Warum dauert es in Deutschland 11 Jahre, um 680 Wohnungen zu bauen?

Erschienen am 12. November 2015

Dieser Fall ist leider keine Ausnahme, sondern Ähnliches ereignet sich täglich in Deutschland: Ein Projektentwickler in München brauchte 11 Jahre, um 680 Wohnungen zu bauen. Die reine Bauzeit betrug nur vier Jahre. Die anderen sieben Jahre sind Ergebnis von Überregulierung, Ökowahn und Beamtentrott.

Was dauerte so lange?

  • Ursprünglich handelte es sich um ein Gebiet, in dem Gewerbeobjekte gebaut werden sollten. Da der Bauträger stattdessen Wohnungen bauen wollte (an denen es bekanntlich in München besonders fehlt), musste er eine Strafe zahlen (Gewerbeausgleichszahlung). Die Ermittlung der Höhe der Gewerbeausgleichszahlung dauerte vom Januar 2012 bis zum März 2015. Es wurden immer wieder neue Zahlen berechnet. Im August 2014 hieß es, es würden 3,87 Mio. Euro fällig. Im März 2015 fiel dem Referat für Wirtschaft & Arbeit auf, dass man eine „Null“ vergessen hatte, also „nur“ 3,087 Mio. Euro Gewerbeausgleichszahlung zu entrichten sind.
  • Eine sogenannte Habitatuntersuchung dauerte vom März 2011 bis Juni 2015. Es gab ein offizielles Gutachten, wie viele Zauneidechsen sich auf dem Gelände befinden. Fünf Begehungen durch einen anerkannten Spezialisten ergaben, dass es zwei Zauneidechsen gebe. Da man vermutete, es seien wahrscheinlich 30, und jede Zauneidechse 150 qm Lebensraum braucht, kam man zum Ergebnis, dass auf dem Grundstück 4500 qm nicht bebaut werden dürfen. Die Beamten zweifelten die Untersuchung an, sie vermuteten eine Population von 50 Tieren – mit einem Flächenbedarf von 7200 qm. Im April 2015 gab es dann einen Zauneidechsengipfel der Behörden, des Gutachters und des Projektentwicklers: Es nahmen 11 Personen teil, Dauer 3 Stunden. Im Mai 2015 kam es zu Nachkartierungen mit je zwei gefundenen Zauneidechsen. Im Juni 2015 wurde das ursprüngliche Gutachten durch die Behörde dann doch akzeptiert.
  • Vor Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens muss der Schulbedarf (mittelfristig) sichergestellt sein. Im September 2011 wurde die Anfrage an das Schulreferat gestellt, ob der Schulbedarf sichergestellt sei. Erst im Januar 2015 bekam man eine Antwort: Ja, der Schulbedarf sei sichergestellt. Grund für die Verzögerung: Bei der Stadt München war lange Zeit nur eine Person für die Berechnung des Schulbedarfs zuständig. Und dies, obwohl diese Aussage von zentraler Bedeutung für die Einleitung eines B-Planverfahrens ist.

Das sind nur drei von vielen Verzögerungen, die es in diesem Münchner Fall gab. Ich kenne Fälle, wo es nicht elf, sondern 20 Jahre dauerte, bis Wohnraum geschaffen war. Ich kenne viele andere Fälle, in denen die Bauträger schließlich kapitulierten und auf die Schaffung von Wohnraum ganz verzichteten. Und ich kenne einen Fall, in dem der Bauträger in Berlin schwarzen Humor bewies und zusammen mit den Beamten eine Feier anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der erstmaligen Befassung mit dem (natürlich immer noch nicht fertigen) Projekt durchführte.

Kaum ein Projektentwickler traut sich, diesen Wahnsinn öffentlich zu machen. Einer berichtete mir von folgendem Vorfall: Der zuständige Baustadtrat erklärte ihm irgendwann, dass ihm die Farbe der geplanten Wohnanlage nicht mehr gefalle. Auf den Hinweis des Projektentwicklers, dies sei doch längst genauso genehmigt, bekam er zur Antwort: „Ich denke, Sie werden noch viele Genehmigungen brauchen und würde mich da jetzt nicht drauf versteifen.“ Dieser Projektentwickler erzählte mir von vielen ähnlichen Erlebnissen, die ihn jetzt darüber nachdenken lassen, ob er seinen Job nicht besser aufgibt. Er sei es leid, als profitgieriger Kapitalist von Bezirkspolitikern oder Beamten Steine in den Weg gelegt zu bekommen.

Ein Münchner Projektentwickler sagte am Mittwoch auf unserer „Münchner Immobilienrunde“: „In Deutschland gibt es eine Willkommenskultur für Flüchtlinge, aber leider keine Willkommenskultur für Wohnungsprojektentwickler.“

Ich bin neugierig, was die Hamburger und Berliner Projektentwickler bei den geplanten Veranstaltungen am 2.12. und am 27.1. berichten werden. Beamte und Politiker, die Interesse haben, lade ich hiermit kostenlos ein.

2.12.2015: HAMBURGER IMMOBILIENRUNDE: Wohnungsneubau in Hamburg: Neue Marktzahlen und die 10 interessantesten Projekte

27.1.2016: BERLINER IMMOBILIENRUNDE: Wohnungsneubau in Berlin: Die interessantesten Projekte


24 Besprechungen, Interviews und Artikel zu Rainer Zitelmanns aktuellem Buch "Reich werden und bleiben": http://www.reichwerdenundbleiben.net/

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.