In diesen Tagen wird Mario Draghi in den Medien gefeiert. Er sei der Mann, der die Eurokrise gelöst habe, und zwar mit wenigen Worten: „But there is another message I want to tell you. Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the Euro. And believe me, it will be enough.“
Mit dieser Aussage beendete Draghi am 26. Juli 2012 die Spekulationen gegen den Euro. Es war jetzt klar, dass die EZB bereit ist, Staatsanleihen von Eurostaaten in unbegrenzter Höhe anzukaufen. Seitdem sind die Kurse der Staatsanleihen von Krisenstaaten wie Spanien, Italien und Griechenland massiv gefallen, z. T. auf historische Tiefstände, die sie seit über 200 Jahren nicht erreicht hatten.
Ist jetzt alles gut? Ist die Eurokrise damit gelöst? Im Gegenteil! Der Schuldenstand dieser Länder ist seitdem im Schnitt um 10% gestiegen. Das vermeintliche Paradox: Während die Renditen der Staatsanleihen so niedrig sind wie noch nie, sind die Schulden gleichzeitig höher denn je. Viele der genannten Länder haben nur zögerliche Reformen vorgenommen. Die Renditen der Anleihen sind eben nicht deshalb gefallen, weil diese Länder ihre Schulden abbauen oder ihre Hausaufgaben bei Arbeitsmarktreformen gemacht haben, sondern nur deshalb, weil Draghi garantiert hat, im Zweifelsfall die Anleihen zu kaufen.
Es ist wie bei einem Patienten, der hohes Fieber hat: Vielleicht kann es sinnvoll sein, dass er einmal für zwei Tage aufhört, auf das Fieberthermometer zu schauen, damit er sich psychisch etwas beruhigt. Aber das Fieberthermometer einfach ganz kaputtzuschlagen und dann zu erklären, der Patient sei nun gesund – das ist bestimmt kein Weg, die Krankheit zu heilen.
Im Gegenteil: Wenn der Patient sich gut fühlt, nur weil er irrtümlich glaubt, kein Fieber mehr zu haben, fängt er an, Dinge zu tun, die er nicht tun sollte. Er hört auf, bittere Pillen zu schlucken, die notwendig für seine Gesundung sind und verfällt in Verhaltensweisen, die ursprünglich die Krankheit ausgelöst haben.
So wie das Fieberthermometer die Verfassung eines Patienten anzeigt, so zeigen die Zinsen für Anleihen den finanziellen und wirtschaftlichen Zustand eines Landes an. Die Zinsen sind damit der wichtigste marktwirtschaftliche Indikator. Diese Funktion haben sie vollkommen verloren. Die Zinsen von Ländern wie Italien sind nur unwesentlich höher als die von Deutschland – und sehr viel niedriger als sie es ohne die „Draghi-Garantie“ wären.
Die Länder wiegen sich in der vermeintlichen Sicherheit, die Eurokrise sei mehr oder minder gelöst und die Gefahr sei gebannt. Sie machen weiter Schulden, zögern Reformen heraus und bereiten so den Boden für den nächsten Krisenausbruch.
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