Vom Scheitern einer sozialen Utopie

Erschienen am 28. Juli 2008

Kurzfristig mag es kaum eine Alternative zu den Maßnahmen geben, die jetzt in Washington beschlossen wurden. Das Land, das Vielen als Vorbild oder (je nach politischer Gesinnung) als Schreckgespenst für die „reine“ Marktwirtschaft ohne „soziale Verpflichtung“ erschien, hebelt den Markt immer mehr aus.

Der Sündenfall liegt aber lange vor den jetzt beschlossenen Maßnahmen. Mit staatlichen Unterstützungen, massiven steuerlichen Förderungen usw. wollte man erreichen, dass so ziemlich jeder Amerikaner Hausbesitzer wird. Der Wohlfahrtsstaat ist, anders als viele Europäer dies glauben, kein ausschließlich europäisches Phänomen. In den USA gibt es inzwischen beispielsweise mehr Förderungen und Steuervorteile für private Immobilieneigentümer als in Deutschland. Von der Abzugsfähigkeit privater Schuldzinsen bis zum Aufbau gigantischer Unternehmen à la Freddie Mac und Fannie Mae wurde alles getan, damit auch der letzte Amerikaner vom Mieter zum Eigentümer wird. George Bush propagierte vehement die Utopie einer „Gesellschaft der Eigentümer“ – und die Demokraten stehen ihm natürlich nicht nach. Alle Menschen sollen Hausbesitzer sein: Das ist ein schönes Ziel, aber es darf – so die Lehre aus den USA – nicht um jeden Preis angesteuert werden.

Die Entstehung von gigantischen Quasi-Staatsunternehmen wie Fannie und Freddie, die vor allem das Ziel hatten, breiten Schichten die Eigentumsbildung zu ermöglichen, war eine der Ursachen für die Probleme, vor denen die USA jetzt stehen. Die Utopie der „Gesellschaft der Eigentümer“ hat übersehen, dass es nun einmal einen nicht geringen Teil der Bevölkerung gibt, der weder von den finanziellen Grundlagen noch von der Spardisziplin her objektiv in der Lage ist, Hauseigentümer zu werden. Wer stets mehr ausgibt als er verdient und seinen Konsum auf Pump finanziert (übrigens ganz so, wie es der Staat vormacht), sollte kein Hauseigentum erwerben. Wer jede Erhöhung der Hauspreise sofort nutzt, um sein Darlehen umzufinanzieren und sich zum Zweck der Finanzierung privaten Konsums noch höher zu verschulden, verfügt nicht über die notwendige Disziplin, die ein Hauseigentümer mitbringen sollte, wenn er ein jahrzehntelanges Tilgungsprogramm erfolgreich managen will. Für ihn selbst und für die Gesellschaft wäre es besser, er wäre Mieter geblieben.

In den USA haben Banken und andere Finanzdienstleister gut daran verdient, dass es sich der Staat zum Ziel gesetzt hat, Menschen aller sozialen Schichten zu Eigentümern zu machen – auch jene, die lieber Mieter hätten bleiben sollen. Die Menschen sind nun einmal nicht gleich: Dass man das in Deutschland nicht versteht, ist schon lange bekannt. Dass man das auch im Land des angeblich reinen Kapitalismus nicht versteht, ist beunruhigend.

Die derzeitige Krise ist deshalb auch keine Krise des Marktes und des Kapitalismus, sondern eine Krise, die durch staatliche Interventionen und sozialen Utopismus heraufbeschworen wurde. Der Sozialismus ist weltweit schon einmal gescheitert – er ist derzeit dabei, das zweite Mal zu scheitern. Die Tragik liegt jedoch diesmal darin, dass das zweite Scheitern des Sozialismus als Scheitern des Kapitalismus wahrgenommen wird.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.

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