Wissenschaftliche Studie: Macht Gleichheit glücklich?

Erschienen am 25. Juli 2021

Antikapitalisten sehen Ungleichheit als großes Problem. Doch ist sie das wirklich? Was sagen Wissenschaftler zur Beziehung zwischen Ungleichheit und Glück?

Viele Politiker und Journalisten – und auch manche Wissenschaftler wie etwa der französische Ökonom Thomas Piketty – sind geradezu besessen vom Thema Ungleichheit. Wie selbstverständlich wird meist vorausgesetzt: Mehr Gleichheit macht die Menschen glücklicher. Aber ist das auch so? Jonathan Kelley und M.D.R. Evans (International Survey Center Reno, Nevada) sind dieser Frage in einer groß angelegten Untersuchung nachgegangen. Die Datenbasis war ungewöhnlich umfangreich und enthielt 169 repräsentative Stichproben aus 68 Nationen, in denen insgesamt 211.578 Menschen befragt wurden.

Dabei wurde einerseits auf etablierte Fragestellungen der sogenannten Glücksforschung zurückgegriffen. Die Menschen wurden u.a. gefragt: „Alles in allem, wie zufrieden sind Sie insgesamt mit Ihrem Leben?“ Die Befragten konnten auf einer Skala von 1 (unzufrieden) bis 10 (zufrieden) antworten. Zudem wurde gefragt: „Wenn Sie alles zusammen nehmen, würden Sie sagen, Sie sind: Sehr glücklich, ziemlich glücklich, nicht sehr glücklich, überhaupt nicht glücklich?“

Die Ergebnisse dieser Befragungen wurden in Beziehung gesetzt zum Grad der Einkommensungleichheit in den Ländern. Diese Ungleichheit wird mit dem sogenannten GINI-Index gemessen. Die Studie war methodisch sehr anspruchsvoll, denn Kelley und Evans hielten alle anderen Faktoren in ihren mathematischen Berechnungen konstant, die sonst Einfluss auf das Glücksempfinden haben (Alter, Familienstand, Bildung, Einkommen, Geschlecht, Bruttosozialprodukt pro Einwohner in dem betreffenden Land usw.). „Wir vergleichen zum Beispiel jemanden, der in Israel lebt, mit einer ansonsten ähnlichen Person, die das gleiche Einkommen hat, aber in Finnland lebt, wobei die beiden Nationen das gleiche Pro-Kopf-BIP haben, sich aber in der Ungleichheit stark unterscheiden (0,36 versus 0,26).“

Zudem unterschieden die Forscher auch zwischen entwickelten Ländern (vor allem in Europa und den USA) einerseits und Entwicklungsländern (vor allem in Afrika und Asien) andererseits. Nicht berücksichtigt wurden in dieser Untersuchung lediglich ehemals kommunistische Länder, da hier andere Zusammenhänge gelten (die die Forscher in einer separaten Untersuchung analysierten).

Das Ergebnis der Untersuchung war eindeutig. Dieser Zusammenhang war nicht etwa so, wie Antikapitalisten glauben, dass nämlich mehr Ungleichheit gleichbedeutend ist mit weniger Glück, sondern gerade umgekehrt: Mehr Ungleichheit bedeutet, dass die Menschen glücklicher sind: „Fasst man die Befragten aus Entwicklungsländern und aus entwickelten Ländern zusammen, ohne die wichtigen Unterschiede zwischen ihnen zu berücksichtigen, ist mehr Ungleichheit mit größerem Wohlbefinden verbunden.“

Doch auf den zweiten Blick zeigten sich deutliche Unterschiede:

In Entwicklungsländern gab es einen statistisch eindeutigen Zusammenhang von Glück und Ungleichheit – mehr Ungleichheit bedeutete größeres Glück. Die Wissenschaftler erklären das mit dem „Hoffnungsfaktor“: Menschen in sich entwickelten Ländern sehen Ungleichheit oft als Ansporn, ihre eigene Situation zu verbessern, z.B. durch bessere Bildung. Einigen Gruppen der Gesellschaft gelingt es, auf diesem Weg sozial aufzusteigen und mehr zu verdienen, und dies wiederum spornt andere Menschen an.

In entwickelten Ländern galt dieser Zusammenhang dagegen nicht. Hier führte mehr Ungleichheit aber auch nicht zu geringerem Glück, sondern die Frage, ob ein Land mehr oder weniger gleich ist, hat keine Auswirkungen auf das Glück. So gibt es kaum Unterschiede in dem Glücksempfinden zwischen Menschen in Schweden und den Niederlanden einerseits und Singapur oder Taiwan andererseits, obwohl die Gleichheit in Schweden und den Niederlanden (gemessen im GINI-Index) viel größer ist als in Taiwan und Singapur.

Zugegeben, es ist schwierig, Glück zu messen, zumal es viele kulturelle Unterschiede zwischen den Ländern gibt, wie die Menschen auf die oben angeführten Fragen antworten. Aber umgekehrt ist die selbstverständliche Annahme, dass mehr Gleichheit zu mehr Glück führt, einfach eines der vielen Vorurteile der Antikapitalisten, das durch nichts belegt ist. Was Menschen unglücklich macht, ist Armut, nicht Ungleichheit. Und daher sollten wir uns mehr darauf konzentrieren, wie Armut zurückgedrängt werden kann, als uns auf das Thema Ungleichheit zu fixieren.

Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe und Autor des Buches „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“.

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