Ungeschriebener Brief der Griechen an die Europäer

Erschienen am 14. Juli 2015

Liebe Europäer,

ihr habt unserem Land so viele Milliarden-Kredite gegeben, wie sie nie zuvor einem anderen Land auf der Welt gegeben wurden. Wir möchten für diese Hilfsbereitschaft DANKE sagen. Wir sehen das als großes Zeichen der Solidarität – und nehmen es keineswegs selbstverständlich.

Wir möchten uns auch dafür entschuldigen, dass einige unserer Landsleute und sogar unser ehemaliger Finanzminister eure Regierungschefs und Minister dafür beschimpft haben – als Terroristen oder Nazis. Wir schämen uns für diejenigen Landsleute, die euch diffamieren, nur weil ihr von uns erwartet, dass wir unser Land reformieren. Die Reformen sind aber keine „Gegenleistung“, wie Angela Merkel es immer gesagt hat, sondern wir erbringen sie – so schwer sie auch heute sein mögen – gerne für unser Land, in unserem ureigenen Interesse.

Wir wissen auch, dass in den vergangenen Jahrzehnten viel schief gelaufen ist bei uns in Griechenland. Wir Griechen haben keine politische Klugheit bewiesen, als wir immer wieder Regierungen wählten, die unfähig und korrupt waren. Allerdings habt ihr Europäer es auch unseren Regierungen sehr leicht gemacht, mit gefälschten Statistiken in die Eurozone aufgenommen zu werden. Da hättet ihr auch genauer hinschauen können. Vielleicht wären uns dann allen viele Probleme erspart geblieben.

Leider haben wir uns auch bei der Wahl unserer jetzigen Regierung unter Alexis Tsipras wiederum geirrt. Diese Regierung hat keine Reformen angepackt und nichts für unser Land geleistet, sondern uns immer wieder angelogen und unser Land an den Rand des Abgrundes geführt.

Nun wollen wir jedoch nach vorne schauen: Wir wollen unser Land gründlich reformieren. Nicht, weil ihr es von uns erwartet oder verlangt, sondern weil wir selbst es so wollen. Denn wir haben verstanden, dass der Staat nicht unsere Probleme löst, sondern dass ein zu großer und ineffizienter Beamtenapparat eines der Übel ist, unter denen unser Land leidet. Wir wollen endlich der Marktwirtschaft in unserem Land eine Chance geben. Und wir wissen, dass ein Land nicht funktionieren kann, wenn es dauerhaft mehr ausgibt als es einnimmt.

Wir haben auch verstanden, dass nicht mehr Streiks und Demonstrationen, sondern mehr Innovationen und eine große gemeinsame Anstrengung unser Land wieder voranbringen werden.

Wir wollen alles dafür tun, dass unser Griechenland wirtschaftlich wieder so stark wird, dass wir wenigstens einen Teil unserer Schulden zurückzahlen können – an Länder, die uns in unserer großen, selbst verschuldeten Not dennoch nicht im Stich gelassen haben. Wir hoffen, irgendwann die großartige Solidarität, die wir erfahren haben, an andere Länder, die sie brauchen, zurückgeben zu können.


24 Besprechungen, Interviews und Artikel zu Rainer Zitelmanns aktuellem Buch "Reich werden und bleiben": http://www.reichwerdenundbleiben.net/

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.