Irrweg Hochschulstudium: Der Fehlstart ins Berufsleben ist für viele junge Menschen programmiert

Erschienen am 30. Oktober 2016

Viele junge Menschen sitzen dem Irrglauben auf, ein Hochschulstudium sei notwendig, um Erfolg im Berufsleben zu haben. Im Jahr 2000 studierten 33% eines Jahrgangs, heute sind es 59%. Doch viele brechen ab und viele, die ihr Studium absolvieren, arbeiten danach in schlecht bezahlten Jobs.

Die „Welt am Sonntag“ greift das Thema in einem lesenswerten Artikel „Der große Uni-Wahn“ auf. „Die Arbeitsbedingungen für junge Akademiker sind oft haarsträubend. Befristete Verträge und Eingangsgehälter von weniger als 2.000 Euro im Monat sind keine Seltenheit.“ Ein Studium ist eine tolle Sache – ich habe sehr gerne studiert. Aber es eignet sich eben nicht für jeden, und wahrscheinlich nicht einmal für meisten jungen Menschen als Einstieg in das Berufsleben.

Bis zu 50% brechen ihr Studium ab

Dass immer mehr junge Menschen Abitur machen und studieren, ist weder eine Folge davon noch hat es dazu geführt, dass die Zahl der begabten und intelligenten Menschen gleichermaßen gestiegen wäre. 60.000 bis 75.000 Studenten brechen jedes Jahr ihr Studium ab, das sind 28 Prozent. In Fächern wie Bauingenieurwesen und Mathematik, wo man sich mit „labern“ nicht durchmogeln kann, liegt die Abbruchquote bei etwa 50 Prozent.

Das Problem sind jedoch nicht nur die Abbrecher, sondern auch jene, die ihr Studium bestehen. Ich habe als Unternehmer über viele Jahre Hochschulabsolventen, die sich bei unserer Firma beworben haben, einen kleinen Ausschnitt des LSAT-Tests durchführen lassen, den Hochschulbewerber in den USA absolvieren müssen. Die meisten sind durchgefallen. Wir haben zudem sogenannte „Schreibtests“ durchgeführt, mit denen wir geprüft haben, ob die Bewerber einen Text von mittlerem Schwierigkeitsgrad verstehen und richtig zusammenfassen können. Auch da fiel ein Großteil der Bewerber durch.

Bei mündlichen Tests merkte ich, dass viele Bewerber Textpassagen auswendig gelernt hatten – für mich ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie die Inhalte nicht verstanden. Heute wird an den Universitäten viel auswendig gelernt, denn das ist die Methode für diejenigen, die intellektuell nicht in der Lage sind, Sachzusammenhänge zu verstehen.

Bereits als Dozent an der FU Berlin Ende der 80er bzw. Anfang der 90er Jahre war ich beim Lesen vieler Hausarbeiten und Abschlussarbeiten verzweifelt. Ich fühlte mich so ähnlich wie ein hochmusikalischer Mensch, der den ganzen Tag Anfängern zuhören muss, wie sie auf einem hoffnungslos verstimmten Klavier spielen. Sätze fangen irgendwo an und hören nirgendwo auf, sind logisch nicht stimmig und zeugen eigentlich nur davon, dass der Student nicht richtig verstanden hat, was er da überhaupt schreibt. Man kann solche Arbeiten kaum redigieren, denn zuvor müsste man erraten, was mit einem Satz gemeint sein könnte, und ihn dann ganz neu formulieren.

Falsche Anreizsysteme führen in die Irre

Warum studieren Menschen, für die das ganz offensichtlich nicht der richtige Weg ist, überhaupt?

  1. Die Anreizsysteme sind falsch. Die „Welt am Sonntag“ analysiert richtig: „Jede Hochschule, die einen neuen Studienplatz meldet, bekommt dafür derzeit 26.000 Euro überwiesen – ganz gleich, ob der Student auf diesem Platz sein Studium erfolgreich abschließen wird oder nach einem Semester wieder abbricht. Viele Hochschulen öffnen ihre Tore, kassieren und kümmern sich dann wenig um ihre Studenten.“
  2. Viele Studenten glauben immer noch, ein Studium sei der beste Weg, ordentlich zu verdienen und Karriere zu machen. Im Durchschnitt mag es stimmen, dass Akademiker mehr verdienen als Nicht-Akademiker. Doch die Berechnungen sind oft fragwürdig, weil die langen Zeiten, während derer man als Student nichts verdient, nicht berücksichtigt werden. Zudem sagen Zahlen aus der Vergangenheit wenig darüber, wie es in Zukunft sein wird.

„Millionaire Dropouts“

Ich empfehle jedem das Buch von Woody Woodward, „Millionaire Droupouts. Inspiring Stories of the World’s Most Successful Failures.“ Dort finden sich 100 Kurzbiografien von Personen, die nicht studiert oder ihr Studium abgebrochen haben, u.a. Steve Jobs (Apple), Ray Kroc (McDonald’s), Steven Spielberg (Erfolgsregisseur) oder James Cameron (Erfolgsregisseur). Im Internet finden Sie mehrere Listen mit reichen und berühmten Personen, die die Schule oder die Universität abgebrochen bzw. nicht studiert haben. Unter A und B finden sich Personen wie etwa der russische Milliardär Roman Abramovich, Paul Allen und Steve Ballmer (Microsoft), Roland Baron (Baron Capital), der britische Milliardär Richard Branson (verließ mit 16 Jahren die Schule), der amerikanische Milliardär Edgar Bronfman und andere. Auch der Google-Gründer Sergey Brin und Warren Buffett schlossen ihr Studium erst ab, nachdem sie schon reich geworden waren.

Das ist nicht nur in den USA möglich. In meinem Bekanntenkreis kenne ich mehrere Personen, die ein Privatvermögen von einigen Dutzend Millionen oder gar einigen Hundert Millionen Euro als Unternehmer verdient haben. Einige davon haben nicht einmal einen Realschulabschluss, sondern nur die Hauptschule absolviert. Einer ist Legastheniker (wie übrigens Richard Branson auch). Ein Freund von mir ist mehrfacher Milliardär geworden – mit einem Realschulabschluss.

Zu wenige Fachkräfte und Unternehmer

Aber die Perspektive, Unternehmer zu werden, kommt in unserem Bildungssystem nicht vor. Nicht einmal BWL-Studenten werden darauf vorbereitet. Ich hatte Freundinnen, die BWL studiert haben und habe deren Studium intensiv verfolgt: Für meine Tätigkeit als Unternehmer war fast nichts von dem brauchbar, was sie dort lernten. Dass ich nicht BWL studiert habe, habe ich während meiner Zeit als Unternehmer und Investor niemals vermisst.

Wir haben in Deutschland zu wenige Fachkräfte (allein in diesem Sommer waren 172.000 Lehrstellen nicht besetzt) und viel zu wenige Menschen, die die Selbstständigkeit wagen und ein Unternehmen gründen. Dagegen werden wir bald – so wie in Südosteuropa – ein Heer von Akademikern haben, die keine ihrer Ausbildung angemessene Arbeit finden.

Ich habe in meinem Leben viele Berufe und Tätigkeiten ausgeübt, die mir große Freude gemacht haben. Mit einigen davon habe ich eine Menge Geld verdient. Ich war (bzw. bin) unter anderem Historiker, Journalist, Cheflektor eines Buchverlages, Versicherungsvertreter, Immobilienmakler, PR-Unternehmer, Seminarveranstalter und Immobilieninvestor. Ein Studium war nur für eine einzige dieser Tätigkeiten (als Historiker) erforderlich. In allen anderen Fällen begann ich als Quereinsteiger – vielleicht oft die bessere, zeitsparende und wirtschaftlichere Alternative.


24 Besprechungen, Interviews und Artikel zu Rainer Zitelmanns aktuellem Buch "Reich werden und bleiben": http://www.reichwerdenundbleiben.net/

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.