Satire: Ich lerne politische Korrektheit (7)
„Nur kein Generalverdacht“

Erschienen am 14. Januar 2017

Ich lerne politische Korrektheit – und das ist komplizierter als ich dachte. Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Satz: „Man darf … nicht unter Generalverdacht stellen.“ Warum gilt dieser Satz für Flüchtlinge und generell für Migranten, nicht jedoch für Manager oder Banker? Eine weitere Lehrstunde in Politicial Correctness.

Zu Erinnerung: Ich habe mir vorgenommen, seit dem 1. Januar politisch korrekt zu denken, zu sprechen und zu handeln. Da die Sache komplizierter ist als ich zunächst annahm, engagierte ich einen PC (= Political Correctness)-Lehrer. Gerade die Sache mit dem „Generalverdacht“ erwies sich als sehr komplexes Thema.

Wann muss man vor „Generalverdacht“ warnen?

Ich hatte bereits verstanden, dass es sehr wichtig ist, nach jedem Terroranschlag, wenn dieser von einem Flüchtling begangen wurde, zu warnen, man dürfe auf keinen Fall alle Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen. Genauso wichtig ist es, nach jedem anderen Verbrechen, wenn dieses von Angehörigen einer Minderheit begangen wurde, eindringlich darauf hinzuweisen, dass man deshalb nicht die ganze Gruppe unter Generalverdacht stellen dürfe. Nun gut, damit war ich schon vollkommen einverstanden, bevor ich mir vorgenommen hatte, politisch korrekt zu werden.

Neu war für mich nur, dass es eine Pflicht für jeden politisch korrekten Bürger ist, nach jedem solchen Ereignis den Zeigefinger zu heben und sodann laute und eindringliche Warnungen vor einem „Generalverdacht“ auszustoßen. Aber auch damit konnte ich irgendwie leben, denn schaden kann das ja nichts: Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig vor einem unbegründeten Generalverdacht gewarnt.

Was ich neu gelernt hatte, wollte ich natürlich in der Praxis jetzt konsequent anwenden. Als vor einigen Tagen gemeldet wurde, welche ungeheuren Bezüge VW-Chef Martin Winterkorn noch bezieht, obwohl er für den VW-Abgasskandal verantwortlich ist, fügte ich in Diskussionen im Bekanntenkreis stets hinzu: „Aber das ist nun wirklich kein Grund, Manager und Konzernbosse unter Generalverdacht zu stellen. Das sind nur Einzelfälle, und die übergroße Mehrheit der Vorstandsvorsitzenden ist nicht kriminell, sondern geht friedlich einer wichtigen Arbeit nach.“

Gute und böse Minderheiten

Als ich meinem PC-Lehrer stolz davon erzählte, dass ich nach den jüngsten Nachrichten über Martin Winterkorn überall sehr eindringlich vor einem „Generalverdacht gegen Manager“ gewarnt hatte, runzelte der die Stirn: „Ich habe den Eindruck, die Sache mit dem Generalverdacht hast du nicht richtig verstanden.“ Nachsichtig fügte er hinzu: „Man sieht halt, dass du erst vor Kurzem damit begonnen hast, politisch korrekt zu denken, da unterlaufen einem zuweilen solche Fehler.“ Fehler? Warum denn? Ich hatte ja gelernt, dass es ganz generell falsch ist, soziale Gruppen (und vor allem Minderheiten) unter einen Generalverdacht zu stellen, nur weil einzelne Mitglieder dieser Gruppe sich falsch verhalten haben. Mein Lehrer wollte, dass ich selbst darauf kam, warum ich einen Fehler gemacht hatte – so könne ich schneller lernen. Er bat mich, Gruppen von Menschen aufzulisten, bei denen Vergehen Einzelner den Anlass bieten könnten, vorschnell alle zu verdächtigen. Ich schrieb auf meinen Zettel:

Migranten
Banker
Manager
Flüchtlinge
Reiche
Moslems
Amerikanische Polizisten

„Stopp, Stopp – unterbrach mich mein PC-Lehrer. Was du da aufschreibst, ist viel zu undifferenziert. Bei Bankern, Managern und Reichen ist eine Warnung vor Generalverdacht völlig überflüssig und auch politisch nicht korrekt. Und was sollen die amerikanischen Polizisten überhaupt auf dieser Liste?!“ Das mit den Polizisten konnte ich rasch aufklären, denn ich hatte beobachtet, dass nach jedem Fall, wenn ein amerikanischer Polizist einen Afroamerikaner erschossen hat, allzu schnell die ganze amerikanische Polizei als zutiefst rassistisch unter Generalverdacht gestellt wird. Und warum waren Banker, Manager und Reiche auf der Liste falsch? Ich dachte nach, und mir fiel in der Tat auf, dass nach Skandalen, in die Banker verwickelt waren, nur äußerst selten in den Medien lautstark vor einem „Generalverdacht gegen Banker“ gewarnt wurde. Im Gegenteil. In solchen Fällen war die Berichterstattung sogar so, dass die ganze Gruppe unter Generalverdacht gestellt wurde – sehr rasch war pauschalisierend von „raffgierigen Managern“ und „gierigen Bankern“ die Rede.

Generalverdacht gegen Banker berechtigt

Dazu gibt es nur wenige Ausnahmen – so fand ich beim googeln einen Kommentar in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom 4. Mai 2016 unter der Überschrift „Manager unter Generalverdacht“. In dem Artikel hieß es, dass selbst nach einem Freispruch in Prozessen gegen ranghohe Manager sie in den Augen der Öffentlichkeit immer noch schuldig seien: „Die Verurteilung ranghoher Banker hätte in der Öffentlichkeit sicher viel Zuspruch erhalten, erklärte die ARD in den Hauptnachrichten. Übereifrige Staatsanwälte wissen, dass sie die öffentliche Meinung hinter sich haben, wenn sie Banker vor den Kadi bringen, sei die Beweislage noch zu dünn.“

Warum also war es nicht richtig, gerade in diesen Fällen vor einem Generalverdacht zu warnen? Zunächst merkte mein PC-Lehrer an: „Die Neue Zürcher Zeitung solltest du künftig nicht mehr zitieren und auch nicht mehr lesen, denn wie rückständig die Schweizer sind, haben sie ja erst unlängst in ihren Volksabstimmungen zur Abschaltung von Atomkraftwerken, zur Begrenzung von Managergehältern und zur Einwanderung gezeigt, wo sie immer politisch vollkommen unkorrekt abgestimmt hatten.“ Ich versprach, mein NZZ-Abo zu kündigen und stattdessen die taz zu abonnieren. „Ja, und den SPIEGEL kannst du auch gleich abbestellen, da sollte man mal ein Signal setzen, dass wir nicht einverstanden sind, wenn dort Leute wie Jan Fleischhauer oder Alexander Neubacher schreiben, die sogar stolz darauf sind, permanent gegen alle Regeln der politischen Korrektheit zu verstoßen. Aber nun zur Sache: Banker sind keine schützenswerten Minderheiten – anders als beispielsweise Flüchtlinge, Moslems, Migranten. Vor Generalverdacht muss nur gewarnt werden, wenn die Gruppe schwach ist.“ Ich hatte eigentlich bisher den Eindruck, dass man in der Öffentlichkeit eher unwidersprochen gegen Manager, Banker und Reiche hetzen darf als sich kritisch zu anderen Minderheiten zu äußern – war also jetzt noch mehr verwirrt.

„Sieh es einfach mal so: Es gibt schützenswerte Minderheiten und solche, die nicht schützenswert sind. Zu letzteren gehören soziale Gruppen wie Vermieter, Immobilienmakler, Banker oder Manager. Zur ersten Gruppe gehören beispielsweise Migranten, Flüchtlinge, Transgender und Frauen.“ Frauen??? Jetzt verstand ich gar nichts mehr. „Frauen sind doch keine Minderheit, im Gegenteil. Sie stellen mit 51 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung“, wandte ich ein. „Ja, statistisch ist das richtig“, räumte mein PC-Lehrer ein, „trotzdem wollen wir sie so wie alle anderen guten Minderheiten behandeln, denn unter den Aufsichtsräten und Top-Managern sind Frauen dennoch eine Minderheit. Wenn die Sache für dich offenbar zu kompliziert ist, dann merke dir einfach, dass es gute und böse Minderheiten gibt. Bei einer bösen Minderheit dienen Berichte über das Vergehen Einzelner – wie im Fall Winterkorn – nur zur Illustration, wie sozial schädlich deren Verhalten ganz generell ist. Bei einer guten Minderheit sind Berichte über das Vergehen Einzelner dagegen geeignet, die ganze Gruppe unter einen unzulässigen Generalverdacht zu stellen.“


24 Besprechungen, Interviews und Artikel zu Rainer Zitelmanns aktuellem Buch "Reich werden und bleiben": http://www.reichwerdenundbleiben.net/

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.