Warum ich gegen alle Volksentscheide bin

Erschienen am 1. November 2016

Montag Abend: „Hart aber fair“. Diskutiert wurde über Volksentscheide. Vehementer Fürsprecher war Markus Söder (CSU), der einen Volksentscheid zur Obergrenze für die Einwanderung wollte. Dezidiert gegen Volksentscheide auf Bundesebene votierte Wolfgang Kubicki (FDP).

Seien wir mal ehrlich: Für Volksentscheide sind die meisten Politiker immer genau dann, wenn sie erwarten, dass die Mehrheit der Bevölkerung ihrer eigenen Meinung zustimmt. Die Grünen waren stets Vorkämpfer für Volksentscheide – beispielsweise zu Themen wie Kernenergie. Aber wären sie auch für einen Volksentscheid zur Einwanderungspolitik oder zum Verbleib Deutschlands im Euroraum?

Hört man genauer hin, dann wollen die Parteienvertreter keineswegs zu allen Fragen Abstimmungen durchführen. Bestimmte Themen – vermutlich solche, bei denen man befürchtet, keine Mehrheit zu bekommen – sollen auch nach Meinung der Befürworter dann lieber doch nicht zur Abstimmung gebracht werden.

Das ist inkonsequent und unehrlich. Man kann sich nicht aussuchen, dass das Volk über Dinge abstimmt, bei einen man Zustimmung zur eigenen Position erwartet und nicht abstimmen darf, wenn man Ablehnung befürchtet.

Pro und contra Volksentscheide

Was spricht aus meiner Sicht für und was gegen Volksentscheide?

  1. Dafür spricht, dass die Bevölkerung insgesamt weniger „politisch korrekt“ ist als die politische Klasse. Mit den vermutlichen Ergebnissen von Abstimmungen zur Einwanderungspolitik oder zur Euro-Rettungspolitik könnte ich daher sehr gut leben.
  2. Dagegen spricht, dass die Bevölkerung anfällig ist für Sozialpopulismus. Alles, was unter dem Schlagwort „soziale Gerechtigkeit“ verkauft wird, fände wohl breite Zustimmung: Der Mindestlohn, eine Begrenzung von Managergehältern, Vermögensabgabe für Reiche, verschärfte Mietpreisbremse. Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik traue ich der Volksmeinung nicht: Im Zweifel ist man stets dafür, sich bequem aus allem „rauszuhalten“.

Ich bin auch gegen Entscheide auf kommunaler Ebene

Bei „Hart aber fair“ waren sich, trotz kontroverser Meinungen, alle einig, dass Volksabstimmungen auf kommunaler Ebene auf jeden Fall eine gute Sache seien. Auch da bin ich anderer Meinung. Es ist noch nicht lange her, da haben die Berliner sich gegen die Bebauung eines Teiles des ehemaligen Tempelhofer Flughafens mit Wohnungen entschieden – trotz Wohnraumknappheit in der Hauptstadt.

Das ist kein Einzelbeispiel. Flächendeckend werden in Deutschland immer wieder sinnvolle Projekte, zum Beispiel neue Einkaufscenter, durch Volksbegehren verhindert. Mobilisiert wird meistens von einer Koalition aus Gruppen, die Sonderinteressen vertreten (z.B. Einzelhändler, die den Wettbewerb fürchten) und linken Initiativen, die prinzipiell gegen alles sind. Besonders „Großprojekte“ stoßen regelmäßig auf massiven Widerstand. Schon das Wort „groß“ führt reflexartig zur Ablehnung.

Fast alle Parteien sind inzwischen dafür

Ich weiß, dass meine Meinung denkbar unpopulär ist. Bei einer aktuellen Umfrage, die anlässlich der Sendung „Hart aber fair“ in Auftrag gegeben wurde, sprachen sich 71 Prozent der Befragten für bundesweite Volksentscheide aus. Eigentlich sind – (noch) mit Ausnahme der CDU – fast alle dafür, besonders lautstark die Linke, die AfD und die Grünen, aber auch CSU und SPD. Leider auch meine eigene Partei, die FDP. Umso mehr hat es mich gefreut, dass Wolfgang Kubicki in der Sendung bekannte, dass er seine Meinung geändert habe und gegen bundesweite Volksentscheide sei. Vielleicht gibt es ja eine Chance, dass die FDP ihre Haltung noch einmal überdenkt.

Gegenargument „Schweiz“

Zwei Argumente werden für Volksentscheide ins Feld geführt:

  1. In der Schweiz hat sich das Instrument bewährt. Ja, das stimmt. Die Schweizer haben bei den meisten Fragen sehr vernünftig entschieden, was damit zusammenhängt, dass sie eine sehr freiheitliche politische Kultur und Tradition haben. Ich habe jedoch hohe Zweifel, ob das in Deutschland ebenso wäre. So haben sich die Schweizer mehrheitlich gegen eine Begrenzung der Managergehälter auf das 20fache des niedrigsten Lohnes entschieden. Ob das in Deutschland auch so ausgehen würde?
  2. Im Parlament sind sich fast alle Parteien bei vielen entscheidenden Fragen (z.B. in der Euro-Rettungspolitik) einig. Daher bedürfe es eines Korrektivs durch plebiszitäre Elemente. Das finde ich unlogisch: Wenn in den Parlamenten eine aus meiner Sicht falsche Politik beschlossen wird (und so war es oft in den vergangenen Jahren), dann brauchen wir andere Parteien im Parlament und andere Politiker, nicht jedoch Volksentscheide.

Zu den besten Entscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gehören jene, die Politiker gegen die Stimmung eines Großteils der Bevölkerung durchgefochten haben. Ein Beispiel dafür ist das Eintreten Helmut Schmidts für die Nachrüstung im Rahmen des Nato-Doppelbeschlusses. Wäre er hier nicht gegen den Widerstand weiter Teile der Bevölkerung und auch seiner eigenen Partei hart geblieben, dann wäre Ronald Reagan mit seiner Politik vielleicht nicht erfolgreich gewesen und Deutschland wäre immer noch ein geteiltes Land. Ein anderes Beispiel ist das Eintreten von Ludwig Erhard für die Marktwirtschaft in der frühen Nachkriegszeit. Damals herrschte eine starke antikapitalistische Stimmung in der Bevölkerung. Ich bin skeptisch, wie ein Volksentscheid zu der von Erhard vertretenen konsequent-marktwirtschaftlichen Linie damals ausgefallen wäre.

Mehr Rechtsstaat statt mehr Plebiszite

Was wir in Deutschland dringend brauchen, ist nicht „mehr (plebiszitäre) Demokratie“ sondern mehr Rechtsstaat. Statt darüber nachzudenken, wie wir noch demokratischer werden, sollte man nachdenken, wie der Rechtsstaat wieder besser funktioniert. Ob beim Abschalten der Kernkraftwerke, in der Euro-Rettungspolitik oder in der Einwanderungspolitik: Stets wurden in massiver Weise rechtsstaatliche Prinzipien verletzt und bestehende Rechtsnormen und Verträge gebrochen. Leider gibt es eine große Lobby in Deutschland für mehr Plebiszite, aber keine entsprechend starke Lobby für den Rechtsstaat.


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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.