Buchtipp: Was sagt uns die Wissenschaft zum Thema Schönheit?

Erschienen am 13. April 2020

Ulrich Renz, Schönheit. Eine Wissenschaft für sich. Berlin-Verlag, 346 Seiten

Wussten Sie, dass es eine sehr reichhaltige internationale Forschung zum Thema „Schönheit“ gibt? Einen hervorragenden Überblick gibt dazu Ulrich Renz in diesem Buch. Ich habe mich viele Jahre mit Reichtumsforschung befasst – zu diesem Thema gibt es nur einen Bruchteil der wissenschaftlichen Literatur, die es zum Thema „Schönheit“ gibt.

Mich hat das Thema aus unterschiedlichen Gründen fasziniert. Es gibt eine Reihe Gemeinsamkeiten zwischen Schönen und Reichen: Die meisten Menschen, wenn sie die Wahl hätten, wären gerne reich und schön. Zugleich sind reiche und schöne Menschen Zielscheiben von Neid. Und beide Themen, Reichtum und Schönheit, sind in einer Gesellschaft mit egalitären Werten tabuisiert. Es gibt eine Menge „Trost-Sprüche“, die die Bedeutung von Reichtum und Schönheit mindern sollen, so etwa:

  • „Lieber arm und gesund als reich und krank.“
  • „Geld allein macht nicht glücklich.“
  • „Schönheit liegt im Auge des Betrachters.“

„Schönheit“, so Ulrich Renz, „ist ein Affront gegen einen unserer heiligsten Werte, dass alle Menschen mit den gleichen Chancen ins Leben starten.“ (S. 9)

Schönheit liegt im Auge des Betrachters?

Die Meinung, Schönheit sei relativ und liege nur in den Augen des Betrachters, ist inzwischen durch zahlreiche wissenschaftliche Forschungen überall auf der Welt widerlegt, wie Renz anhand einer Unzahl von Experimenten und Befragungen belegt. Versuchsteilnehmer wurden Fotos von Hunderten Personen vorgelegt und sie sollten das Aussehen auf einer Skala bewerten. „Inzwischen sind weltweit viele hundert Studien dieser Art gemacht worden, und überall war das Resultat dasselbe: die Beurteiler sind sich in ihrem Schönheitsurteil verblüffend einig.“ (S. 35) Ich denke, das weiß jeder noch aus seiner Schulzeit: Wir waren uns meist einig, wer das schönste Mädchen in der Klasse war – und niemand kam auf die Idee, die Unattraktivste zur Schönsten und die Schönste zur Unattraktivsten zu erklären.

Dabei genügt es, anders als in der Meinungsforschung, bereits ein Dutzend Personen zu befragen, um herauszufinden, welches Aussehen als schön gilt und welches nicht – dies ist das Ergebnis einer Metastudie über Hunderte Untersuchungen zu diesem Thema (S. 36). Makellose Haut, Symmetrie, kindliche Proportionen der unten Gesichtshälfte, große Augen, hervortretende Backenknochen und schmale Wangen bei Frauen werden von den meisten Menschen als schön empfunden (S.69). Menschen brauchen genau 150 Millisekunden, um sagen zu können, ob ein wildfremdes Gesicht schön ist oder nicht (S.79) – auch das haben Wissenschaftler herausgefunden.

Politisch unkorrekt

Vieles, was die Forschung zeigt, ist politisch nicht korrekt und wird Feministinnen und Genderideolog*innen zur Verzweiflung bringen. Wer meint, es käme nur auf „innere Werte“ an, wird enttäuscht sein, wenn er das Ergebnis dieses Experimentes hört: Man legte männlichen Probanden Fotos von Frauen vor. Mit einer von ihnen durften sie sich zum Abendessen verabreden. Jedem Foto war eine kurze Charakterbeschreibung beigefügt. Die Forscher hätten sich diese Charakterbeschreibung jedoch sparen können, denn die Männer gingen bei ihrer Wahl ausschließlich nach der Attraktivität (S. 128). Eine andere Untersuchung zeigte, dass die am besten aussehenden Mädchen eines Highschool-Jahrgangs in den USA etwa zehnmal mehr Chancen hatten zu heiraten als die unattraktivsten (S. 164).

Bei Frauen verhält es sich anders, wie viele Befragungen belegen: Status ist für sie bei der Partnerwahl wichtiger als Aussehen (S. 129). Aus der Analyse von Heiratsanzeigen weiß man, dass es Männern zuerst um das Aussehen der Frau geht, während dies bei Frauen nur eines von vielen Kriterien ist und Status sowie finanzielle Potenz des Mannes eine wichtige Rolle spielen (S. 68). Soziologen in den USA interviewten 1300 Männer und Frauen 15 Jahre nach deren Highschool-Abschluss. Ergebnis: Je attraktiver das Foto der Frau im Jahrbuch der Klasse war, desto gebildeter und reicher war ihr späterer Mann. Für Männer ließ sich ein solcher Zusammenhang nicht feststellen, im Gegenteil: Je attraktiver sie waren, desto ungebildeter war die Frau an ihrer Seite (S. 212). Statistische Untersuchungen belegen, dass die Frau an der Seite eines Mannes umso jünger ist, je höher dessen Sozialprestige ist (S. 265). Bei der zweiten oder dritten Ehe steigt, statistisch gesehen, der Altersunterschied, d.h. Männer, die sich scheiden lassen, wählen dann oft eine jüngere Partnerin.

Bei manchen dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse werden Leser sagen: „Das wusste ich auch ohne Wissenschaft.“ Ja, das ist das Problem der Sozialforschung, wenn sie sich mit Alltagsleben befasst: Bestätigt sie unsere vorgefassten Meinungen und Erfahrungen, dann halten wir sie für banal, widersprechen sie unserer Meinung, bestreiten wir sie und behaupten, sie könnten nicht stimmen.

Vorurteile gegen schöne Frauen

Dieses Thema hat mich besonders interessiert, weil ich mich mit Vorurteilen gegen Reiche befasst habe. Allgemein werden schönen Menschen eher positive Eigenschaften zugeschrieben, aber bei sehr schönen Frauen ist das oft anders. So zeigte eine Soziologin anhand simulierter Bewerbungsgespräche für Führungspositionen in einem Unternehmen, dass besonders weiblich und attraktiv wirkende Bewerberinnen häufiger ins Kreuzverhör kamen. Die maskulineren und weniger attraktiven Bewerberinnen bekamen dagegen mehr Raum, sich über ihre Erfolge zu verbreiten (S. 215).

Besonders attraktive Frauen werden, dies zeigen andere Experimente, als „eingebildet“, „eitel“, „oberflächlich“ und „zu Affären neigend“ eingestuft. Zudem wurde ihnen der Makel angehängt, dass sie es an „Mitgefühl mit den Unterdrückten der Welt“ mangele. „Mit einem Wort: Schöne stehen unter dem Generalverdacht des Egoismus.“ (S. 246). Das gilt auch, wie ich in meinem Buch „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ auf Basis von Umfragen gezeigt habe, für reiche Menschen.

Einerseits zeigen Experimente und Befragungen: Besser aussehende Menschen werden auch mit Blick auf innere Werte positiver eingeschätzt. Aber sie sollen eben nicht zu gut aussehen. Einerseits gab es den „Halo“-Effekt, wonach attraktiveren Frauen mehr Fähigkeiten beschieden wurden. Bei den Egoismuswerten ergab sich jedoch das interessante Bild, dass die zweitattraktivste Gruppe nicht nur deutlich besser als die Spitzengruppe abschnitt, sondern auch der durchschnittlich attraktiven Gruppe überlegen war (S. 248). Das erinnerte mich an Befunde der Vorurteilsforschung, aus der wir wissen, dass reiche Menschen als „kompetent, aber kalt“ wahrgenommen werden (Stereotype Content Model).

In meinem Buch „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ habe ich die sogenannte Kompensationstheorie entwickelt: Menschen geben anderen Menschen, die auf irgendeinem Feld unbestreitbar überlegen sind (mehr Pluspunkte haben) Minuspunkte auf anderen Feldern, damit sie sich ihnen wieder als gleichwertig oder sogar als überlegen fühlen können. So werden reichen Menschen oft moralische Werte abgesprochen. Ähnlich verhält es sich auch bei sehr schönen Frauen, wie der Autor zeigt. „Eine Schönheit ist eine Frau, der man alles zutraut, aber sonst nicht viel“ – der Volksmund ist reich an Sprüchen, mit denen die Schönen in moralischen Misskredit gebracht werden sollen. Das Äußere könne demnach nur auf Kosten des Inneren blühen (S. 310).

„Claudia Schiffer und andere Models als dumm zu bezeichnen, gehört geradezu zum guten Ton unter uns ‚Gebildeten’. Damit teilen die Schönen das Schicksal der Hochbegabten, die ja allseits als ‚Überflieger’, ‚Streber’, ‚sozial Behinderte’ etc. bekannt sind.“ (S. 311). Dazu gehöre auch das Stereotyp, Schöne als „kalt“ zu bezeichnen (was übrigens auch für Reiche zutrifft).

Diese Abwertung der Schönen ist – wie bei Reichen – Ausdruck eines Unterlegenheitsgefühls. „Und diesen unseren Minderwertigkeitskomplex bekommen nun die Schönen zu spüren. Wer fühlt sich schon gerne unterlegen?“ (S. 311)

Das Buch von Renz ist eine ausgezeichnete Einführung in die Schönheitsforschung. Und mich hat es neugierig gemacht, Parallelen in der Wahrnehmung von Reichen und Schönen zu finden. Natürlich ist es wahr, dass Geld nicht alles ist, ebenso wie es wahr ist, dass Schönheit nicht alles ist. Ich kenne auch niemanden, der das eine oder andere behauptet hat. Doch Hand aufs Herz: Wenn Sie auf einen Knopf drücken und frei entscheiden könnten, ob Sie lieber reich und schön oder arm und hässlich sein wollen – wie würden Sie sich entscheiden? Da die meisten Menschen weder reich noch schön sind, müssen sie einen Weg finden, damit zurecht zu kommen. Und das geschieht entweder, indem die Bedeutung dieser Merkmale geleugnet bzw. relativiert wird oder indem reichen und schönen Menschen pauschal Defizite auf anderen Gebieten nachgesagt werden.

Folgen Sie mir auf Twitter.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.