Der Anteil derjenigen, die marktwirtschaftliche Positionen in der SPD vertreten, scheint auf 0,0 Prozent gesunken zu sein. So scheint es jedenfalls, wenn man die Parteitagsreden hört.
Es ist gerade einmal 14 Jahre her, dass Gerhard Schröder die Agenda 2010 verkündete, die eine entscheidende Ursache dafür ist, warum es Deutschland heute viel besser geht als anderen europäischen Staaten, die keine vergleichbaren Reformen durchführten. Doch auf dem SPD-Parteitag findet sich niemand, der es noch wagt, öffentlich für marktwirtschaftliche Positionen oder gar für die Agenda-Politik einzutreten.
Schämen für Schröder
Ich habe heute viele Stunden den SPD-Parteitag auf Phoenix verfolgt, aber keinen einzigen Redebeitrag gehört, in dem jemand auch nur ein gutes Haar an der Marktwirtschaft ließ. Beifall kam immer dann auf, wenn gegen „die Konzerne“, gegen gierige Banker, gierige Manager und überhaupt gegen alle Kapitalisten geschimpft wurde, wenn die angeblich schreiende soziale Ungerechtigkeit beklagt und über „die Reichen“ hergezogen wurde. Manche Redner bekundeten sogar ganz offen ihre Verachtung für Gerhard Schröder und die Agenda 2010. Eine Delegierte erklärte, wie sehr sie und ihre Genossen sich dafür schämten, dass die SPD Schröder im Juni auf den Sonderparteitag eingeladen hatte. Inhaltliche Unterschiede zu den Positionen von Oskar Lafontaine waren nicht erkennbar.
Näher bei Lafontaine als bei Schröder
Einen Moment stellte ich mir vor, was passiert wäre, wenn Lafontaine vor einigen Wochen heimlich wieder der SPD im Saarland beigetreten wäre und heute eine fulminante Rede auf dem Parteitag gehalten hätte – so wie 1995, als er auf dem Parteitag den damaligen SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping stürzte. Hätte er diesmal Schulz stürzen und die SPD mit der Linken zur Sozialistischen Einheitspartei fusionieren können? Das war natürlich nur ein Gedanke, aber Tatsache ist, dass die Positionen, die von der Mehrheit der Redner vertreten wurden, viel näher bei denen von Lafontaine liegen als bei denen von Schröder. Mit seinen Positionen zur Flüchtlingspolitik würde Lafontaine inzwischen vielleicht sogar eher als „Rechter“ in der SPD gelten.
Gibt es noch Marktwirtschaftler?
Leute wie Wolfgang Clement, immerhin früher einer der führenden Leute in der SPD, Ministerpräsident im sozialdemokratischen Herzland NRW und Bundesminister, sind heute in der SPD undenkbar (Clement trat 2008 aus der Partei aus, nachdem man versucht hat, ihn rauszuwerfen).
Sicherlich gibt es noch vereinzelte Marktwirtschaftler in der SPD, Leute wie etwa den Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz. Auch wenn Journalisten manchmal spekulierten, Scholz könne auf dem Parteitag gegen Schulz antreten: Er weiß schon genau, warum er es nicht getan hat. Er hätte keine Chance gehabt. Seine Positionen sind so typisch für die SPD wie die von Boris Palmer für die der Grünen.
Schweigespirale
Diejenigen Sozialdemokraten, die immer noch marktwirtschaftliche Positionen vertreten, haben sich jedenfalls nicht getraut, diese auf dem Parteitag zu artikulieren. Das sagt sehr viel über die Stimmungslage in der SPD – und darüber, wie weit sie nach links gerückt ist. Die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann hat in ihrer Theorie der Schweigespirale erklärt, warum das so ist: Wer weiß oder annimmt, dass er sich mit seiner Meinung in einer aussichtslosen Minderheitenposition befindet, traut sich nicht mehr, diese öffentlich zu artikulieren. Nicht nur die CDU ist stark nach links gerückt, sondern auch die SPD – das wird manchmal übersehen. Der Parteitag hat es überdeutlich gezeigt. Warum jemand SPD und nicht entweder die Linke oder (für die Gemäßigteren) die sozialdemokratisierte und vergrünte CDU wählen soll, ist nur schwer zu verstehen.
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