10 Jahre Finanzkrise

Erschienen am 15. September 2018

Auslöser der Finanzkrise, die vor zehn Jahren mit der Pleite von Lehman Brothers einen ersten Höhepunkt erreichte, waren Fehlentwicklungen auf dem amerikanischen Wohnimmobilienmarkt. Ihre Ursache hatten sie in politischen Eingriffen sowie in der Politik der amerikanischen Zentralbank Fed. Hier ein Auszug aus dem Buch „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ von Rainer Zitelmann.

Der U.S. National Home Price Index verdoppelte sich von 1999 bis 2006, und zwar von 92 auf 189 Punkte. Heute wissen wir, dass es sich damals um eine der größten Blasenbildungen in der Geschichte handelte. Wie kam es zu dieser extremen Entwicklung in nur sieben Jahren? Die Hauspreisblase kann nicht ohne die vorangegangene Aktienmarktblase verstanden werden. Ende der 90er-Jahre gab es eine Blase an den Aktienmärkten, an der die Politik der Zentralbanken eine gehörige Mitschuld hatte. Im September 2002 konstatierte das englische Wochenmagazin „Economist“: „Ohne die lockere Kreditvergabe hätte die Aktienmarktblase nicht so lange angedauert und ihr Platzen hätte nicht so ernsthafte Konsequenzen gehabt. Und wenn die Zentralbanker keine Lehre daraus ziehen, wird sich dies wiederholen.“

Im Jahr 2000 platzte diese Aktienblase. Von seinem Höchststand im Jahr 2000 fiel der Index der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq um 74 Prozent, und der S&P-500 Index der 500 wichtigsten amerikanischen Aktien verlor 43 Prozent. Als Reaktion senkte die Fed unter ihrem damaligen Chef Alan Greenspan die kurzfristigen Zinsen im Jahre 2001 von 6,25 Prozent auf 1,75 Prozent, die Geldmenge wurde in diesem Zeitraum über zehn Prozent ausgeweitet. Bis Mitte 2003 senkte er die Zinsen weiter bis auf ein Prozent.

Künstlich niedrige Zinsen führen stets zu unerwünschten Nebeneffekten. Normalerweise enthalten Preise (und auch Zinsen sind Preise, nämlich der Preis für Geld, das verliehen wird) Informationen für die Marktteilnehmer, die dazu führen, dass das Kapital dorthin fließt, wo es benötigt wird. Werden die Zinsen künstlich niedrig gehalten oder gar abgeschafft (also auf Null gesetzt), kann dieser Mechanismus nicht mehr greifen. Investoren werden dann in immer riskantere Aktien und Anleihen getrieben, denn wenn die Preise von Anleihen solider Unternehmen und bonitätsstarker Staaten gesunken sind, verlegen sich institutionelle Investoren, welche ihren Kapitalgebern eine bestimmte Verzinsung in Aussicht gestellt haben, auf riskantere Anleihen und Aktien oder auf risikoreichere Immobilien, deren Preise dann steigen.

Zudem werden immer mehr Investoren angezogen, die wenig Ahnung haben und nur sehen, dass man an bestimmten Märkten sehr schnell sehr viel Geld verdienen kann. Diese Investoren, die Aktien oder Immobilien nicht mehr kaufen, um sie langfristig zu halten, sondern um sie rasch wieder sehr viel teurer weiterzuverkaufen, verstärken die Preisblase und drängen die erfahrenen und langfristig orientierten Investoren aus dem Markt, weil diese nicht mehr bereit sind, absurde Preise zu bezahlen.

Einige vorausschauende Ökonomen warnten Jahre vor dem Platzen der amerikanischen Hauspreiskrise und wiesen auf den Zusammenhang zwischen niedrigen Zinsen und steigenden Hauspreisen hin. William R. White, ein Anhänger der sogenannten „Österreichischen Schule“ der Ökonomie, die sehr marktwirtschaftlich orientiert ist, mahnte im August 2003, dass „die ungewöhnlich lebhaften Hauspreise im gegenwärtigen Abschwung mit der sehr lockeren Geldpolitik der Zentralbanken im Zusammenhang stehen dürften. Dass hat eine zunehmende Verstärkung der Verschuldung der privaten Haushalte in zahlreichen Ländern begünstigt, womit das Risiko steigt, dass deren Budgets überdehnt werden, insbesondere wenn die Hauspreise nachgeben sollten.“

Im Jahr 2006 wiederholte er, dass „eine anhaltende lockere Geldpolitik über die Zeit zum kumulativen Aufbau signifikanter Abweichungen von historischen Normen führen kann – sei es mit Blick auf die Verschuldung, Sparquoten, Asset-Preise oder andere Indikatoren für ‚Ungleichgewichte‘.“

Bezeichnend ist, wie ein führender amerikanischer Ökonom, der aktiven Markteingriffen wohlwollender als White gegenübersteht, die Sache sah. Was White befürchtete, empfahl der Nobelpreisträger Paul Krugmann der Zentralbank im Jahr 2002 in einem Kommentar für die „New York Times“ sogar als geeignete Strategie: „Um die Rezession zu bekämpfen, braucht die Zentralbank mehr als ein kurzes Auflodern. Rasch steigende Ausgaben der privaten Haushalte sind nötig, um die wegsterbenden Unternehmensinvestitionen zu kompensieren. Und um das zu erreichen, muss Alan Greenspan, wie Paul McCulley von Pimco es ausgedrückt hat, eine Hauspreisblase verursachen, um die Nasdaq-Blase zu ersetzen.“ Die Notenbank sollte also durch eine Niedrigzinspolitik eine Hauspreisblase hervorrufen, um auf diesem Wege die Blase der sogenannten New Economy-Werte (Internet-Aktien etc.) zu ersetzen.

Hier wird ein grundsätzlicheres Problem deutlich: Der von den Medien damals als der „Meister“ gefeierte Notenbankchef Alan Greenspan sah seine Aufgabe in einer Steuerung des Geschehens der Wirtschaft und an den Finanzmärkten. Er war stolz darauf, dass er innerhalb von zehn Jahren nach seinem Amtsantritt im Jahre 1987 die Zahl der Datenreihen, die die Fed beobachtete, auf über 14.000 verdoppelt hatte. Seine Mitarbeiter scherzten, dass darunter solche waren, die nur ihr Boss verstand. „Das ermögliche es ihm, wirtschaftliche Änderungen lange vor allen anderen zu erkennen und rasch die Richtung der Geldpolitik zu ändern. Diese Beweihräucherung ist Ausdruck des Traums von einer Planwirtschaft – der Idee, dass ein erleuchteter Mann in der Badewanne die Märkte besser verstehe als die Millionen Marktteilnehmer und dass seine Einsichten es ihm erlauben, diese in die richtige Richtung zu lenken.“

Greenspans Interventionismus werteten Marktteilnehmer als eine Garantie gegen fallende Kurse. Viele Börsianer verließen sich darauf, der „Meister“ werde rechtzeitig eingreifen bzw. nach einem Kursrückgang alles Erforderliche tun, damit die Kurse wieder stiegen. Der Begriff „Greenspan-Put“ wurde zum geflügelten Wort an der Börse. Gemeint war damit die Tatsache, dass Greenspan seine Macht bereits in der Vergangenheit mehrfach eingesetzt hatte, um eine Börsenkatastrophe zu verhindern: 1987 nach dem Börsencrash, 1998 nach der russischen Schuldenkrise und dem Zusammenbruch des Long-Term-Capital-Fonds und als er im Vorfeld der Jahrtausendwende Schritte unternahm, um die „Y2K-Krise“ zu verhindern. „Man dachte, durch seine Handlungsweise habe er bewiesen, dass er den Markt nie rapide fallen lassen würde“, so der amerikanische Ökonom und Wirtschafts-Nobelpreisträger Robert J. Shiller.

Die interventionistische Politik extrem niedriger Zinsen der amerikanischen Zentralbank kann man sicher nicht mit irgendeinem „Marktversagen“ in Zusammenhang bringen. Im Gegenteil. Die Zentralbanken sehen es zunehmend als ihre Aufgabe, das normale Auf und Ab der Konjunktur und der Kapitalmärkte durch ihre Eingriffe zu glätten bzw. abzufedern, statt dem Markt seinen Lauf zu lassen und sich darauf zu beschränken, für die Geldwertstabilität zu sorgen. Als die Aktienmarktblase platzte, reagierte die Fed mit noch niedrigeren Zinsen und löste damit die nächste, weit schlimmere Blase aus, diesmal am amerikanischen Immobilienmarkt.

Dafür, dass das Geld nun in den Haussektor floss, gab es viele Ursachen. Zusätzlich zu den niedrigen Zinsen feuerten hohe Steuervorteile den Immobilienboom an. Schon in den 80er- und 90er-Jahren waren Steuervorteile für Konsumkredite (z.B. für Autos) abgeschafft, aber der Schuldzinsenabzug für den Kauf selbstgenutzter Immobilien beibehalten worden. 1997 war die Steuer auf Veräußerungsgewinne von Immobilien (bis zu 500.000 Dollar für ein Ehepaar) abgeschafft worden, während sie für andere Investitionen (etwa in Aktien) bestehen blieb. Der damalige Chef des „Internal Revenue Service“, der Bundessteuerbehörde der USA, wunderte sich: „Warum bestehen wir letztlich darauf, dass sie das Geld in Häuser stecken, um diesen Steuervorteil zu erhalten? Warum lassen wir sie nicht in andere Dinge investieren, die produktiver sein mögen, wie Aktien oder Anleihen?“ Eine Studie der Fed belegte, dass die Zahl der Immobilientransaktionen in den Jahren 1997 bis 2006 17 Prozent höher war als sie ohne diese Immobilien bevorzugenden Steuervorteile gewesen wäre. Insbesondere wurde damit das schnelle Durchhandeln von Häusern, die sogenannte „Flipper“ nur aus spekulativen Gründen kauften, befeuert.

Extrem niedrige Zinsen plus steuerliche Bevorzugung von Immobilieninvestments waren eine Ursache der Blase. Diese Blase entwickelte sich jedoch nicht überall in den USA, sondern in etwa einem dutzend Staaten. Untersuchungen belegen, dass dies vor allem jene Staaten waren, die das Angebot an Immobilien durch starke staatliche Regulierungen im Baurecht beschränkten. So zogen die Preise in Staaten mit stark regulierten Baugesetzen wie Kalifornien und Florida zwischen 2000 und 2006 um mehr als 130 Prozent an, während sie in Texas und Georgia, wo es entsprechend strenge Regulierungen, die das Angebot verknappten, nicht gab, nur um 30 Prozent stiegen.

Politisch korrekte Kreditvergabe
Eine andere Ursache für die Hauspreisblase war die zunehmende Kreditvergabe an Personen, an die man eigentlich keinen Kredit hätte vergeben dürfen. Das war politisch ausdrücklich so gewollt. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang der „Community Reinvestment Act“ (CRA), der bereits 1977 in der Amtszeit von Jimmy Carter erlassen wurde, jedoch zunächst in der Praxis kaum eine Rolle spielte. In der Regierungszeit von Bill Clinton (1993 bis 2001) wurde dieses Gesetz erheblich ausgeweitet, dessen Zweck es war, Banken aus politischen Gründen dazu zu zwingen, Hauskäufer zu finanzieren, die vordem nicht als kreditwürdig galten. Dies geschah unter der Parole des Kampfes gegen die Diskriminierung von Minderheiten, also von Schwarzen, Hispanics und anderen Gruppen, die in den Vereinigten Staaten ökonomisch schlechter dastehen.

Banken liefen nach dem CRA-Gesetz Gefahr, wegen Diskriminierung von Minderheiten verklagt zu werden, wenn sie nicht bestimmte Quoten von Darlehen an Minderheiten nachweisen konnten, was jedoch nur dann möglich war, wenn die Bedingungen für die Kreditvergabe bei Hauskäufen gelockert wurden. Der Zusammenschluss von Banken oder die Eröffnung von neuen Niederlassungen konnte untersagt werden, wenn sie gegen die Bestimmungen des CRA verstießen. Und natürlich wollte keine Bank in den Medien wegen angeblicher Diskriminierung von Minderheiten an den Pranger gestellt werden.

Die Banken mussten ihre sogenannten „CRA-grades“ veröffentlichen, also öffentlich darlegen, ob sie genügend Hypothekendarlehen an Minderheiten und einkommensschwache Hauskäufer ausreichten. Wer die Vorgaben nicht erfüllte, wurde in aggressiven Kampagnen von linken politischen Vereinigungen wie der „Acorn“, einem nationalen Zusammenschluss kommunaler Aktivisten, an den Pranger gestellt. Deren Ziel war es, Finanzdienstleister durch öffentlichen Druck zu zwingen, die Kreditvergabebedingungen zu lockern. Im Vorfeld ihres im November 2001 vollzogenen Zusammenschlusses spendeten die Großbanken Chase Manhattan und J.P. Morgan Hunderttausende Dollars an diese Organisation, um die Fusion nicht zu gefährden. 2009 wurde die bisherige Unterstützung von Acorn mit Bundesmitteln eingestellt, nachdem Aufnahmen mit einer versteckten Filmkamera nahelegten, dass Acorn-Berater Tipps gegeben hatten, wie man Kinderprostitution organisieren, Steuern hinterziehen und Mädchen aus El Salvador ins Land schmuggeln kann. Kurz darauf ging die Organisation pleite.

Auch das Department of Housing and Urban Development drängte Finanzdienstleister dazu, Anti-Diskriminierungsvereinbarungen zu schließen, die von der Philosophie der „affirmative action“ geleitet waren. Damit ist eine „positive Diskriminierung“, also eine Bevorzugung von Minderheiten gemeint, in diesem Fall bei der Kreditvergabe. Dabei wurde offen eingeräumt, dass die Vergabe von Krediten an Haushalte, die normalerweise nicht die Bedingungen erfüllten, das Kreditrisiko erhöhen würde.

Der Notenbankgouverneur Edward M. Gramlich zitierte auf einer Konferenz Studien, wonach Verbraucher mit geringem Einkommen und Angehörige von Minderheiten, die traditionell Schwierigkeiten hatten, Hypothekenkredite zu bekommen, jetzt Kredite in rekordhoher Zahl bekämen. Von 1993 bis 1998 sei das Volumen konventioneller Hypotheken von Kreditnehmern mit geringem Einkommen um 75 Prozent gestiegen, das von Hispanics um 78 Prozent und das von Afro-Amerikanern sogar um 95 Prozent. Insgesamt sei das Volumen konventioneller Hypotheken im gleichen Zeitraum nur um 40 Prozent gestiegen.

Fannie Mae und Freddi Mac
Eine besondere Rolle spielten dabei die Unternehmen Fannie Mae und Freddi Mac. Fannie Mae wurde 1938 als Staatsbank gegründet und 1968 formal privatisiert. Bei der „Privatisierung“ wurde das ursprünglich aus einer Verballhornung des Kürzels FNMA entstandene Fannie Mae als Name für den Außenauftritt übernommen. Durch regulatorische Privilegien und steuerliche Vorteile war das Unternehmen auch nach der formellen Privatisierung staatsnah. Das Schwesterunternehmen Freddie Mac kauft Hypothekenkredite von Banken, bündelt sie und bringt sie als Anleihen (Mortgage-backed securities) auf den Kapitalmarkt. Auch Freddie Mac ist ein staatlich gefördertes Unternehmen (GSE, government-sponsored enterprise) und wird vom Office of Federal Housing Enterprise Oversight (OFHEO) beaufsichtigt. Solche als GSE bezeichnete Unternehmen sind besonders gefährlich, weil sie es privaten Eigentümern erlauben, jedes denkbare Risiko einzugehen und dabei die Garantie haben, dass der Staat – also die Steuerzahler – im Ernstfall für Verluste aufkommen werde.

Die beiden Unternehmen hatten eine extrem hohe und preisgünstige Refinanzierungskreditlinie beim amerikanischen Finanzministerium. Ihre Refinanzierungsanleihen galten als „government securities“, die ähnlich niedrig verzinst waren wie Staatsanleihen, da sie vom Staat verbürgt wurden. Diese Staatsbürgschaft wurde 2008/2009 von den beiden Quasi-Staatsbanken in Anspruch genommen.

Fannie Mae und Freddi Mac – die größten Hypothekenbanken der Welt -, die 2008 faktisch pleite waren und daher formell verstaatlicht wurden, garantierten für einen Großteil der amerikanischen Hypothekendarlehen. Ohne sie wäre die rasante Verbreitung von „Subprime“-Darlehen – also von riskanten Hypotheken an einkommensschwache Hauskäufer – niemals möglich gewesen. Sie hatten eine enge Beziehung mit dem für sein Subprime-Engagement berüchtigten Finanzdienstleister Countryside, der in der Spitze 60.000 Mitarbeiter und 90 Niederlassungen hatte und der größte Verkäufer von Darlehen an Fannie Mae war. In der Immobilienbranche scherzte man damals, Countryside sei eine Tochtergesellschaft von Fannie Mae.

Die beiden Quasi-Staatsbanken spielten eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Vorgaben zur politisch korrekten Kreditvergabe. Schon im September 1999 berichtete die „New York Times“, dass Fannie Mae die Anforderungen an die Kredite, die sie kaufte, lockerte. Das würde es ihr ermöglichen, „Hypothekendarlehen auf Personen auszuweiten, deren Bonität normalerweise nicht gut genug ist, um sie für ein konventionelles Darlehen zu qualifizieren“. Fannie Mae stehe „unter zunehmendem Druck der Clinton-Administration, Hypothekendarlehen auf Personen mit geringem und mittlerem Einkommen auszuweiten“. Eines der damit verbundenen Ziele sei es, „die Zahl der Hauseigentümer von Minderheiten und Niedrigverdienern zu erhöhen, die tendenziell schlechtere Bonitäten hatten als nicht-hispanische Weiße“. Schon damals verwies die „New York Times“ auf erhebliche Risiken, die damit verbunden sein würden, insbesondere in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten.

Das Department of Housing and Urban Development (HUD) verlangte 1996, dass zwölf Prozent aller Darlehen von Fannie und Freddie besonders niedrigverzinsliche Darlehen sein sollten, die an sehr einkommensschwache Hauskäufer vergeben werden sollten. Dieser Prozentsatz wurde im Jahr 2000 auf 20 Prozent angehoben und im Jahr 2005 auf 22 Prozent. 2008 hätte er bei 28 Prozent liegen sollen. Die beiden staatsnahen Unternehmen setzten diese Vorgaben um. Fannie Mae hatte im Jahr 2000 Subprime-Darlehen im Volumen von 1,2 Milliarden Dollar gekauft, 2001 waren es schon 9,2 Milliarden Dollar und 2002 15 Milliarden. 2004 hatten Fannie Mae und Freddie Mac zusammen bereits 175 Milliarden Dollar für Subprime-Darlehen ausgegeben. Noch im Jahr 2008 verteidigte der bekannte linke Ökonom Paul Krugman die beiden Unternehmen gegen Kritiker und betonte, sie hätten nie ein Subprime-Darlehen vergeben. Die Vergabe von Hypothekendarlehen war jedoch ohnehin gar nicht die Aufgabe der beiden staatsnahen Banken, aber ohne ihr Wirken wäre es niemals zur Immobilien-Krise gekommen, denn sie waren die mit Abstand größten und leichtsinnigsten Käufer von Subprime-Darlehen. Mehr als 40 Prozent der Hypothekendarlehen, die die beiden Unternehmen in den Jahren 2005 bis 2007 kauften, waren Subprime-Darlehen oder sogenannte „Alt-A“-Darlehen, was meist nur ein schöneres Wort für Subprime-Darlehen war.

Die sozialpolitisch motivierte Lockerung der Bedingungen für die Kreditvergabe an untere Einkommensgruppen bzw. Minderheiten sowie die entsprechenden Vorgaben des Staates waren der Auslöser für die Ausbreitung von Krediten an Personengruppen, die von ihrer Bonität und Kredithistorie her eigentlich wirtschaftlich nicht in der Lage waren, langfristig den Kapitaldienst für Hauskredite zu bezahlen. Die Kombination der Niedrigzinspolitik der Zentralbank und der sozialpolitisch gewollten Ausweitung von Subprime-Darlehen führte letztlich zur Hauspreis- und Finanzkrise. Alan Greenspan verteidigte in seiner Autobiografie die Lockerung der Bedingungen für die Kreditvergabe mit den Worten: „Mir war bewusst, dass die Lockerung der Bedingungen für Subprime-Kreditnehmer die Risiken an den Finanzmärkten erhöhen würde. Ich glaube aber damals wie heute, dass die Vorzüge eines breiteren Wohneigentums das Risiko wert waren.“

Im Nachhinein wird deutlich, wie absurd dies ist, denn diese Krise löste einen internationalen Finanzcrash aus. Im Übrigen wurde nicht einmal das angestrebte Ziel erreicht, denn nach dem Crash war der Prozentsatz der Eigenheimbesitzer in den USA niedriger als zuvor, weil gerade bonitätsschwache Hauskäufer ihre Häuser durch Zwangsversteigerungen verloren. Dass eine solche Zwangsversteigerung oft mit traumatischen Erfahrungen für den Haushalt einhergeht, dürfte auf der Hand liegen. Dies ist eines von vielen Beispielen, wie politische Eingriffe in das Marktgeschehen oft genau zum Gegenteil dessen führen, was damit von der Politik beabsichtigt wird.

Das Volumen der Subprime-Kredite, die „politisch korrekt“ vor allem an Minderheiten vergeben wurden, schwoll immer mehr an. Im Jahr 1994 betrugen die ausgelegten Subprime-Hypotheken erst 35 Milliarden Dollar. Bis 2005 wuchs die Summe auf 625 Milliarden Dollar. Für 2006 bezifferte die „New York Times“ den Anteil der Wall Street am gesamten Markt der Hypothekenfinanzierung auf 60 Prozent. Investmentbanken kauften den Banken die herausgelegten Subprime-Hypotheken ab, fassten sie zu Paketen von Tausenden von Krediten zusammen und verkauften sie in Form von Anleihen. Da die Banken und anderen Finanzdienstleister die Kredite in der Regel nicht auf die eigenen Bücher nahmen, sondern sie entweder an Fannie Mae oder anderweitig weiterverkauften, war der Vergabe von immer mehr Krediten keine Grenze mehr gesetzt.

Eine wichtige Rolle spielten die Ratingagenturen, auf deren Ratings der gebündelten Hypothekendarlehen sich die Investoren verließen. Diese Ratings waren, wie sich später herausstellte, viel zu wohlwollend. Aber auch das Versagen der Ratingagenturen ist kein Beleg für die These vom Marktversagen. Von einem Markt und freiem Wettbewerb kann man hier nicht sprechen, denn es gab und gibt ein Oligopol weniger Ratingagenturen (vor allem S&P, Moody’s und Fitch), deren Ratings maßgeblich dafür sind, welche Anleihen institutionelle Investoren kaufen dürfen. Faktisch hat der Staat ihnen bestimmte Aufgaben übertragen und die Eigenverantwortung der Investoren für deren Entscheidungen geschmälert. Macht, besonders staatlich legitimierte Macht, verleitet zum Machtmissbrauch, und genau dazu kam es im irrationalen Hauspreisboom, weil die Ratingagenturen zu positive Wertungen abgaben und damit die Investoren in Sicherheit gewogen haben.

Die extrem niedrigen Zinsen und die Lockerungen der Bedingungen für Kreditvergabe führten dazu, dass immer mehr Amerikaner begannen, Häuser zu kaufen und die Preise immer stärken stiegen. Sogenannte „Flipper“ erwarben Immobilien nur, um sie sofort wieder mit Gewinn zu verkaufen. Es war genau wie in einer Aktienhausse, in der es steil aufwärts geht und jeder erwartet, dass die Kurse weiter steigen werden und er seine Aktie zu einem noch höheren Preis wieder verkaufen kann.

In den Jahren von 1997 bis 2002 stiegen die Hauspreise in den USA um 42 Prozent. In New York City stiegen sie sogar um 67 Prozent, in Jersey City um 75 Prozent, in Boston um 69 Prozent und in San Francisco um 88 Prozent. Die Preissteigerungen taten der amerikanischen Wirtschaft zunächst sogar gut: Denn viele Hausbesitzer nutzten den gestiegenen Wert, um einen Teil des Eigenkapitals aus der Immobilienfinanzierung herauszunehmen und für den Konsum zu verwenden, womit die Wirtschaft kurzfristig angekurbelt wurde.

Finanzierer und Hauskäufer befanden sich in einem wahren Rauschzustand. Alle Regeln der Vernunft und von seriösem Geschäftsgebaren wurden außer Kraft gesetzt. Untersuchungen belegen, dass bei fast 60 Prozent aller „stated income loans“, bei denen keine schriftlichen Nachweise wie Einkommensbestätigungen für den Darlehensnehmer verlangt wurden, die Angaben zum Einkommen um mindestens 50 Prozent übertrieben waren. Laut einer Analyse der Credit Suisse wurden 2006 in den USA für 276 Milliarden Dollar Kredite vergeben, für die keine oder nur geringe Einkommensdokumentationen vorgelegt wurden. Beliebt waren vor allem sogenannte 2/28-Hypotheken, die zwei Jahre mit niedrigen Raten begannen, worauf 28 Jahre mit sehr hohen Zinsraten folgten.

Wie bei allen Blasenbildungen zog der Boom zunehmend Betrüger an, die eine Chance sahen, das schnelle Geld zu machen. Gefälschte Einkommensnachweise oder Gutachten von Sachverständigen, die den Wert von Häusern viel zu hoch ansetzten, und andere betrügerische Praktiken waren an der Tagesordnung.

Die Subprime-Darlehen wurden als CDOs (collateralized debt obligatons) verbrieft und an Investoren veräußert. Zu Recht kritisiert wurden Banker, die – angetrieben von der Aussicht auf hohe Boni – solche Produkte kreierten und an naive Investoren weiterverkauften. Die Investoren, darunter auch deutsche Landesbanken im Staatsbesitz, die mit großer Begeisterung in solche Produkte investierten, hinterfragten die Werthaltigkeit nicht, sondern vertrauten blind auf die Ratings. Da die Immobilienpreise in den vergangenen Jahrzehnten landesweit und nominal niemals gesunken waren, schienen die mathematisch berechneten historischen Ausfallwahrscheinlichkeiten für diese Papiere extrem gering.

In dem Moment, als die Immobilienpreise fielen, erwiesen sich all die statistischen Berechnungen als Makulatur. Und genau dies geschah in den folgenden Jahren: Der Case-Shiller Home Price-Index für 20 Regionen der USA ging vom Juli 2006 bis zum Februar 2012 um 35 Prozent zurück. In Tampa (Florida) fielen in diesem Zeitraum die Hauspreise um 48 Prozent, in Detroit um 49 Prozent, in Miami um 51 Prozent und in San Francisco um 46 Prozent. Berücksichtigt man die Inflation, dann waren die Einbrüche sogar noch drastischer.

Viele Hauskäufer, die auf dem Höhepunkt der Hauspreisblase Eigentum erworben hatten, verloren ihr Heim und ihr gesamtes in die Immobilie investiertes Eigenkapital. Denn die Schulden überstiegen oft den Wert der Immobilie, und wer kein Eigenkapital nachschießen konnte, musste zusehen, wie die Bank sein Haus zwangsversteigern ließ.

Diese Entwicklung war der Auslöser der weltweiten Finanzkrise. Die in Bündel zusammengepackten Immobilienkredite, die von Ratingagenturen mit guten Noten bewertet worden waren, verloren massiv an Wert, da die Hauspreise sanken und viele Kreditnehmer ihre Darlehen nicht mehr bedienen konnten. Dies brachte Banken, Versicherungen und Fonds in ernste Schwierigkeiten und führte zu einer Kettenreaktion, die einen ersten Höhepunkt mit dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers im September 2008 hatte.

Nirgendwo herrscht weniger Marktwirtschaft als in der Finanzwelt, kein Bereich ist so stark reguliert und staatlich beaufsichtigt, vielleicht mit Ausnahme des Gesundheitswesens. Dass genau die beiden Bereiche der Wirtschaft, die am striktesten staatlich reguliert sind, die instabilsten sind, sollte Kapitalismuskritikern zu denken geben. Natürlich sind in diesen Bereichen Regulierungen erforderlich. Aber das Motto „mehr Regulierung hilft mehr“ ist falsch. Im Gegenteil. Richard Bookstaber kommt in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass durch zunehmende Regulierungen die Probleme im Finanzwesen verschärft wurden. „Bemühungen, die auf zusätzliche Sicherheitsmerkmale, Regulierungen und Vorsichtsmaßnahmen gerichtet sind, erhöhen nur die Komplexität des Systems und steigern die Unfallhäufigkeit.“ Allzu oft bewirken Regulierungen genau das Gegenteil des Intendierten, was generell ein häufig übersehenes Problem bei staatlichen Eingriffen ist. Darum sollten wir die Möglichkeiten regulatorischer Eingriffe nicht über- und das Problem unerwünschter Nebenwirkungen nicht unterschätzen.

 

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.