Was Merkel nicht versteht: Wer Dublin ändern will, muss es anwenden

Erschienen am 18. Dezember 2015

Die Verhandlungen der 28 EU-Staaten kommen nicht voran: Nur 10 Staaten sind mehr oder minder bereit, Flüchtlinge aufzunehmen. Was Angela Merkel nicht versteht: Wer eine Kontingent-Lösung will, wird die nicht bekommen, wenn er nicht zunächst einmal konsequent das Dublin-Abkommen anwendet.

Oft kann man von Politikern hören oder in den Medien lesen, das Dublin-Übereinkommen gebe es angeblich nicht mehr. Das ist natürlich falsch. Es handelt sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der nicht einfach dadurch ungültig wird, dass sich einer oder mehrere Beteiligte nicht mehr daran halten. Auch ein „Kanzlerwort“ kann keine völkerrechtlichen Verträge aufheben.

In der Rechtswissenschaft werden völkerrechtliche Verträge als „Gesetze der internationalen Gemeinschaft“ bezeichnet, da es im Völkerrecht keinen zentralen Gesetzgeber gibt. Ist ein Vertrag einmal in Kraft, kann er nur im gegenseitigen Einvernehmen wieder geändert oder abgeschafft werden, aber nicht dadurch, dass sich einer oder mehrere Parteien in der Praxis nicht mehr daran halten.

Der Kern des Dublin-Übereinkommens ist, dass der Staat, in den ein Asylbewerber zuerst eingereist ist, das Asylverfahren durchführen muss. Es wird heute argumentiert, dies sei ungerecht gegenüber Ländern wie Italien und Griechenland. Das stimmt. Aber wenn man das ändern will, dann kann das nicht dadurch geschehen, dass Deutschland das Abkommen nicht mehr anwendet und freiwillig den Großteil der Flüchtlinge aufnimmt. Warum sollen die anderen Länder dann überhaupt verhandeln? Es gibt ja aus deren Sicht nicht den geringsten Grund, weil keinerlei Handlungsdruck besteht. Aus ihrer Sicht ist das Problem damit gelöst – es ist dann eben ein deutsches Problem.

Verhandlungen über eine Änderung des Dublin-Abkommens wären nur dann erfolgversprechend, wenn es zunächst einmal konsequent angewendet würde. Dass dies nicht geschieht, ist ein permanenter Rechtsbruch.

Angela Merkel galt immer als geschickte Verhandlerin – wobei ich nach den Erfahrungen der Griechenland-Rettung schon erhebliche Zweifel daran hatte. Diese Zweifel sind nun noch größer geworden.

Selbst wenn Merkel einen „Verhandlungserfolg“ erzielt, dann wird das Ergebnis nicht umgesetzt. Stolz berichtete sie wieder auf dem CDU-Parteitag über ihren Verhandlungserfolg, nachdem 160.000 Flüchtlinge „umverteilt“ werden sollen. Das führt sie seit Monaten immer wieder als großen Verhandlungserfolg an. Tatsächlich wurden jedoch bis heute nur 200 dieser Flüchtlinge umverteilt.

Wer verhandeln will, muss auch etwas in der Hand haben, mit dem er Druck aufbauen kann. Wenn ich schon vor Beginn der Verhandlung freiwillig alle Positionen räume, ist es unmöglich, einen Verhandlungserfolg zu erzielen. Das klingt banal – doch genau diese Banalität wird von Angela Merkel in der Flüchtlingskrise konsequent ignoriert.


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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.