Gauck im antikapitalistischen Gesinnungstest

Erschienen am 23. Februar 2012

Kaum wurde Joachim Gauck zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten gekürt, ging ein Aufschrei durch die Republik: Der Chef der Jusos ebenso wie Grünen-Linksaußen Christian Ströbele, Gregor Gysi oder CDU/Attac-Aktivist Heiner Geißler warfen ihm vor, ihm mangele es an „sozialer Gerechtigkeit“.

Was den Kritikern nicht passt, ist die Tatsache, dass Gauck die Freiheit als obersten Wert hervorkehrt – und nicht die Gleichheit oder die „soziale Gerechtigkeit“. Nach Meinung von Antikapitalisten wie Heiner Geißler und Gregor Gysi ist die Freiheit ohne „sozialer Gerechtigkeit“ nichts wert. Sie fordern Gauck nun auf, sein Verhältnis zur „sozialen Gerechtigkeit“ zu „klären“.

Was dabei „sozialer Gerechtigkeit“ überhaupt heißen soll, bleibt unklar. Ich kann mich hier nur Friedrich August von Hayek anschließen, der einmal sagte: „Mehr als zehn Jahre lang habe ich mich intensiv damit befasst, den Sinn des Begriffs ‚soziale Gerechtigkeit’ herauszufinden… ich bin zu dem Schluss gelangt, dass für eine Gesellschaft freier Menschen dieses Wort überhaupt keinen Sinn hat.“

Diejenigen, die meinen, Gauck fehle es am Sinn für „soziale Gerechtigkeit“, wollen damit eigentlich nur sagen, dass er den antikapitalistischen Gesinnungstest nicht bestanden habe. So hatte sich Gauck beispielsweise kritisch zu der „Occupy“-Bewegung geäußert und gemeint, die Antikapitalismusdebatte sei „unsäglich albern“. Gauck ist in einem System groß geworden, in dem der Antikapitalismus die Staatsdoktrin war, und lehnt nach dieser Erfahrung die antikapitalistische Ideologie ab.

Das allerdings ist in den Augen der Kritiker eine unverzeihliche Sünde, denn der Antikapitalismus wird immer mehr zur neuen Staatsreligion. Leider hat diese viele Anhänger, wie eine aktuelle Umfrage des Allensbacher Institutes belegt. So wurden die Bundesbürger gefragt: „Pflichten Sie der Aussage zu, der Kapitalismus passe nicht mehr zu der Welt?“ Nur jeder Fünfte (18%) widerspricht dieser Aussage, 48% stimmen zu und 34% haben keine Meinung dazu. 1992, unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in der DDR und den anderen Ostblock-Staaten, assoziierten 48% der Deutschen Kapitalismus mit dem Begriff „Freiheit“, heute sind es nur noch 27%. Inzwischen ist es so weit gekommen, dass jemand wie Gauck, der den Begriff „Freiheit“ in den Mittelpunkt stellt, sich damit bereits verdächtig macht. 77% der Bundesbürger verbinden den Begriff „Kapitalismus“ mit „Ausbeutung“ – Erich Honecker wäre hoch zufrieden.

Ich hoffe, dass Joachim Gauck nicht der Versuchung erliegt, sich als Präsident dem antikapitalistischen Zeitgeist anzupassen – und ich glaube auch nicht, dass er es tun wird, weil er ein eigenständiger Kopf ist, der auch den Mut hat, sich gegen Mehrheitsmeinungen zu stellen.

SPD und Grüne, die ihn ursprünglich als Präsidentschaftskandidaten vorschlugen, werden sich noch viel über ihn ärgern. Sie hatten Gauck vor zwei Jahren ja vor allem deshalb vorgeschlagen, um die CDU und die FDP damit zu ärgern und öffentlich Zustimmung zu bekommen. Seinerzeit hatten sie aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung gar nicht damit gerechnet, dass Gauck wirklich Bundespräsident werden würde, nach dem Rücktritt von Wulff konnten sie dann natürlich nicht mehr sagen, man habe es sich nunmehr anders überlegt. Jetzt wird Gauck tatsächlich Präsident – übrigens dank der FDP, die damit ihre erste gute Aktion in dieser Legislaturperiode gebracht hat.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.

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