Der entfesselte Staat

Erschienen am 22. September 2008

„Die Angst vor einem Bankenkrach heute wird die Ursache für einen noch viel größeren Bankenkrach morgen sein.“ (IMMOBILIEN NEWS 20.8.2007)

„Werden die Zinsen gesenkt, dann wird damit allenfalls etwas Zeit gewonnen, aber zu einem späteren Zeitpunkt würde die Finanzkrise mit noch größerer Zerstörungskraft ausbrechen. Der Markt lässt sich überlisten – aber nicht dauerhaft, sondern allenfalls vorübergehend.“ (IMMOBILIEN NEWS 17.9.2007)

In diesen Tagen machen sich die Menschen Sorgen um ihre Anlagen. In Fernsehsendungen rufen verunsicherte Menschen an und fragen, ob sie ihr Geld lieber von der Bank abheben und unter die Matratze legen sollen. Die Zeitungen sind voll von Berichten unter der Überschrift „Wie sicher ist Ihr Geld?“ und signalisieren damit nur das Ausmaß der Verunsicherung. Das alles führt natürlich auch dazu, dass die Menschen Anlageentscheidungen zurückstellen, weil sie verunsichert sind und erst einmal abwarten wollen.

Nicht nur die Aktionäre, die ein dramatisches Auf und Ab an den Börsen verfolgen, sind besorgt, sondern auch viele Sparer, die Einlagen bei Banken haben und sich fragen, wie sicher diese sind. Zum Glück sind die meisten Sparer und Anleger naiv und beruhigen sich mit dem Hinweis auf den Einlagensicherungsfonds der deutschen Banken. Die meisten wissen nicht einmal, dass es keinerlei rechtlichen Anspruch auf ein Eintreten dieses Fonds gibt. Hat Ihnen das Ihr Bankberater schon einmal gesagt? Niemand weiß, wie viel Geld in diesem Fonds ist – und diese Zahl wird auch aus gutem Grund verschwiegen. Denn rasch würde deutlich, dass dieser Fonds natürlich nur für „normale“ Unfälle gedacht ist, nicht jedoch für ein implodierendes Finanzsystem.

Selbst Geldmarktfonds, die stets als absolut sichere Investments galten, gerieten in der vergangenen Woche ins Straucheln und mussten durch den amerikanischen Staat gerettet werden. Die verzweifelte 700 Mrd. USD-Rettungsaktion des amerikanischen Staates, die am Donnerstag und Freitag zu dem Kursfeuerwerk an den Börsen führte, rettete das gesamte Bankensystem kurz vor dem finalen Kollaps.

Zum Glück haben die meisten Menschen gar nicht verstanden, was passiert ist und was passiert. Die Medien zeigten sich verantwortlich. BILD titelte einen Tag nach dem Kollaps auf S.1: „Mein Leben nach der Chemo-Therapie.“

Wer dem Frieden noch nicht so recht trauen und auf „Nummer sicher“ gehen will, dem empfehle ich heute noch einmal, seine Liquidität als Tagesanleihe des Bundes bei der Finanzagentur der Bundesrepublik Deutschland zu parken. Hier ist der Schuldner unmittelbar die Bundesrepublik Deutschland. Als Ergänzung ist sicherlich ein ausreichender Bestand an physischem Gold keine schlechte Empfehlung. Und jeder, der gut ausgewählte Immobilien besitzt, wird sich in diesen Tagen darüber freuen.

Wie es nach der historisch einmaligen Rettungsaktion durch den amerikanischen Staat weitergeht, weiß niemand. Es mag unwahrscheinlich sein, dass auch große deutsche Banken in den Insolvenzstrudel geraten, der bereits dazu geführt hat, dass es nur noch zwei von einstmals fünf unabhängigen Investmentbanken in den USA gibt und die größte Versicherungsgesellschaft der USA nur knapp am Konkurs vorbeischlitterte. Aber es geht ja bei der Risikoabwägung stets nicht nur um die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Risikos, sondern auch um das Ausmaß des Schadens, wenn es eintritt. Oder würden Sie ein Glas Wasser trinken, wenn Sie wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, danach tot umzufallen bei „nur“ 1:1000 liegt? Es wäre jetzt nicht das erste Mal, dass sich der Eindruck verbreitet, die Finanzkrise sei vorbei, nur um dann festzustellen, dass sie in einer noch dramatischeren Weise ihre Fortsetzung findet.

Was mich wundert ist, dass ich immer wieder Menschen treffe, die von den Entwicklungen überrascht sind. Ich bin überhaupt nicht überrascht. Vor genau 13 Monaten, in meinem Kommentar vom 20. August 2007, kritisierte ich die Politik der Fed und schrieb zum weiteren Verlauf der Finanzkrise:

„Die Angst vor einem Bankenkrach heute wird die Ursache für einen noch viel größeren Bankenkrach morgen sein. Und statt der notwendigen Korrektur der Assetpreise wird die Hype erneut angeheizt, um später dann auf noch höherem Niveau und mit noch größerer Lautstärke zusammenzubrechen. Der Markt lässt sich kurzfristig immer wieder durch Staatseingriffe und Manipulationen der Notenbanken überlisten – langfristig setzt er sich jedoch umso kraftvoller durch, je mehr man ihn zuvor daran gehindert hat, selbst als Korrektiv für Ungleichgewichte zu sorgen.“

Genau so ist es dann auch gekommen: Es gab ein Wechselbad von durch staatliche Eingriffe neu angeheizter Hype, die jedoch stets nur kurzen Bestand hatte und nur der Vorbote von neuen, stets noch schlimmeren Schreckensnachrichten war, die letztlich im Zusammenbruch von traditionsreichen und renommierten Banken kumulierten. Ich warnte damals vor Zinssenkungen (die ich allerdings befürchtete) und schrieb: „Wenn das geschieht, hieße dies, dass die Ben Bernanke den verhängnisvollen Weg seines Vorgängers Alan Greenspan fortsetzt, der mit seiner radikalen Zinssenkungspolitik die Ursachen für die heutige Krise gelegt hatte. Zinssenkungen wären genau der falsche Schritt, denn sie verzögern die notwendige Neubewertung der Risiken und die längst überfällige Korrektur der Assetpreise. Der Staatsinterventionismus verhindert, dass die Krankheit ausbricht, was jedoch eine Voraussetzung für die Heilung der zugrundeliegenden Probleme wäre. Zinssenkungen bedeuten ein Herumdoktern an Symptomen, das kurzfristig ebenso wirksam wie langfristig schädlich ist.“

Mich wundert die kollektive Macht der Verdrängung, denn die Finanzkrise brauchte niemanden zu überraschen, der unvoreingenommen die Entwicklung an den Finanzmärkten verfolgte. Etwa ein halbes Jahr vor Ausbruch der Finanzkrise – in einem Kommentar der IMMOBILIEN NEWS vom 29. Januar 2007 unter der Überschrift „Risiken nicht ignorieren“ – hatte ich bereits vor den „Risiken der Verschuldung amerikanischer Privatleute, die nicht mehr weiter ausgedehnt werden kann“ gewarnt und meiner Besorgnis über eine bevorstehende „dramatische Finanzkrise“ Ausdruck verliehen. Ich schrieb in diesem Kommentar über „die Kumulation von Risiken durch den Einsatz derivativer Instrumente“, sowie über die Risiken, die sich aus der „enormen, überbordenden Liquidität an den internationalen Finanzmärkten“ ergeben. „Optimisten“ so schrieb ich ein halbes Jahr vor Ausbruch der Krise“, „tun all diese Risiken als Angstmache von Panikpropheten und Crashgurus ab. Und genau darin liegt die größte Gefahr: In der Sorglosigkeit vieler Marktteilnehmer, die fleißig Argumente sammeln, warum wir in der besten und sichersten aller Welten lebten… Die Tatsache, dass beispielsweise schon lange vor den Folgen der öffentlichen und privaten Verschuldung in den USA gewarnt wird und sich bislang die Warnungen nicht bestätigt haben, ist kein Argument dafür, dass sich die Risiken nicht realisieren könnten.“

Wie gesagt, das schrieb ich ein halbes Jahr, bevor die Finanzkrise ausbrach. Doch wie geht es nun weiter? Wir erleben derzeit die Zerstörung der Marktwirtschaft, die es in vielen westlichen Ländern ohnehin nur noch rudimentär gibt. In den USA nähert sich die Staatsquote in raschen Schritten an die der Bundesrepublik Deutschland an. Die Marktwirtschaft beruht darauf, dass unwirtschaftliche Unternehmen und unfähige Unternehmer (und Banker) untergehen und die Fähigen überleben. Wohin eine Staatswirtschaft führt, hat die Implosion des „real existierenden Sozialismus“ vor zwei Jahrzehnten gezeigt.

Der Ruf nach dem Staat und nach noch mehr Regulierung wird jetzt lauter denn je werden. Es ist die Stunde der Regulierer, Etatisten und Sozialisten aller Spielarten. Aber wenn die westlichen Gesellschaften diesen Weg gehen, wird ihr System ebenso untergehen wie wir das vor zwei Jahrzehnten mit dem Staatssozialismus erlebt haben.

Es ist nicht – wie selbst Kommentatoren konservativer und liberaler Zeitungen schreiben – der „entfesselte Kapitalismus“, der die jetzige Krise verursacht hat, sondern es ist vielmehr der entfesselte Staat und der Glaube daran, alle Probleme durch staatliche Eingriffe lösen zu können.

Die jetzt beschlossenen Maßnahmen stehen in der verhängnisvollen Tradition der Politik von Alan Greenspan, der mit der radikalen Zinssenkungspolitik als Reaktion auf den New Economy-Crash und den 11. September die Ursachen für die jetzige Katastrophe legte. Es handelt sich nicht, wie jetzt überall zu lesen ist, um Auswüchse der Marktwirtschaft, sondern um Auswüchse des Staatsinterventionismus, der die Regeln des Marktes seit Jahren immer wieder außer Kraft gesetzt hat.

Die USA, die hierzulande irrtümlich immer noch als Land der unbegrenzten freien Marktwirtschaft gelten, haben diesen Weg schon lange verlassen. Halbstaatliche Bank-Megagiganten wie Freddie und Fannie, sozialpolitische Utopien, die alle Amerikaner zu Hauseigentümern machen sollten und eine hypernervöse Zinspolitik der Fed, die Marktmechanismen außer Kraft setzte, waren die Vorboten, die jetzt in einer umfassenden staatlichen Kontrolle kumulieren.

George Bush rechtfertigte in seiner Rede die 700 Mrd. USD-Rettungsaktion mit der Bemerkung, normalerweise beruhe das System der Marktwirtschaft darauf, dass der Staat nur in Notfällen eingreife – ein solcher sei jetzt jedoch gegeben. Dass der Notfall jetzt da ist, wird niemand bestreiten. Aber der Staat bzw. die Fed haben in vielen Situationen eingegriffen, die weit weg von einem Notfall waren. Selbst geringfügige Einbußen im Dow Jones Index waren für die Fed Anlass, die Zinsen zu senken, so als ob es Aufgabe des Staates sei, einen bestimmten Indexstand zu garantieren. Und Alan Greenspan schrieb in seinen Memoiren: „Mir war bewusst, dass die Lockerung der Bedingungen für Subprime-Kreditnehmer die Risiken an den Finanzmärkten erhöhen würde. Ich glaubte aber damals wie heute, dass die Vorzüge eines breiteren Wohneigentums das Risiko wert wären.“ Ob er das immer noch schreiben würde?

Ich habe jedoch die Hoffnung, dass es insbesondere in den USA genug freiheitsliebende Menschen gibt, die den Marsch in eine staatlich regulierte Wirtschaft aufhalten werden. Sollte der Staatshaushalt dagegen in Deutschland durch die Finanzkrise belastet werden, dann wird es bald einen Konsens in allen Parteien (außer der FDP) geben, dass die „Reichen“, die natürlich als die wahren Schuldigen der Krise hingestellt werden, durch die Wiedereinführung der Vermögensteuer sowie durch eine Erhöhung der „Reichensteuer“ bluten müssen.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.

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