„Weggwerfgesellschaft“: Werden Produkte extra so gemacht, dass sie eher kaputt gehen?

Erschienen am 3. August 2021

Eine verbreitete These besagt, im Kapitalismus würden massenweise und zunehmend Produkte extra so hergestellt, dass sie schnell kaputt gehen. Die These ist nicht neu – aber was ist wirklich dran?

Ein Hauptthema der antikapitalistischen Konsumkritik ist die sogenannte „Obsoleszenz“. Schon der Begriff ist schillernd, weil ganz unterschiedliche Sachverhalte darunter zusammengefasst sind, die im Grunde wenig miteinander zu tun haben. In Wikipedia lesen wir zu dem Begriff: „Obsoleszenz ist in der Wirtschaft und insbesondere in der Industrie das Veralten von Produkten – oder auch von Wissen – durch die begrenzte Haltbarkeit technischer Bauteile und den Wandel von Mode oder technischem Fortschritt. Wird dieser Prozess durch die Hersteller aus marktstrategischen Gründen bewusst herbeigeführt, spricht man von geplanter Obsoleszenz.“

Gezielt werden oftmals die sogenannte technische und die psychologische Obsoleszenz vermengt, damit das Problem möglichst groß erscheint. Dabei handelt es sich in Wahrheit bei der „psychologischen“ Obsoleszenz meist um gar kein Problem, sondern um etwas sehr Positives, nämlich technischen Fortschritt, der zu erhöhtem Kundennutzen führt:

Warum ich meinen Plattenspieler entsorgt habe

Dass Produkte entsorgt werden, obwohl sie technisch noch haltbar sind, ist an sich überhaupt nicht kritikwürdig. Ich habe irgendwann meinen Schallplattenspieler und meinen Kassettenrekorder entsorgt, weil die CD erfunden worden war. Beide Geräte hätten sicher noch viele Jahre gehalten. Bin ich Opfer der Manipulation durch kapitalistische Werbung geworden? Nein, ich hatte mich früher oft über Kratzer in der Schallplatte geärgert (für die Jüngeren: Kratzer führten dazu, dass die Platte ‚hing’ oder ‚sprang’) und über „Bandsalat“ bei meinem Kassettenrekorder (für die Jüngeren: dadurch gingen die Kassetten kaputt) und war froh, dass es nun ein Gerät gab, bei dem ich mich über beides nicht mehr ärgern musste.

Ich habe mein altes Nokia-Handy geliebt, bei dem der Akku tagelang gehalten hat. Ich hatte sogar gleich mehrere auf Vorrat gekauft, für den Fall, dass es das Modell irgendwann nicht mehr geben könnte. Doch irgendwann bin ich auf das Iphone umgestiegen. Habe ich das getan, weil böse Werbestrategen von Apple mich manipuliert haben? Nein, der Grund war, dass es viele für mich sinnvolle Funktionen hat, die meine alten Nokia-Handys nicht hatten. Ich war früher stolzer Besitzer eines Videorekorders, aber ich ärgerte mich immer wieder über „Bandsalat“, der die Videokassetten zerstörte. Deshalb war ich froh, als die DVD erfunden wurde, denn damit hatte sich dieses Problem erledigt. Den Videorekorder warf ich weg, obwohl er technisch noch funktionsfähig war.

Das Thema Obsolezenz ist nicht neu, wie Wolfgang König in seiner „Geschichte der Wegwerfgesellschaft“ zeigt. Antikapitalisten und sogenannte Verbraucheraktivisten sprechen von einer großen Verschwörung der Industrie, die angeblich systematisch und massenweise die Strategie der „geplanten Obsoleszenz“ verfolge, also die Produkte extra so herstellt, dass sie schneller kaputt gehen.

Doch bereits 1976 kam eine Studie des Ökonomen Burckhardt zu dem Ergebnis, dass die angeblichen Belege dafür, dass die Industrie die Lebensdauer von Produkten absichtlich verkürze, sich nicht halten ließen. Viele weitere Studien, die in den letzten Jahrzehnten dazu verfasst wurden, kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Sogar das Freiburger Öko-Institut räumt 2015 ein, dass viele Kritikpunkte übertrieben seien. Zugleich bestätigte die Analyse des Öko-Institutes jedoch, dass die Erst-Nutzungsdauer der meisten untersuchten Produktgruppen in den vergangenen Jahren tatsächlich abgenommen habe. So wurde festgestellt, dass viele Elektronik-Geräte durch neuere ersetzt wurden, obwohl die alten technisch noch funktionierten.[1]

Im Gegensatz zu solch differenzierten Analysen stehen plakative Medienberichte, die den Eindruck erwecken, es sei ein massenhaftes Phänomen, dass Geräte absichtlich so produziert würden, dass sie schneller kaputt gehen – ein Thema, dass auch von manchen Politikern aufgegriffen wird. Die LINKE beantragte mehrfach im Deutschen Bundestag, die Bundesregierung solle zur Vorlage eines Gesetzesentwurfes aufgefordert werden, der Vorgaben über eine Mindestnutzungsdauer für technische Produkte vorsieht und die Beweislast für ein Ereignis, das die Mindestnutzungsdauer nicht erreichen lässt, dem Hersteller auferlegt. Die AfD hat sogar die Forderung nach „langlebige[n] Produkte[n] statt geplanter Obsoleszenz“ in ihrem Parteiprogramm.[2]

Immer wieder die gleichen Beispiele

König schreibt, es falle auf, dass in „in der verschwörungstheoretischen Literatur immer wieder auf die gleichen Beispiele zurückgegriffen wird, wobei diese teilweise ein Jahrhundert zurückliegen“.[3] So werde immer wieder das Beispiel des amerikanischen Autoherstellers General Motors angeführt, der in den 1920er Jahren mehrere Modelle anbot, die kontinuierlich überarbeitet wurden. Damit nahm der Henry Ford Marktanteile weg, der stur an seinem Einheitsmodell festhielt. Ford konnte zwar lange verhindern, dass seine eigenen Mitarbeiter ein neues Modell entwickelten, aber nicht die Konkurrenz. General Motors reagierte auf die veränderten Kundenvorstellungen und schuf neue Modelle. Das Beispiel wird seit damals immer wieder als Beleg für die finsteren Strategien des Kapitals und die Verwerflichkeit der kapitalistischen Konsumgesellschaft angeführt. König meint dazu: „Es bleibt unerfindlich, was dies mit geplanten Verschleiß in verschwörungstheoretischem Sinne zu tun haben soll.“[4] Auch andere Beispiele, die immer wieder angeführt werden – von der Glühbirne bis zum Tintenstrahldrucker – halten einer Nachprüfung nicht stand.

Eine Untersuchung der Stiftung Warentest kam zu dem Ergebnis, dass die These eingebauter Schwachstellen unlogisch sei: „Der Idealfall wäre, dass alle Teile nach Erreichen der geplanten Gebrauchsdauer gleichzeitig ausfallen. Die Strategie gezielt eingebauter Schwachstellen macht vor diesem Hintergrund wenig Sinn und wäre Verschwendung, weil viele andere Teile im Gerät dann überdimensioniert und zu teuer produziert würden.“[5]

Zudem: Welchen Sinn ergibt es, Geräte „für die Ewigkeit“ zu produzieren, wenn klar ist, dass sie aufgrund des schnellen technischen Fortschritts ohnehin in einigen Jahren überholt sein werden? Ich vermute, auch eingefleischte Kapitalismuskritiker haben heute zu Hause werde ein Tonbandgerät noch einen alten Filmprojektor, sie haben auch kein altes Nokia-Handy, keinen Schallplattenspieler, keinen Schwarzweißfernseher usw.

Das Iphone

Oft zitiert wird auch das Beispiel der Leistungsherabregelung in älteren iPhones. Apple hatte dies damit begründet, diese Herabregelung sei notwendig, um den Alltagseinsatz der Geräte auch bei den alt gewordenen nichtwechselbaren Lithium-Ionen-Akkus zu gewährleisten, ohne dass es durch Spannungsschwäche plötzlich zu Abschaltungen komme. In den USA wurde gegen Apple ein Gerichtsverfahren eingeleitet, das im März 2020 in einem Vergleich endete; Apple erklärte sich bereit, an die Geschädigten eine Gesamtsumme von bis zu 500 Mio. US-Dollar zu zahlen. Ist das ein Beleg dafür, dass die Kläger Recht hatten, war das ein Schuldeingeständnis von Apple? Nicht unbedingt. Bekanntlich können in den USA auch bei den unsinnigsten Verbrauchervorwürfen hohe Schadenersatzforderungen erstritten werden. So zahlte Red Bull nach einer Klage in einem Vergleich 13 Millionen Dollar – Verbraucher hatten sich über den Slogan „Red Bull verleiht“ Flügel beschwert, weil sie sich durch den Slogan getäuscht fühlten.

Selbst wenn es Einzelbeispiele gibt, bei denen die Behauptung, Firmen würden absichtlich Schwachstellen einbauen, zutrifft, so beweisen diese noch lange nicht, dass dies eine verbreitete Strategie profitgieriger Kapitalisten sei. Jede Firma weiß heute, dass solche Praktiken dazu führen würden, dass sie im Internet und in den Medien an den Pranger gestellt würden, was ihren Markenwert und ihren Börsenkurs empfindlich beeinträchtigen kann. Am Ende entscheidet im Kapitalismus der Verbraucher – und das Risiko, dass der Verbraucher ein Unternehmen sanktioniert, weil es sich solcher Praktiken bedient, ist aus Sicht einer rational handelnden Firma höher als der mögliche Gewinn.

Rainer Zitelmann ist Autor des Buches „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“

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[1] Vgl. Prakash. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/einfluss-der-nutzungsdauer-von-produkten-auf-ihre-1

[2] AfD-Programm Punkt 10.11.2.

[3] König, Wegwerfgesellschaft, S. 119.

[4] König, Wegwerfgesellschaft, S. 119.

[5] Zitiert nach: König, Wegwerfgesellschaft, S. 119.

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