Buchtipp: Kritik der intellektuellen Konsum-Verächter

Erschienen am 19. Juli 2021

Thomas Hecken, Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter, transcript-Verlag Bielefeld, 247 Seiten.

Intellektuelle haben ein Problem mit dem Konsum. Nicht, dass sie selbst nicht gerne konsumieren würden. Aber diejenigen, die nicht so konsumieren wie sie selbst, verachten sie. Das trifft nicht nur für linke, sondern auch für konservative Intellektuelle zu. Selbst bei liberalen Intellektuellen findet man Konsumverachtung, wenn auch deutlich abgeschwächt.

Einer der einflussreichsten konservativen Intellektuellen in der Nachkriegszeit in Deutschland war Karl Korn, der das FAZ-Feuilleton leitete und bis 1973 einer der Herausgeber der Zeitung war. „Glaubt denn jemand im Ernst“, so fragte er, „man könne sich der modernen Autolebensweise angleichen und dabei ein unverändertes kulturelles Subjekt bleiben? Wer Auto fährt, Radio hört, mit der Regelmäßigkeit, wie früher in europäischen Ländern in die Kirche gegangen wurde, sein Stammkino besucht, Sulfonamide oder Hormonpräparate schluckt und die Fortpflanzung kontrolliert, der ist in seinem Bewusstsein und in seinem gesellschaftlichen Sein verändert.“ (S.37)

Während sich die Mehrheit der Deutschen nach den Schrecken der Diktatur, des Weltkrieges und der entbehrungsreichen Nachkriegszeit über ein größeres Warenangebot freute, witterte Korn die „Barbarei“ des Konsums: „In einer Welt, deren oberstes Gesetz die Befriedigung von Konsumbedürfnissen ist, die den Tod und den Schmerz aus dem menschlichen Bewusstsein verdrängt, nimmt, wie wir alle wissen und erfahren haben, die Unsicherheit doch zu, weil Angst und Leere zunehmen. So fallen Hyperzivilisation und Barbarei schließlich zusammen.“ (S.50).

Korn waren alle Menschen suspekt, ausgenommen Gelehrte, religiöse Menschen, Künstler und Dorfbewohner (S. 49), die nicht in den Prozess der „Vermassung“ einbezogen waren.

Selbst die Ordoliberalen, von denen vielleicht am ehesten eine Verteidigung des Konsums zu erwarten gewesen wäre, gaben sich zunächst konsumkritisch und waren in dieser Hinsicht vor allem „Angehörige ihrer professoralen Zunft“ (S. 60), denen der Massenkonsum – obwohl doch eigentlich Konsequenz und Voraussetzung der florierenden Marktwirtschaft – suspekt war. Eine gewisse Ausnahme war Ludwig Erhard, der den Konsumkritikern entgegenhielt: „Wenn die Damen einen Kuckuck auf ihren Hüten haben wollen, dann sollen sie diesen Kuckuck haben. Ich werde jedenfalls die Produktion von Kuckuck-Hüten nicht verbieten.“ (S.113)

Die Kritik am Konsum bediente und bedient sich stets der gleichen Begriffe. Die in Massenproduktion hergestellten Güter seien wertlos, unästhetisch, vulgär, dumm und unmoralisch. Diese Kritik betraf alle Gegenstände im Bereich alter und neuer Kunstgattungen, die außerhalb des Bildungsbürgertums Popularität erlangen, wie etwa bestimmte Comics, Filme, Lieder, Erzählungen, Fotos, Gemälde, Shows und Serien. Sie erstreckte sich zudem auf technische Medien, die für die massenhafte Verbreitung solcher Kunstformen sorgen, wie Radio und Fernsehen. Bei begehrten technischen Apparaten wie Waschmaschinen, Kühlschränken, Rasierapparaten etc. richtete sich die Kritik gegen die Massenhaftigkeit und Standardisierung. Solche technischen Geräte bewirkten eine Distanz zur Natur und zum eigenen Körper und ließen motorische, handwerkliche Kräfte und Fähigkeiten erlahmen.

Letztlich werden alle Bedürfnisse kritisiert, die sich nicht auf Immaterielles, Geistiges richten bzw. auf die Zeichen, die Intellektuelle produzieren (S. 102). Die Kritik am „Materialismus“, der in der Konsumkritik zum Ausdruck kommt, ist insofern einfach eine Verklärung und Verabsolutierung der eigenen Bedeutung der Intellektuellen, denn diese bringen schließlich in erster Linie „keine greifbaren Dinge vor, sondern Zeichen und Ideen, ihre Wendung gegen den Materialismus wäre somit bloß ein Ausdruck einer höchst eigensinnigen, materialistischen Interessenpolitik“ (S. 220).

Linke Kritik an „Konsumterror“

Scharfe Kritik am Konsum wurde von Anfang an von Linksintellektuellen formuliert.

Sie kritisierten, dass die Produktion der Waren nur im Interesse der Profitmaximierung stehe – die Menschen würden durch Werbung manipuliert, Dinge zu kaufen, die sie nicht benötigten. Hans Magnus Enzensberger beschreibt, wie er den Neckermann-Katalog durchblättert und empfindet die dort angebotene Warenvielfalt als „kleinbürgerliche Hölle“ (S. 107).

Einflussreich war Herbert Marcuse, der Vordenker der „Frankfurter Schule“, der in seiner Schrift „Der eindimensionale Mensch“ argumentierte, die Menschen könnten ihre „wahren Bedürfnisse“ nicht mehr erkennen, da ihre Fähigkeit, sich dem Bestehenden zu verweigern, durch den enormen Fortschritt der Warenproduktion überspielt werde. Der Begriff des „Konsumterrors“ wurde eine der Lieblingsvokabeln der 68er-Generation.

In ihrer extremen Ausprägung führte diese radikale Konsumkritik zur ersten spektakulären Aktion von Andrea Baader und Gudrun Ensslin, die später zusammen mit Ulrike Meinhof den Kern der RAF bildeten. Am 3. April 1968 explodierten im Kaufhof und im Kaufhaus Schneider in Frankfurt zwei Brandsätze – und die Begründung lautete: „Wir zünden Kaufhäuser an, bis ihr aufhört, zu kaufen. Ihr habt nichts zu verlieren, als den Gewinn der Ware. Der Konsumzwang terrorisiert euch, wir terrorisieren die Waren.“ (S. 127)

Thomas Hecken konstatiert: „Die Neue Linke tritt zwar für eine sozialistische Gesellschaft, für eine Verteilung des gesamtgesellschaftlich produzierten Reichtums zugunsten der jetzt noch Lohnabhängigen und Besitzlosen ein, die Konsumvorlieben der Arbeiter und Angestellten lehnt sie aber durchgängig ab.“ (S. 145)

In den 70er- und 80er-Jahren entstand dann die linksalternative Bewegung, die schließlich parteipolitisch in der Partei der Grünen mündete. Zugleich wird die Konsumkritik auch in die Mitte der Gesellschaft getragen. „Für die linksalternativen Systemgegner ist der von ihnen vorhergesehene Schrecken einer zerstörten Natur zugleich eine maximale weltanschauliche Bestätigung: Nun können sie ihre Abneigung gegen den Konsum, die sie aus anderen Gründen ohnehin hegen, mit dem vollen Pathos der Menschrettung vortragen. Weit über die Wählerschaft der Grünen oder den Hunderttausenden Käufern von Büchern wie denen Fromms hinaus, gilt Konsum vor allem in den Mittelschichten nicht zuletzt darum als Phänomen von höchst zweifelhaftem Wert…“ (S. 147)

Nur der Konsum der anderen ist schlecht

Das heißt nun nicht, dass diese Menschen nicht selbst fleißig konsumieren würden. Wie löst man diesen Widerspruch auf: Einerseits den Konsum ideologisch zu verdammen und andererseits selbst zu konsumieren? Die „Lösung“ dieses Widerspruchs besteht einfach darin, wie Hecken sehr treffend beobachtet, „nur ganz bestimmte Teile der Käufe von Privatpersonen als Konsum zu bezeichnen – die Kauf- und Aneignungsakte der anderen. Die Gegenstände, die man selbst kauft, scheinen viel weniger kommerziell und anspruchslos zu sein als die der Kleinbürger und Arbeiter; die Wahrnehmung der Objekte, mit denen sich die Angehörigen der (oberen und aufstrebenden) Mittelschicht umgeben, sowie ihr Umgang mit ihnen erscheint ihnen selbst viel weniger zerstreut und teilnahmslos zu sein. Kurz gesagt: Als Konsum wird bloß bezeichnet und abgelehnt, was wertlos und unkreativ erscheint.“ (S. 148)

Die Absage der linken Intellektuellen an den Konsum treffe, so Hecken, bloß jenen Bereich, der von anderen Objekten und Geschmäckern bevölkert werde. Ihn zu betreten, versage man sich leichterdings, weil man ihn ohnehin nicht schätze, aber „seinen Anhängern wirft man kulturelles und manchmal auch moralisches Versagen vor, seine Ausbreitung möchte man am liebsten untersagen“ (S. 221).

Man kann hinzufügen: Selbst wenn die linken Konsumkritiker das Gleiche tun wie die anderen (z.B. fliegen oder Auto fahren), so fühlen sie sich doch erhaben und überlegen, weil sie es immerhin mit einem schlechten Gewissen tun. Der schlechte Konsum ist der Konsum mit gutem Gewissen und der weniger verdammenswerte Konsum ist der mit dem schlechten Gewissen des Konsumenten.

Hecken kritisiert treffend, die Ansicht, dass die „wahren Bedürfnisse“ des Käufers missachtet und nur die „falschen Bedürfnisse“ vom kapitalistischen Markt erst künstlich, manipulativ erzeugt würden, sei selbst ein „Akt hochgradig manipulativer Rhetorik“. „Die Suggestion, nur man selbst wisse (im Gegensatz zu allen anderen, die irregeführt werden), wie die wahren, authentischen Bedürfnisse beschaffen sind, bleibt wegen der dem Menschen als Mängelwesen gegebenen kulturellen Formbarkeit leer und anmaßend. Die eigenen politischen Absichten und ästhetischen Vorlieben verschwinden dadurch auf schlecht begründete Weise hinter dem falschen Anschein einer naturgegebenen menschlichen Bestimmung.“ (S. 215)

Ein sehr lesenswertes Buch, das zeigt: Die Begründungen für die Konsumkritik ändern sich mit den Zeiten und je nach politischer Gesinnung der Kritiker, aber – so wie der Antikapitalismus – ist die Verdammung des Konsums selbst eine identitätsstiftende Religion der Intellektuellen, die sich damit zugleich von der „Masse“ und auch von den Produzenten der Konsumgüter („der Wirtschaft“) abgrenzen und ihrer eigenen Überlegenheit im Geiste vergewissern können.

Über den Autor