Chinas wirtschaftlicher Erfolg: „Nicht wegen des Staates, sondern trotz des Staates“

Erschienen am 27. Juli 2021

Der chinesische Ökonom Weiying Zhang belegt, dass China nicht wegen, sondern trotz des Einflusses der Staates wirtschaftlich so erfolgreich ist: Das Schlüsselwort zur Erklärung ist die „marketization“.

„Herzlichen Glückwunsch“, hieß es unlängst in einem Facebook-Post der LINKEN – Kreisverband Osnabrück-Land: „Vor 100 Jahren wurde die KPC gegründet (Kommunistische Partei Chinas). Dazu gratulieren wir den Genossen“.

China habe es geschafft, so die LINKE, Hunderte Millionen seiner Bürger aus der Armut zu hieven. Was dabei verschwiegen wird: Der Anteil der Chinesen, die in extremer Armut leben, betrug zum Ende der Mao-Zeit 88 Prozent (!). Dass er bis heute auf unter ein Prozent gesunken ist, liegt an einer radikalen Abkehr vom Mao-Weg und daran, dass die Chinesen genau das Gegenteil dessen getan haben, was die LINKE für Deutschland empfiehlt: Sie haben auf weniger Staat und mehr Markt gesetzt. Der ökonomische Erfolgsweg Chinas begann mit Deng Xiaopings Parole „Lasst erst einmal einige reich werden!“ – also genau das Gegenteil der Reichenhass- und Enteignungsparolen der LINKEN.

Falsche Deutung von Chinas Erfolg

Weiying Zhang, der Ökonom an der Peking University ist, wendet sich gegen die Vorstellung, dass Chinas außergewöhnlicher Erfolg ein Ergebnis der großen Rolle des Staates sei. Diese Fehldeutung ist im Westen verbreitet, aber es gibt sie auch zunehmend in China, wo manche Politiker und Wissenschaftler der Meinung sind, die Erklärung für den Erfolg des Landes liege in einem besonderen chinesischen Modell.

„Die Verfechter des China-Modells liegen falsch, weil sie ‚trotz‘ mit ‚wegen‘ verwechseln. China ist nicht wegen, sondern trotz des starken Staates und des großen ineffizienten Staatssektors schnell gewachsen“, schreibt er in einem Aufsatz mit dem Titel „The China model view is factually false“.

Tatsächlich seien Marktwirtschaft und Privatisierung die treibenden Kräfte für Chinas enormes Wirtschaftswachstum. Zhang hat die Daten von unterschiedlichen Regionen in China analysiert und kam zu dem Resultat: „Je mehr marktorientierte Reformen eine Provinz durchgeführt hatte, desto höher war ihr Wirtschaftswachstum, und Nachzügler bei der Reform der Marktwirtschaft waren auch Nachzügler beim Wirtschaftswachstum.“ Die Gebiete, in denen die konsequentesten marktwirtschaftlichen Reformen durchgeführt wurden, also Guangdong, Zhejiang, Fujian und Jiangsu, waren zugleich die, die wirtschaftlich am stärksten gewachsen seien.

Dabei, und dies ist eine sehr wichtige Einsicht, gilt: „Das beste Maß für Reformfortschritte sind die Veränderungen der marktwirtschaftlichen Durchdringung in den betreffenden Zeiträumen und nicht die absoluten Werte eines bestimmten Jahres.“ Die Wachstumsrate ist dort am größten, wo chinesische und ausländische Privatunternehmen die entscheidende Rolle spielen. Die Daten belegen: „Die Provinzen, deren Wirtschaft stärker privatisiert ist, werden wahrscheinlich schneller wachsen. Es sind die nicht-staatlichen Sektoren und nicht der staatliche Sektor, die das hohe Wachstum angetrieben haben.“

Provinzen mit mehr Marktwirtschaft sind erfolgreicher

Der Reformprozess in China verlief in den vergangenen Jahrzehnten niemals gleichmäßig, niemals nur in eine Richtung. Es gab Phasen, wo die Marktkräfte schnell stärker wurden, aber es gab auch Phasen, in denen sich die Rolle des Staates wieder verstärkte. Auch wenn über längere Sicht die Haupttendenz „weniger Staat, mehr Privatwirtschaft“ (guo tui min jin) war, so gab es stets auch Perioden und Regionen, in denen eine rückläufige Entwicklung stattfand, also „Mehr Staat, weniger Privatwirtschaft“ (guo jin min tui). Zhang untersuchte die unterschiedlichen Wachstumsraten in den „weniger Staat, mehr Privatwirtschaft“-Regionen sowie in den „mehr Staat, weniger Privatwirtschaft“ -Regionen. Auch hier ist das Ergebnis eindeutig: Das Bruttoinlandsprodukt wuchs deutlich stärker in den „weniger Staat, mehr Privatwirtschaft“-Regionen. Das belegt, „dass Chinas schnelles Wachstum der letzten vier Jahrzehnte durch die Kraft des Marktes und der nicht-staatlichen Sektoren angetrieben wurde, und nicht durch die Macht der Regierung und des Staatssektors, wie von den Theoretikern des China-Modells behauptet“.

Entscheidend für die weitere Entwicklung der chinesischen Wirtschaft ist der Grad der Innovation. Analysiert man die Forschungs- und Entwicklungsintensität in der Industrie, erteilte Patente pro Kopf und prozentualer Anteil des Umsatzes mit neuen Produkten am Gesamtumsatz der Industrie, dann wird deutlich, dass all diese Kennzahlen für Innovation statistisch eindeutig positiv mit dem Grad der marktwirtschaftlichen Durchdringung korreliert sind.

Ich habe Weiying Zhang in Peking getroffen und im Gespräch unterstrich er, dass er das Missverständnis über die Gründe für Chinas Wachstum für eine große Gefahr hält. Das gilt nicht nur für China, sondern auch für den Westen. Wenn man im Westen der Fehldeutung aufsitzt, die Basis des chinesischen Erfolges sei ein besonderer „dritter Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus oder ein „Staatskapitalismus“, dann wird das auch im Westen zu völlig falschen Schlussfolgerungen führen. Die Vertreter einer starken Rolle des Staates in Europa und den USA wollen uns einreden, Chinas ökonomischer Erfolg bestätige, wie entscheidend ein starker Staat für das Wirtschaftswachstum sei. Die Analysen von Weiying Zhang belegen, dass genau das Gegenteil der Fall ist.

Rainer Zitelmann ist Autor des Buches „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ in dem er sich auch eingehend mit den Gründen für Chinas wirtschaftlichen Erfolg befasst.

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