Die Bundesvorsitzende der Linken, Katja Kipping, hat nach der Einigung in Thüringen von einer historischen Dimension gesprochen. „Damit ist die von CDU praktizierte Äquidistanz faktisch erledigt. Good-bye Hufeisentheorie“, schrieb Kipping auf Twitter. Dass die CDU die Ausgrenzung linker Ideen korrigiere, sei eine gute Nachricht für den „antifaschistischen Konsens des Grundgesetzes“.
Kipping hat Recht, wenn sie von einer „historischen Dimension“ spricht. Und sie sagt auch, worum es im Kern geht – und deutet dabei das Grundgesetz im Sinne der DDR-Ideologie um:
Konrad Adenauer und Kurt Schumacher
Was Kipping schreibt, ist eine Geschichtsklitterung. Das Grundgesetz beruhte nicht nur auf einem antifaschistischen, sondern zugleich auch auf einem antikommunistischen Konsens, also auf dem Antitotalitarismus. Prägend war die Doppelerfahrung des nationalsozialistischen und des kommunistischen Totalitarismus. Konrad Adenauer schrieb in seinen Memoiren: „Der nationalsozialistische Staat hatte uns die Augen dafür geöffnet, welche Macht ein diktatorisch regierter Staat besaß. Ich hatte die Greueltaten des Nationalsozialismus, die Folgen einer Diktatur kennengelernt…. Ich hatte von den Verbrechen gehört, die an den Juden begangen, die von Deutschen an Deutschen verübt worden waren… Vom Osten her drohte die atheistische, kommunistische Diktatur. Wir sahen am Beispiel der Sowjetunion, dass eine Linksdiktatur mindestens so gefährlich war wie eine Rechtsdiktatur.“ Auch Adenauers Gegenspieler, der sozialdemokratische Oppositionsführer Kurt Schumacher, war ein ebenso entschiedener Gegner des Nationalsozialismus wie des Kommunismus. Er hatte zehn Jahre seines Lebens in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches verbracht. Kommunisten waren für ihn „rotlackierte Nazis“. Thomas Dehler, Mitbegründer der FDP und Bundesjustizminister erklärte im Mai 1950: „Der Kommunismus ist der anders gefärbte Zwillingsbruder des Nationalsozialismus, er bedeutet wie dieser Zwang und Furcht… Der Kommunismus ist der Todfeind der Demokratie.“ Der antitotalitäre Konsens spiegelte sich auch darin wider, dass sowohl die rechtsextreme SRP als auch die KPD verboten wurden.
Die antifaschistisch-demokratische Ordnung
In der DDR hingegen wurde eine „antifaschistisch-demokratische“ Ordnung errichtet. Unter der Parole des „Antifaschismus“ wurden alsbald ökonomische Umgestaltungen im sozialistischen Sinne durchgeführt. Sozialdemokraten und Liberale wurden, wenn sie nicht bereit waren, sich der SED unterzuordnen, ins Gefängnis geworfen. Die Sowjets führten von Nationalsozialisten errichtete Konzentrationslager weiter, die sich angeblich gegen „Faschisten“ richteten, in die aber ebenso Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus eingeliefert wurden, wenn sie sich gegen die Kommunisten stellten. Zu ihnen gehörten Männer des 20. Juli 1944 wie Justus Delbrück und Ulrich Freiherr von Sell, die in Jamlitz starben. Horst von Einsiedel, Angehöriger des „Kreisauer Kreises“, einer führenden Widerstandsgruppe gegen Hitler, kam 1946 im Konzentrationslager Sachsenhausen ums Leben. Joachim Ernst Herzog von Anhalt, den die Nationalsozialisten im KZ Dachau gefangenhielten, starb 1947 im NKWD-Lager Buchenwald. Der Kampf gegen Demokratie und Kapitalismus wurde stets unter der Parole des „Antifaschismus“ geführt. Sogar die Mauer wurde von der DDR offiziell als „antifaschistischer Schutzwall“ bezeichnet.
Auflösung des antitotalitären Konsenses
Seit den 60er-Jahren erfolgte in der Bundesrepublik eine zunehmende Auflösung des antitotalitären Konsenses. Das Bestreben der Linken ging dahin, den antitotalitären Konsens, der sowohl Antifaschismus wie auch Antikommunismus bedeutete, in einen rein „antifaschistischen“ Konsens umzuwandeln. Der „Faschismus“-Vorwurf traf dabei tendenziell alle, die sich rechts von der Union positionierten. Die politische Kultur wandelte sich zunehmend in dem Sinne, dass auch extrem weit links stehende Ansichten als legitimer Bestandteil der demokratischen Ordnung gesehen wurden, während alles was nicht links ist, in Faschismus-Nähe gerückt wurde. Raed Saleh, Vorsitzender der SPD-Fraktion in Berlin, formulierte kürzlich in einem Zeitungsartikel, nur SPD, Linke, Grüne stünden „uneingeschränkt“ zum Grundgesetz, nicht jedoch die CDU und die FDP.
Es blieben jedoch einige Reste des einstmaligen antitotalitären Konsenses bestehen. Dies reflektierte sich beispielsweise in dem Beschluss der CDU, die Zusammenarbeit mit AfD und Linkspartei gleichermaßen abzulehnen. Die Entscheidung von Thüringen hat insofern tatsächlich historischen Charakter, dass die CDU nun auch ganz offiziell den anti-totalitären durch den „antifaschistischen“ Konsens ersetzt.
Vorbereitung einer Linksfront-Regierung in Berlin
Nach der Wiedervereinigung lehnte die SPD zunächst entschieden eine Zusammenarbeit mit der PDS (die davor SED hieß und heute „Die Linke“) ab. Dann hieß es, auf Landesebene sei eine Zusammenarbeit zwar möglich, auf Bundesebene wurde sie jedoch ausgeschlossen. Vor wenigen Jahren beschloss die SPD dann, dass sie auch auf Bundesebene eine Zusammenarbeit mit der Linken nicht mehr ausschließe. SPD und Grüne wissen jedoch, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland nach wie vor eine Linksfront-Regierung aus SPD, Grünen und Linken ablehnt. Daher ist es für die SPD und die Grünen von zentraler Bedeutung, dass die Linke in der Öffentlichkeit als normale Partei erscheint, mit der eine Zusammenarbeit legitim und vernünftig ist. Thüringen bot eine gute Gelegenheit, diese Sicht zu verbreiten, da Ministerpräsident Ramelow weniger links ist als andere Politiker der Linkspartei und die AfD in Thüringen besonders weit rechts steht.
Daniel Günther, der CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und offiziöses Sprachrohr von Angela Merkel, wurde nicht müde, Tag für Tag zu erklären, die CDU müsse unbedingt mit der Linken zusammenarbeiten. Plant die Linke, dauerhaft mit der CDU zu kooperieren? Eher nicht. Aber die Zusammenarbeit mit der CDU soll – so die Strategie der Linkspartei – die Linke endgültig als „normale“ Partei erscheinen lassen, um Vorbehalte von Wählern gegen eine Linksfront-Regierung zu beseitigen. In der Öffentlichkeit – und sowieso von SPD und Grünen – wird dabei weitgehend ignoriert, dass in der Linkspartei ebenso Linksextremisten (z.B. die einflussreichen Trotzkisten) akzeptiert werden, wie die AfD einen Björn Höcke und dessen zunehmend einflussreichen Anhänger in ihren Reihen akzeptiert.
Seit Wochen läuft eine gigantische mediale Kampagne, die darauf zielt, die CDU sei angeblich verpflichtet, in Thüringen einen linken Ministerpräsidenten zu wählen. Keine Talkshow, in der nicht kritisch die „Äquidistanz“ zu AfD und Linker hinterfragt wurde, keine „heute“-Sendung, in der nicht an die CDU appelliert wurde, Bodo Ramelow zu wählen. Diese Kampagne hatte Erfolg. Und Katja Kipping hat Recht, wenn sie von der „historischen Dimension“ spricht.
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