Absurd: Eben hat die SPD ihren Wahlkampf mit „sozialer Gerechtigkeit“ haushoch verloren und jetzt erklären Vertreter von CDU und Grünen, das „Soziale“ solle im Mittelpunkt einer Jamaika-Koalition stehen.
CDU, CSU, FDP und Grüne könnten nach Einschätzung von Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bei einer Jamaika-Koalition den Schwerpunkt aufs Soziale legen. „Es gab eine relativ breite Zustimmung dabei, dass klar ist, die soziale Frage muss für diese Koalition im Mittelpunkt stehen“, sagte Göring-Eckardt nach dem ersten Sondierungstreffen in großer Runde in einem Video, das die Grünen online stellten.
CDU soll noch sozialdemokratischer werden
In das gleiche Horn stößt Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der sich in einem Interview im aktuellen FOCUS in abstoßender Weise bei Angela Merkel anbiedert („die Menschen haben ein Rieseninteresse, dass Angela Merkel das Land weitere vier Jahr erfolgreich führt“) und sich als neuer CDU-Linksaußen profiliert. „Ich sehe in einem Jamaika-Bündnis vor allem die Chance, in der CDU auch den sozialen Flügel wieder zu stärken.“ Das sei die richtige Lehre aus dem Wahlkampf, so Günther im FOCUS. Wie bitte? Das soll die Lehre aus einem Wahlkampf sein, bei dem die SPD das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik erzielte? Dabei hatte sie das Thema „soziale Gerechtigkeit“ bis zum Überdruss strapaziert. Hat sich die CDU unter Angela Merkel nicht schon genug sozialdemokratisiert?
Noch mehr Umverteilung
Der Begriff „soziale Gerechtigkeit“ ist so schwammig, dass sich jeder das vorstellen kann, was er will. Da niemand so genau weiß, was „gerecht“ bedeutet, ist damit faktisch immer „noch mehr Umverteilung“ gemeint. Ein Blick auf die Ausgaben im Bundeshaushalt zeigt, dass die Ausgaben für „Soziales“ bereits jetzt in einem unvorstellbaren Maß dominieren. 137,6 Milliarden Euro verbraucht allein das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, während beispielsweise der Bundesetat für Bildung und Forschung nur 17,7 Milliarden beträgt und der Etat des Innenministeriums nur neun Milliarden. Die ganze Ära der Großen Koalition war von „Sozialem“ bestimmt: Mietpreisbremse, Rente mit 63, Mindestlohn usw. usf. Und da soll nach dem Willen von CDU und Grünen jetzt noch mal draufgesattelt werden?
Was die FDP-Wähler wohl dazu sagen werden
Ich bin ja mal neugierig, was die FDP-Wähler wohl dazu sagen werden, wenn das „Soziale“ im Mittelpunkt von Jamaika stehen soll. Ja, in der FDP gibt es auch einen Komplex, dass man nicht als „kalt“ und „unsozial“ erscheinen möchte. Und vielleicht erliegen Jamaika-Fans wie Wolfgang Kubicki, die um jeden Preis mit Union und Grünen zusammengehen wollen, der Versuchung, auf einmal ganz „sozial“ zu erscheinen. Gegenüber der Parteimitgliedschaft und den Wählern reden sie sich dann damit heraus, sie verstünden unter „sozial“, dass mehr in Bildung investiert werden solle, um die Chancengerechtigkeit zu erhöhen. Nur: Wenn die Grünen und die CDU von „Sozialem“ sprechen, dann meinen sie mehr Umverteilung und noch mehr staatliche Sozialleistungen, Verschärfung der Mietpreisbremse, Anhebung des Mindestlohnes usw. Die Grünen haben genau gesagt, was sie unter „sozial“ verstehen, z.B. die sogenannte Bürgerversicherung, also eine Zwangsversicherung für Selbstständige oder die Verschärfung der Mietpreisbremse. Im FDP-Wahlprogramm wird dagegen die Abschaffung der Mietpreisbremse gefordert und eine „Bürgerversicherung“ strikt abgelehnt.
Zuwanderung – nicht „Soziales“ ist das Thema
Alle Umfragen belegen, dass das Thema „Begrenzung der Zuwanderung“ und eben gerade nicht die „soziale Gerechtigkeit“ das wichtigste Thema für die Wähler ist. Eine Focus-Umfrage zeigt, dass sich die Wähler von FDP und Grünen konträr gegenüberstehen: „Die neue Regierung soll eine Obergrenze für Flüchtlinge einführen“, das fordern 77 Prozent der FDP-Wähler, so viel wie von keiner anderen Partei, mit Ausnahme der AfD (97%). Und bei den Wählern keiner anderen Partei ist die Ablehnung der Obergrenze so groß wie bei denen der Grünen, wo nur 34 Prozent für eine Obergrenze sind. Dabei geht es hier gar nicht um das Wort „Obergrenze“, sondern um die klare Botschaft: Die FDP-Wähler wollen die Zuwanderung in die Sozialsysteme begrenzen, die Grünen wollen sie ausweiten. Dass beide Parteien für ein Zuwanderungsgesetz sind, verdeckt die viel wichtigere Tatsache, dass die Wähler der Grünen mehrheitlich für eine Politik der offenen Grenzen sind, die Wähler der FDP dagegen. Beim Thema „sichere Herkunftsländer“ vertreten die Wähler keiner anderen Partei eine so klare Haltung wie die der FDP: Algerien, Marokko und Tunesien sollen nach Meinung von 66 Prozent der FDP-Wähler als sichere Herkunftsländer gelten, was Abschiebungen erleichtert. Damit liegt der Anteil bei FDP-Wählern fast 20 Prozentpunkte (!) über dem der Gesamtbevölkerung und sogar höher als bei den AfD-Wählern, die diese Position zu 59 Prozent teilen.
Der Trick mit dem „Sozialen“
Die Vertreter von SPD, Linken, Grünen und des linken Flügels der CDU wollen einfach nicht verstehen, dass die Begrenzung der Zuwanderung für die Mehrheit der Bürger das entscheidende Thema ist. Da sie die täglichen Probleme im Zusammenleben mit Migranten ignorieren und verdrängen, wenden sie einen billigen Trick an: Angeblich, so argumentieren sie, gehe es den Wählern gar nicht darum, sondern hinter den „Ängsten vor Zuwanderung und Migranten“ stehe „eigentlich“ die Unzufriedenheit mit mangelnder „sozialer Gerechtigkeit“. Ökonomistisch wird der Wunsch auf Begrenzung von Zuwanderung ausschließlich als Wettbewerb der unteren sozialen Schichten um Wohnraum und Arbeitsplätze umgedeutet. Das mag für manche AfD-Wähler aus Berlin-Marzahn sogar teilweise zutreffen. Dazu passt aber ganz und gar nicht, dass gerade die FDP-Wähler besonders eindeutig für die Begrenzung der Zuwanderung sind. Bekanntlich kommen die Wähler der Liberalen nicht überwiegend aus dem Bereich von Geringverdienern und Arbeitslosen.
Der Trick ist: Zuerst werden tatsächliche Probleme, wie etwa die bei Migranten höhere Kriminalität, durch statistische Tricks „beseitigt“, im nächsten Schritt wird alles zu einem Problem der „sozialen Gerechtigkeit“ umgedeutet, damit man dann im dritten Schritt den Schwerpunkt vom Problem der Zuwanderung verlegen kann auf das „Soziale“.
Kürzlich erschienen, überall besprochen und beachtet: www.zitelmann-autobiografie.de