Werft die Demografie-Prognosen in den Müll!

Erschienen am 21. September 2015

Über 310 Veranstaltungen habe ich seit 1998 im Rahmen meiner „Berliner Immobilienrunde“ durchgeführt. Und es verging kaum eine Veranstaltung, die sich mit dem Immobilienmarkt befasste, in der nicht Folien aufgelegt worden wären, die mit demografischen Prognosen argumentierten.

Besonders im Zusammenhang mit Wohnimmobilien-Investments wurde immer wieder über die demografische Herausforderung diskutiert. Dabei hat Tobias Just in seinem verdienstvollen Werk über „Demografie und Immobilien“ eindrucksvoll belegt, dass sich demografische Änderungen im Wohnungsmarkt eigentlich erst zuletzt reflektieren: Denn die Menschen hören viel früher auf zu arbeiten, als zu wohnen. Von „nennenswerten Risiken bei Büroimmobilien“ sprach er deshalb zu Recht.

Auch bei der Diskussion über Chancen und Risiken von Investments im Segment der Einzelhandelsimmobilien wurde in den vergangenen Jahren zunehmend über die Auswirkung der demografischen Entwicklung diskutiert.

Ich empfehle, alles, was wir in den vergangenen Jahren zum Thema „Demografie“ in der Immobilienbranche diskutiert haben, zunächst einmal zu vergessen. Denn die Prognosen stimmten einfach nicht. Das ist nicht den Forschern anzulasten. Sondern es ist ein Ergebnis der Tatsache, dass wir nun einmal nicht in die Zukunft schauen können. In dem oben zitierten und von mir sehr geschätzten Standardwerk von Just werden „zwei Basisprognosen“ erwähnt: Die eine Prognose geht von einer „geringeren Zuwanderung“ mit 100.000 Menschen p.a. aus, die andere von einer „höheren Zuwanderung“ mit 200.000 Menschen. Das Buch erschien 2009.

Allein in den Jahren 2013/2014 betrug der Wanderungsüberschuss jedoch schon etwa 800.000 Menschen, also mehr als doppelt so viel wie in der Prognose „höhere Zuwanderung“ und mehr als vier Mal so viel wie in der Prognose „geringere Zuwanderung“ unterstellt. Für 2015 wird allein mit 800.000 bis 1.000.000 Flüchtlingen gerechnet. Nicht alle werden bleiben. Aber es wird deutlich, dass die „Basisprognosen“ mit 100.000 bis 200.000 sehr, sehr weit an der Realität vorbeigehen.

Meine Empfehlung: Schauen Sie sich bitte noch mal Ihre Folien für die Vorträge auf der Expo Real an. Und werfen Sie alle Folien, die mit demografischen Annahmen arbeiten, in den Müll. Egal woher die Prognosen kamen – ob von Bertelsmann, Prognos oder von wem auch immer. Sie sollten im Papierkorb entsorgt werden. Vielleicht können in einigen Jahren neue Folien erstellt werden, aber die alten sind unbrauchbar geworden. Wir wissen nicht, wie viele Zuwanderer kommen, wir wissen nicht, wie viele von ihnen bleiben werden, und wir können nur ahnen, dass es die meisten in die großen Städte ziehen wird.

Wer verstanden hat, wie wichtig die Demografie für die Immobilienmarktprognose ist, der wird erkennen, dass das, was sich derzeit abspielt, einer Revolution für den Immobilienmarkt gleichkommt. Man kann schon jetzt sagen: Wir werden nicht nur sehr viel mehr Wohnungen brauchen als wir dachten. Auch andere Immobiliensegmente sind betroffen, was bislang kaum diskutiert wird. Vor allem werden wir sehr viel mehr oder sehr viel größere Einzelhandelsimmobilien brauchen. Denn egal, wie lange ein Flüchtling bleibt, ob nun einige Wochen, einige Monate oder einige Jahre: Ab dem ersten Tag ist er Konsument – er braucht Lebensmittel, Kleidung, aber auch Handyzubehör etc.

Hat sich schon jemand in der Forschung mit diesen Auswirkungen beschäftigt? In diesem Fall bitte ich, sich mit mir in Verbindung zu setzen (info@zitelmann.com), denn ich suche für eine Veranstaltung kluge Leute, die darüber nachdenken (und referieren), was die Zuwanderungswelle für die Demografie und für die Immobilienmarktprognose bedeutet.


24 Besprechungen, Interviews und Artikel zu Rainer Zitelmanns aktuellem Buch "Reich werden und bleiben": http://www.reichwerdenundbleiben.net/

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.