Warum die Europäer irgendwie Griechen sind

Erschienen am 13. Juli 2015

In der FAZ vom 10. Juli wurde einer der besten Artikel zur Griechenland-Krise veröffentlicht – „am Scheideweg“ von Richard Fraunberger. In diesem Artikel finden sich einige provokante, aber sehr bedenkenswerte Sätze:

  • Ohne einen Kultur- und Mentalitätswandel wird Griechenland nie auf die Höhe eines modernen europäischen Staates aufrücken, egal auf welche Reformen die EU dringt. Doch ein solcher Wandel kann nicht verordnet werden. Ein Wandel benötigt Einsicht und viel Zeit.“
  • Griechen hoffen, ohne zu denken, sagt der griechische Philosoph Stelios Ramfos. Sie werfen ihren Verstand über Bord. Politik ist für sie Zauberei. Wie Arbeitslosigkeit abgebaut werden kann, darüber macht sich niemand ernsthaft Gedanken. Der Staat wird es schon richten, und sei es mit einer Stelle beim Staat. Der Staat und die Renten sind die heilige Kuh.“

Ich möchte jedoch hinzufügen: Irgendwie sind die meisten Europäer Griechen. Deshalb tun sie sich auch so schwer mit dem Grexit. Die Einstellung, „der Staat werde es schon richten“, ist in Europa verbreitet, nicht nur in Griechenland und auch nicht nur bei linken Parteien. Ja, die Franzosen hängen dieser Meinung stärker an als die Briten, aber insgesamt vertraut man in Europa eher auf den Staat als auf die Kräfte des Marktes. Nur, dass dieses Denken in Griechenland besonders ausgeprägt ist.

In dem FAZ-Artikel heißt es weiter:

  • Auch mit Regeln halten Griechen es anders. In Europa herrscht das Primat der Regeln, in Griechenland das Primat des Regelbruchs.“

Stimmt das noch? Ja, es stimmt, den Griechen ist das Wort „Regeln“ weitgehend fremd. Eine Regel ist für sie allenfalls eine von mehreren Handlungsoptionen, mehr nicht. Aber sind nicht die meisten Europäer in der Eurokrise zu Griechen geworden? Wurden nicht alle Regeln außer Kraft gesetzt? Welche Regeln des Maastrichter Vertrages wurden eigentlich noch nicht gebrochen? Und wird nicht jeden Tag darüber diskutiert, wie die Regeln der EZB, der diversen Rettungsschirme usw. so hingebogen werden können, dass sie „passen“? Werden nicht täglich diese erst vor wenigen Jahren vereinbarten und in Gesetzesform gegossenen Regeln gebrochen?

Griechenland kann auf keinen Fall gerettet werden, denn es fehlt an allen Voraussetzungen. Die wichtigste Voraussetzung wäre Einsicht. Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung, so sagt man. Daran fehlt es jedoch komplett. Was nützt es, wenn die Griechen versprechen, Reformen auf den Weg zu bringen, die sie selbst entschieden ablehnen? Alexis Tsipras hat erst in den vergangenen Tagen immer wieder erklärt, selbst wenn man jetzt unter dem Druck Reformen zustimme, halte er diesen Weg für falsch.

Wenn die Eurostaaten schon nicht mit dem vergleichsweise kleinen Problem Griechenlands (2% Anteil am europäischen BIP) fertig werden, dann ist doch ganz offensichtlich, dass all die angeblich so wirksamen Schutzmechanismen, Rettungsschirme etc. nichts taugen. Wenn ein Schirm schon bei leichtem Nieselregen nicht trocken hält, weil sich zeigt, dass er durch und durch löchrig ist, wie soll er erst bei richtigem Regen oder gar bei Starkregen schützen? Was wäre, wenn nicht Griechenland, sondern beispielsweise Italien oder Frankreich „gerettet“ werden müssten? Die Frage stellen, heißt, sie zu beantworten.

Die Griechen halten uns Europäern nur den Spiegel vor. Das, woran der europäische Wohlfahrtsstaat so krankt, wird hier in seiner extremsten Ausprägung sichtbar – das Misstrauen in den Markt, die Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien und ein naives Vertrauen darin, der Staat werde es schon irgendwie richten.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.