefen Vertrauenskrise, die durch die Politik ausgelöst und verstärkt wird – nicht durch „Spekulanten“. Denn inzwischen wurden alle mit dem Euro zusammenhängenden Verträge und Versprechen gebrochen.

– Bei der Einführung des Euro hieß es, der Maastrichter Vertrag werde dafür sorgen, dass der Euro so stabil wie die DM sein werde. Heute ist dieser Vertrag nur noch Makulatur, alle „Maastricht-Kriterien“ wurden mehrfach gebrochen.

– Seinerzeit hieß es, kein Staat müsse für die Schulden eines anderen Staates haften. Dies wurde immer wieder von Politikern wiederholt. Nun befinden wir uns mitten in der Transferunion.

– Die EZB, so wurde versprochen, werde politisch ebenso unabhängig sein wie die Deutsche Bundesbank. Inzwischen ist sie nur noch ein Transmissionsinstrument zur Durchsetzung der politischen Vorgaben.

– Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann wurde von Politikern wüst beschimpft, als er nur vage Zweifel daran anmeldete, ob Griechenland in der Lage sein werde, seine Schulden zurückzuzahlen. Angela Merkel war empört über diese Äußerung. FDP-Wirtschaftsminister Rösler wurde ebenfalls wüst beschimpft, weil er es wagte, zu erwähnen, dass man über eine geordnete Insolvenz Griechenlands nachdenken müsse. Es wurde stattdessen immer mehr Geld in Griechenland gepumpt, was angeblich „alternativlos“ war. Jetzt zeigt sich, dass das zum Fenster hinausgeworfenes Geld war, weil Griechenland am Ende doch pleite ist.

– Deutschland sei der Hauptnutznießer des Euro, so wird monoman verkündet. Tatsächlich ist Deutschland der Zahlmeister, der für die völlig unverantwortliche Haushaltspolitik von Ländern wie Griechenland, Portugal oder Italien haftet. Selbst wenn es wahr sein sollte, dass Deutschland in den vergangenen zehn Jahren stärker als andere vom Euro profitiert hat (ich bezweifle auch das), so ist auf jeden Fall umso mehr wahr, dass der deutsche Steuerzahler in den nächsten Jahrzehnten für die Sanierung von heruntergewirtschafteten Ländern wie Griechenland aufkommen muss.

Seit Währungen nicht mehr durch Gold gedeckt sind, heißt die Deckung „Vertrauen“. Wie sollen Menschen jedoch einer Währung vertrauen, die auf gebrochenen Versprechen und Lügen aufgebaut ist?

Der Euro sei der Garant für ein zusammenwachsendes, einiges Europa, so heißt es immer wieder. Tatsächlich verstärkt er die Spannungen zwischen den Staaten. Deutschland wird zum unbeliebtesten Land Europas. Nicht, weil wir nicht „helfen“, sondern weil die Menschen in Griechenland und anderen Ländern die Deutschen für die sozialen Opfer verantwortlich machen, die sie nunmehr bringen müssen. In Deutschland werden leider bald die Emotionen gegen Griechen und Italiener hochkochen, in Italien und Griechenland kochen die Emotionen gegen die Deutschen hoch.

„Wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa“, so Angela Merkels Glaubensbekenntnis. Sie und andere Politiker malen sogar die Gefahr eines neuen Krieges an die Wand, um die Euro-Rettung zu rechtfertigen. Derzeit sieht es genau umgekehrt aus: Wird der Euro um jeden Preis verteidigt, dann scheitert Europa.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.

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