Kubicki über Gewaltandrohung im Bundestag:
Was ist dran an der Geschichte von der „Fast-Keilerei“?

Erschienen am 30. Dezember 2018

Die „Rheinische Post“ veröffentlichte am 29. Dezember ein Doppelinterview mit den beiden Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Kubicki (FDP) und Claudia Roth (Grüne). Insbesondere eine Äußerung von Kubicki wurde von Agenturen aufgegriffen und zahlreiche andere Medien berichteten von einer „Fast-Keilerei“ im Bundestag.

Das hatte Kubicki gesagt: „Ich stelle wie Claudia Roth fest, dass es inzwischen Verhaltensweisen gibt, die mit normalen Umgangsformen im Parlament nichts mehr zu tun haben. Ein Drittel der AfD-Fraktion, das überwiegend in den hinteren Reihen sitzt und vorwiegend aus ostdeutschen Bundesländern kommt, ist nicht nur verbal aggressiv. Einmal stand es im Bundestag sogar kurz vor einer kleinen Keilerei, weil deren Zwischenrufe unerträglich waren.“

Kein Journalist fragt nach
Eigenartigerweise fragte kein Journalist nach, was denn genau geschehen sei. Was genau bedeutet Kubickis Aussage, es habe „kurz vor einer kleinen Keilerei“ gestanden? Das kann nur bedeuten: Eine Keilerei gab es nicht, aber ein Abgeordneter hat einem anderen Schläge angedroht. Gab es diesen Vorfall? Wann hat er sich ereignet und wer war daran beteiligt? Skepsis ist angebracht, denn man muss sich ja fragen: Warum hat kein Medium darüber berichtet? Wurde die Gewaltandrohung, von der Kubicki berichtet, von ihm oder einem anderen Bundestags(vize)präsidenten formell gerügt? Das hätte doch geschehen müssen, sobald eine Gewaltandrohung bekannt wurde.

Und vor allem: Wer hat wem Schläge angedroht? Auch diese Frage stellte weder der Journalist der Rheinischen Post noch jene Journalisten, die den Bericht aufgriffen. Die Berichterstattung in mehreren Medien erzeugt den Eindruck, die Gewaltandrohung sei von der AfD ausgegangen. Aber ist Kubickis Äußerung vielleicht ganz anders zu interpretieren? Er sagte ja, es sei fast zu einer Keilerei gekommen, „weil“ Zwischenrufe von AfD-Abgeordneten „unerträglich“ waren. Dies könnte zu dem Schluss führen, dass der oder diejenige Abgeordnete, dem/der diese Äußerungen aus den Reihen der AfD unerträglich erschienen sind, einem oder mehreren AfD-Abgeordneten Schläge angedroht haben. War das so? Oder ist Kubickis Geschichte am Ende frei erfunden? Warum fragte kein Journalist nach?

Es geht noch weiter: Kubicki nimmt den Vorfall ja als Beleg dafür, dass ein Drittel der AfD-Abgeordneten „nicht nur verbal aggressiv“ sei. Was genau soll dies heißen? Auch hier fragte kein Journalist nach. Wenn jemand „nicht nur verbal aggressiv“ ist, dann heißt dies doch, dass er körperliche Gewalt ausgeübt hat, denn alles andere ist ja verbale Aggressivität. Übt jeder dritte AfD-Abgeordnete im Bundestag Gewalt aus?

Schäuble meldet sich zu Wort
Angesichts dieser Äußerungen sah sich jetzt sogar der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble veranlasst, öffentlich im Rahmen eines ZDF-Interviews Stellung zu nehmen. DIE WELT berichtete am 30. Dezember unter der Überschrift: „Ich habe bisher keine Schlägereien erlebt. Ich würde das nicht so dramatisieren“: „Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat in der schärfer gewordenen Auseinandersetzung mit der AfD im Bundestag vor Alarmismus gewarnt. Im ZDF-Winterinterview machte der CDU-Politiker deutlich, dass er keinen allzu rauen Umgangston im Parlament erkennen könne. ‚Ich habe bisher keine Schlägereien erlebt. Ich würde das auch im Vergleich zu anderen Parlamenten nicht so dramatisieren‘, sagte Schäuble.“

Kubickis Gewaltphantasien
In der ZEIT erklärte Kubicki kürzlich: Manchmal treffe er auf Menschen, mit denen er es kaum aushalte, in einem Raum zu sein, da sie ihn aggressiv machten: „Anton Hofreiter von den Grünen. Er könnte mich zu Dingen verleiten, die ich eigentlich nicht will: ihm eine knallen zum Beispiel“, so Kubicki. Hofreiter, so Kubicki, sei „ein Mensch, der meine Aggressionsschwelle drastisch senkt. Da ich das aber nicht will, vermeide ich es, dass wir zusammen in einem Raum sind.“

Schon zuvor hatte Kubicki, wie die ZEIT berichtete, mit Blick auf die angebliche Äußerung eines AfD-Abgeordneten erklärt: „Da war ich fassungslos. Wenn ich mitbekommen hätte, von wem genau die Aussage kam, ich wäre aufgestanden und hätte dem Typen eine geknallt.“ Dass einen rechtsextreme Äußerungen aus den Reihen der AfD empören, ist völlig in Ordnung, das würde mir genauso gehen. Und auch dafür, dass jemand Anton Hofreiter von den Grünen nicht leiden kann, habe ich Verständnis – mir geht es ebenso. Dennoch sollte man fragen, ob es dem Amt eines Bundestagsvizepräsidenten entspricht, mehrfach öffentlich zu bekunden, dass er Abgeordneten gerne „eine knallen würde“. Wenn der gleiche Bundestagsvizepräsident nun von einer angeblichen „Fast-Keilerei“ berichtet und erklärt, ein Drittel der AfD-Abgeordneten sei „nicht nur verbal aggressiv“, dann sollten Journalisten, die ihren Job ordentlich machen, doch nach konkreten Belegen fragen, um den Sachverhalt aufzuklären.

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.