Was ist „soziale Gerechtigkeit“?

Erschienen am 18. März 2013

Es vergeht kaum mehr ein Abend, an dem im deutschen Fernsehen nicht über „soziale Gerechtigkeit“ diskutiert wird – ob bei Günther Jauch, Maybritt Illner, Sandra Maischberger, Markus Lanz usw.

Ich habe die meisten dieser „Diskussionen“ gesehen, bei denen es in den letzten beiden Wochen vor allem darum ging, ab welcher Höhe Managergehälter „unanständig“ seien bzw. was noch „sozial gerecht“ sei.

Um „Diskussionen“ im eigentlichen Wortsinn handelte es sich allerdings im Grunde nicht, denn meist bestand der Disput nur darin, dass sich alle in Ideen überbieten, wie man Managergehälter am wirksamsten begrenzen könne, ohne dass die Frage gestellt wird, ob dafür überhaupt eine Notwendigkeit besteht. Das wird jedoch gar nicht mehr diskutiert, und auch Angela Merkel hat jetzt verkündet, mit Blick auf die Managergehälter bestehe dringender Handlungsbedarf.

Es genügt scheinbar, aus Hunderttausenden Fällen zwei oder drei „Exzesse“ mit hohen Abfindungen, Boni etc. herauszukramen, um allgemeine Empörung und die Gewissheit über einen dringenden Handlungsbedarf zu erzeugen.

Die Schweizer Jungsozialisten bereiten für den Herbst ein Volksbegehren mit dem Ziel vor, dass Manager nur noch das 12fache des geringsten Einkommens eines in dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmers verdienen dürfen. Der Vorstand der Deutschen Bank oder von VW würde dann ca. 260.000 Euro im Jahr verdienen. Man kann sich leicht ausrechnen, wie groß der Ansturm internationaler Topmanager auf diesen Posten bei einem so attraktiven Gehalt wäre…

Sarah Wagenknecht, als Rosa Luxemburg-Double und Chefin der „Kommunistischen Plattform“ in der Linkspartei gern gesehener Gast in allen Talkshows, ist dagegen etwas „großzügiger“ und fordert, dass ein Manager maximal das 20fache des allergeringsten Gehaltes verdienen solle, das in einer Firma gezahlt wird. Denn dann, so ihre schlagende Logik, würden die Manager schon aus eigenem Interesse die unteren Gehälter ganz stark anheben und „soziale Gerechtigkeit“ würde sich einstellen. Eine wahrlich brillante Ökonomin!

Eine der wenigen guten Fragen, die darauf Günther Jauch stellte war: Wie viel würde Frank Ribery verdienen, wenn er nur noch das 20fache des Platzwartes bekäme? Heute verdient Ribery geschätzt etwa zehn Millionen Euro beim FC Bayern. Übrigens verdient Ribery damit genau so viel wie Günther Jauch als Talkshowmoderator, der 10,5 Mio. Euro im Jahr erhält. Darüber sprach merkwürdigerweise in Jauchs Talkshow niemand. Man hätte ja auch die Frage stellen können, ob es „sozial gerecht“ sei, wenn jemand, der die abendlichen TV-Quasselrunden moderiert, so viel verdient wie der beste Fußballspieler hierzulande.

Die deutsche Nationalmannschaft müsste ihre Spieler, wenn die für Manager erhobenen Forderungen auf den Sport übertragen würden, künftig aus der Kreisliga rekrutieren. Und das Gleiche würde natürlich auch für Unternehmen gelten.

Was ist „soziale Gerechtigkeit“? Gibt es denn auch „unsoziale Gerechtigkeit“ oder „asoziale Gerechtigkeit“? Ich verstehe den Begriff nicht. Selbst einem Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften, nämlich dem Ökonomen Friedrich August von Hayek, ist es nicht gelungen, eine Antwort auf diese Frage zu finden. „Mehr als zehn Jahre habe ich mich intensiv damit befasst, den Sinn des Begriffs ‚soziale Gerechtigkeit‘ herauszufinden… ich bin zu dem Schluss gelang, dass für eine Gesellschaft freier Menschen dieses Wort überhaupt keinen Sinn hat“, so Hayek.

Gerecht ist, wenn der das gleiche bekommt, der das gleiche tut. Würde Martin Winterkorn bei VW als Postbote oder als Pförtner arbeiten, würde er das verdienen, was dort der Postbote oder der Pförtner verdient. Würde Winterkorn beim FC Bayern so brillant spielen, wie Frank Ribery (kann er das??), würde er das gleiche bekommen, was dieser verdient. Würde Frank Ribery als Vorstandschef von VW das tun, was Martin Winterkorn tut (kann er das??), würde er das gleiche verdienen wie er.

Das Argument lautet, so hohe Gehälter wie die von einigen DAX-Vorständen seien „nicht mehr vermittelbar“. Was jedoch heißt „nicht vermittelbar“? Gemeint ist damit: Erst wird eine Neiddebatte entfesselt, bei der Manager und „Reiche“ an den Pranger gestellt werden und später wird dann ganz unschuldig konstatiert, deren Gehälter seien einer breiteren Bevölkerungsschicht „nicht mehr vermittelbar“. Welches Gehalt ist aber „vermittelbar“? 20 Millionen? 10 Millionen? 1 Million? 100.000? Jeder hat darauf eine andere Antwort.

Gehälter werden in einer Marktwirtschaft jedoch nicht danach bemessen, was in Talkshows oder in Neiddebatten an Stammtischen in der Eckkneipe als „sozial gerecht“ empfunden wird, sondern sie unterliegen dem Spiel von Angebot und Nachfrage. Gäbe es Hunderttausende, die mühelos den Job von VW-Chef Winterkorn ausüben könnten, würde er lang nicht so viel verdienen wie jetzt. Preise, auch auf dem Arbeitsmarkt, sind der Ausdruck einer Knappheitsrelation. Ist eine bestimmte Fähigkeit (z. B. Musik zu machen wie Madonna oder Fußball zu spielen wie Ribery) knapp, dann hat sie einen hohen Preis.

Die Manager, „Besserverdienenden“ und „Reichen“ tragen jedoch selbst eine Mitschuld daran, dass die Diskussion so verläuft, wie sie verläuft. Sie argumentieren nur noch aus der Defensive. Martin Winterkorn verzichtet „freiwillig“ auf einige Millionen, die ihm laut Arbeitsvertrag zustünden. Und glaubt ernsthaft, damit der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das ist naiv. Der öffentliche Meinungsdruck ist so groß, dass sich kaum einer mehr traut, die ganze Debatte als das zu bezeichnen, was sie ist: Als absolut überflüssig.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.

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