G20-Demonstranten liegen falsch: Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung

Erschienen am 6. Juli 2017

Ob sie nun friedlich demonstrieren oder gewalttätig: Die Demonstranten in Hamburg eint eines: Die Überzeugung, dass der Kapitalismus an allen Übeln der Welt schuld sei.

Der Kapitalismus ist nicht die Ursache der Probleme auf dieser Welt, sondern die Lösung. Diese These mag Sie überraschen, denn der Kapitalismus hat in Deutschland und Europa keinen guten Ruf. Er ist angeblich Schuld an allem, was beklagenswert ist in der Welt: am Hunger, an der Not in Afrika, an Krisen und Kriegen. Stimmt das? Lassen wir mal einen Moment alle Theorien beiseite und schauen uns das Beispiel einiger Länder an:

Chinas Aufstieg
China, das auf dem G20-Gipfel eine wichtige Rolle spielt, gilt offiziell als kommunistisches Land. Überall kann man noch Mao-Bilder sehen. Und tatsächlich handelt es sich politisch um eine Diktatur. Doch wirtschaftlich haben sich die Chinesen nach dem Tod von Mao Tse-tung (1976) Stück für Stück dem Kapitalismus zugewandt. 1978 begann die Hinwendung Chinas zur Marktwirtschaft. Die Folge war, dass zwischen 1981 und 2001 der Anteil der unter dem Existenzminimum lebenden Bevölkerung von 53 auf 8 Prozent zurückging. Allein durch die Aufhebung der sozialistischen Kollektivierung der Landwirtschaft sank 1981 bis 1987 der Anteil der Bevölkerung Chinas, der in extremer Armut lebt, auf ein Drittel. Das Beispiel Chinas zeigt, dass mehr Ungleichheit auch für die Armen nicht schlecht sein muss: In China hat sich die Ungleichheit durch die Einführung der Marktwirtschaft extrem verstärkt und laut einer Studie der Universität Peking besitzen die reichsten 1 Prozent der Chinesen so viel wie ein Drittel der übrigen Bevölkerung, während die ärmsten 45 Prozent der Chinesen lediglich über ein Prozent des Wohlstandes verfügen. Die Schere zwischen Arm und Reich, die von den Hamburger Demonstranten so beklagt wird, geht also weiter auseinander: Aber ist das schlimm, wenn es der breiten Masse der Menschen damit besser statt schlechter geht?

Asien und Afrika im Vergleich
Angela Merkel hat Afrika zu einem Schwerpunktthema des Gipfels gemacht und die CDU ist ganz stolz, dass sie in ihrem Wahlprogramm einen „Marshallplan für Afrika“ fordert. Doch gute Absichten sind das eine, Fakten das andere: In den vergangenen Jahrzehnten hat mindestens ein Dutzend Schwellenländer (überwiegend in Asien) ein enormes Wirtschaftswachstum erlebt und Hunderte Millionen sind aus der Armut in die Mittelschicht aufgestiegen. Der Grund ist, dass diese Länder – so wie China – mehr Kapitalismus gewagt haben. Aber im selben Zeitraum ist es vielen Entwicklungsländern, vor allem im subsaharischen Afrika, nicht gelungen, ein beständiges Wirtschaftswachstum zu erzeugen, viele haben sich sogar zurückentwickelt. Hunger und schreiende Armut in diesen Ländern können keinen Menschen mit einem Herz kalt lassen.

So wie die G20-Demonstranten eine Umverteilung zu Lasten der Reichen in Ländern wie Deutschland fordern, so fordern sie auch eine Umverteilung zu Lasten der reichen Industrieländer im globalen Kontext. Das klingt menschenfreundlich und spontan möchte man zustimmen. Die Fakten zeigen jedoch: Das Konzept der Entwicklungshilfe ist gescheitert. Die Erfahrung zeigt, dass ausländische Hilfszahlungen korrupte Regierungen stützen, indem sie sie mit frei verfügbarem Geld unterstützten. Diese korrupten Regierungen blockieren die Rechtsstaatlichkeit, die Etablierung von transparenten politischen und zivilgesellschaftlichen Institutionen, den Schutz der bürgerlichen Rechte. Dadurch machen sie zugleich einheimische wie ausländische Investitionen in ihren armen Ländern unattraktiv. Denn die korrupten Staatsangestellten entscheiden nicht im Interesse des Allgemeinwohls als vielmehr nach Maßgabe der Selbstbereicherung. Große Summen an Hilfsgeldern und eine Kultur der Entwicklungshilfe-Abhängigkeit ermutigten die afrikanischen Regierungen zudem, die unproduktiven öffentlichen Sektoren weiter aufzublähen, um Günstlinge zu belohnen. Entwicklungshilfe, dies wird durch zahlreiche Studien belegt, stört die Entwicklung, weil das Geld letztlich immer in den Taschen einiger weniger landet. Schon 2002 erkannte der damalige Präsident von Senegal, Abdoulaye Wade: „Ich habe noch nie erlebt, dass sich ein Land durch Entwicklungshilfe oder Kredite entwickelt hat. Länder, die sich entwickelt haben – in Europa, in Amerika; oder auch in Japan oder asiatische Länder wie Taiwan, Korea und Singapur -, haben alle an den freien Markt geglaubt. Das ist kein Geheimnis. Afrika hat nach der Unabhängigkeit den falschen Weg gewählt.“

Dambisa Moyo, eine Schwarzafrikanerin aus Sambia, die in Oxford und Harvard studierte, zeigte auf, dass in den vergangenen 50 Jahren weltweit zwei Billionen Dollar für Entwicklungshilfe ausgegeben wurden, die Hälfte floss nach Afrika. Dennoch habe, so Moyo, die Armut gerade dort massiv zugenommen. Mehr als die Hälfte aller gescheiterten Staaten liegt in Afrika. Und die afrikanischen Länder, die am meisten Entwicklungshilfe bekommen, weisen die niedrigsten Wachstumsraten auf. Moyo hat in ihrem Buch „Dead Aid. Warum Entwicklungshilfe nicht funktioniert und was Afrika besser machen kann“ nachgewiesen, wie wirkungslos und sogar kontraproduktiv diese Entwicklungshilfe war. „Dieses Modell hat nirgendwo auf der Welt wirtschaftlichen Aufschwung gebracht“, so Moyo. „Dabei wissen wir, wie es geht. Wir haben gesehen, welche Konzepte die Armut in China, Indien, Südafrika und Botsuana vermindert haben. Diese Länder haben auf den Markt als Motor für Wirtschaftswachstum gehört.“

Systemvergleiche in Korea und Deutschland
Deutschland und Korea mussten nach dem Zweiten Weltkrieg unfreiwillig ein Experiment durchführen: Funktioniert ein eher marktwirtschaftliches System besser oder ein eher planwirtschaftliches System? Die DDR brach, wie alle anderen sozialistischen Länder, an ihrer wirtschaftlichen Ineffizienz zusammen. Die Bundesrepublik Deutschland erlebte dagegen mit einem stärker marktwirtschaftlichen System ein gigantisches Wirtschaftswunder und war der DDR zu jedem Zeitpunkt weit überlegen. Heute kann man im Vergleich zwischen Nord- und Südkorea sehen, ob Kapitalismus oder Sozialismus besser funktioniert. Während die Menschen im kommunistischen Nordkorea hungern, erlebte das kapitalistische Südkorea einen Wirtschaftsboom und den Menschen geht es gut.

Index wirtschaftlicher Freiheit
Regelmäßig veröffentlicht die renommierte Heritage Foundation einen Index der wirtschaftlichen Freiheit. Vereinfacht gesagt zeigt er, wie stark ein Land kapitalistisch ausgerichtet ist. Südkorea liegt an Platz 23 (von 188) im vorderen Fünftel, Nordkorea ist auf Platz 188 und damit das wirtschaftlich unfreieste Land der Welt. Eigentlich braucht man für die Kapitalismus-Diskussion nur diesen Index anzuschauen, denn er macht klar: Den Ländern, in denen der Kapitalismus-Anteil höher ist, geht es besser als denen, die auf Staatswirtschaft bauen. Vorne in der Tabelle finden wir Hongkong, Singapur, Neuseeland, die Schweiz und Australien. Schlusslichter sind Zimbabwe, Eritrea, Kongo, Kuba, Venezuela und Nordkorea. Noch Fragen?

Wen die Antikapitalisten hassen
Antikapitalisten hassen Politiker wie Ronald Reagan, Margaret Thatcher oder Gerhard Schröder, weil diese – bei allen Unterschieden – nach dem Motto handelten: Mehr Marktwirtschaft wagen. Von Gerhard Schröders Reformen (Agenda 2010) profitieren wir Deutschen noch heute, sie sind einer der wesentlichen Gründe für unsere boomende Wirtschaft. Merkel erntet die Saat, die ihr Vorgänger gesät hat.

Als Ronald Reagan 1981 Präsident der USA wurde, hatte das Land erhebliche wirtschaftliche Probleme. Die Inflationsrate war zweistellig. Reagans Rezept: Mehr Kapitalismus wagen. Er senkte den Spitzensteuersatz von 70 auf 35 Prozent und die Unternehmenssteuern von 46 auf 35 Prozent. Gleichzeitig setzte er den Rotstift bei den Sozialausgaben an. Die Folge war ein Wirtschaftsboom – und sein demokratischer Nachfolger Bill Clinton war so klug, die Reformen nicht zurückzudrehen.

Als Margaret Thatcher 1979 Premierministerin von Großbritannien wurde, stand das Land vor dem Bankrott. Die Gewerkschaften waren allmächtig und schadeten mit ihren Dauerstreiks der britischen Wirtschaft, die Staatsschulden explodierten, die Inflation und die Arbeitslosigkeit stiegen auf Rekordwerte. Als Thatcher 1990 abtrat, hinterließ sie ein wirtschaftliches gesundes und stabiles Land. Wie erreichte Thatcher diesen Wandel? Indem sie mehr Kapitalismus wagte. Unter Thatcher sank der Spitzensteuersatz von 83 auf 40 Prozent – zugleich wurde die Vermögenssteuer reduziert. Ob British Telecom, British Airways oder andere Unternehmen: Thatcher privatisierte zahlreiche Staatsbetriebe. Für viele Menschen eröffnete dies neue Partizipationschancen – die Zahl der Aktionäre versechsfachte sich in ihrer Amtszeit. Thatcher hatte den Mut, sich mit den allmächtigen Gewerkschaften anzulegen. Konsequent deregulierte sie den Arbeitsmarkt, der am Ende ihrer Amtszeit die geringste Regulierungsdichte von allen OECD-Staaten aufwies.

Gegenbeispiel Venezuela: Der Kapitalismus wird überwunden
Der sozialistische Staatschef Hugo Chavez wollte Venezuela vom Kapitalismus befreien. Die Linken auf der ganzen Welt jubelten ihm zu, Sarah Wagenknecht zeigte sich verzückt über die „Wirtschaftsreformen“ von Chavez, die sie als Modell pries. Für viele derjenigen, die heute in Hamburg gegen G20 demonstrieren, war die Utopie des „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ von Chavez eine verheißungsvolle Utopie und sogar ein Modell für Deutschland.

Ergebnis: Die Inflationsrate in Venezuela betrug selbst nach offiziellen Angaben im vergangenen Jahr 800%. Die Inflation löste bereits Anfang 2014 Massenproteste aus, bei denen viele Menschen umkamen. Im Juli 2016 musste Venezuela die Grenze zu Kolumbien für 12 Stunden öffnen, damit die Menschen dort einkaufen konnten. Zuvor war die Grenze schon von 500 verzweifelten Frauen durchbrochen worden, die Lebensmittel im Nachbarland kaufen wollten. In den Supermärkten gab es Schlangen von 500 Metern. Am 12. August 2016 wurden fünf Grenzposten nach Kolumbien geöffnet, und in drei Tagen nahmen über 120.000 Menschen die Gelegenheit wahr, in Kolumbien einzukaufen. Das alles ist absurd. Denn Venezuela ist potenziell eines der reichsten Länder der Welt. Hier lagern 14,7 Prozent der weltweiten Ölreserven (nur in Saudi-Arabien sind es mit 15,7% noch etwas mehr). Die Befreiung vom Kapitalismus endete in Inflation und Hunger.

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.