Die „Marke Ich“ oder die Kunst der Selbstvermarktung

Erschienen am 11. Juli 2020

„Egal, was du tust, du musst es auch gut verkaufen… Menschen können große Dichter, große Schriftsteller, geniale Wissenschaftler sein. Man kann die beste Arbeit abliefern, doch wenn die Leute nichts davon erfahren, ist alles umsonst!“ Als Arnold Schwarzenegger, von dem dieser Ausspruch stammt, am Beginn seiner Karriere war, stellte er sich im Posingslip an einen bekannten Platz in München. Zuvor hatte er einen Freund gebeten, einige Journalisten anzurufen: „Geht mal dorthin, da steht einer, der Mister Universe werden will, im Posingslip.“ Am nächsten Tag war er in den Zeitungen. Schwarzenegger ist einer der bekanntesten Menschen der Welt. Seine ungewöhnliche Karriere – als Bodybuilder, Filmschauspieler, Politiker und Unternehmer – verdankt er seinem Verkaufstalent. Es gab nach ihm viele Bodybuilder, die mehr Muskeln hatten als er, aber keiner von ihnen konnte sich so gut verkaufen. Deshalb kennen Sie deren Namen nicht, aber seinen.

Manche Menschen glauben, es genüge „gut“ zu sein, denn Qualität setze sich irgendwann von alleine durch. Das ist naiv. Wenn das so wäre, hätte Mercedes schon vor Jahrzehnten die Werbung und PR einstellen können. Selbst Menschen, die wir normalerweise nicht mit Selbstvermarktung in Verbindung bringen, verdanken ihren Ruhm vor allem der Fähigkeit, aus sich selbst eine Marke zu machen. Dabei behaupten viele der Berühmten, der Ruhm sei ihnen lästig – Albert Einstein, der so populär war wie kein Wissenschaftler vor ihm, fragte sich sogar in einem seiner Verse, ob seine Bewunderer „Kälber“ seien:

„Wo ich geh und wo ich steh

Stets ein Bild von mir ich seh,

Auf dem Schreibtisch, an der Wand

Um den Hals am schwarzen Band.

Männlein, Weiblein wundersam

Holen sich ein Autogramm,

Jeder muss ein Kritzel haben

von dem hochgelehrten Knaben.

Manchmal frag in all dem Glück

Ich im lichten Augenblick:

Bist verrückt du etwa selber

Oder sind die anderen Kälber?“

Doch niemand wird zufällig oder gegen seinen Willen berühmt, zumindest nicht auf Dauer. In meinem Buch „Die Kunst, berühmt zu werden“ zeige ich am Beispiel von zwölf Persönlichkeiten, dass alle zwar hin und wieder über lästige Begleiterscheinungen des Ruhmes klagten, aber dass eben auch alle bewusst danach gestrebt haben und viel Zeit und Energie für die Selbstvermarktung aufwendeten.

Auch Einstein ist ein Beispiel dafür. Berühmt wurde das Foto, auf dem er die Zunge herausstreckt. Es entstand an seinem 72. Geburtstag und zeigt den vollendeten Wandel vom Menschen zur Metapher. Einstein selbst machte einen Ausschnitt aus dem Foto, ließ das Bild abziehen und schickte es an Freunde und Kollegen. Das Bild wurde sein ultimatives Markenzeichen und ein Pop-Motiv für Poster, Buttons und T-Shirts.

Einstein kultivierte das Image des Wissenschaftlers, der wenig Wert auf Kleidung legte, Kragen und Krawatte hasste, sich die langen Haare nicht kämmte, keine Socken trug und die Hemden offen ließ. Nach seinem Beruf gefragt, antwortete er: „Fotomodell“. Gerüchten zufolge soll er, sobald sich Fotografen näherten, sein Haar mit beiden Händen aufgewühlt und so den typischen Einstein-Look des exzentrischen Professors aufgefrischt haben.

Einstein wurde bestimmt nicht wegen der Relativitätstheorie berühmt, denn die verstanden 99,99% der Menschen, die ihm zujubelten, nicht. Stephen Hawking war der bekannteste Wissenschaftler in den vergangenen Jahrzehnten, obwohl er nie den Nobelpreis bekam. Er bekannte selbst: „Für meine Kollegen bin ich nur ein Physiker unter vielen anderen, doch für die Öffentlichkeit wurde ich womöglich zum bekanntesten Wissenschaftler der Welt.“ Er verstand sich wie kein anderer Wissenschaftler seit Einstein auf die Kunst der Selbstvermarktung. Ihm genügte es nicht – so wie den meisten Wissenschaftlern – Fachbeiträge zu schreiben, die nur für Insider interessant und verständlich sind, und Vorträge auf Fachkongressen zu halten.

Er machte es gegenüber dem Verlag zur Bedingung, dass sein Buch in jeder Flughafenbuchhandlung erhältlich sei: „Wenn ich schon die Zeit und Mühe auf mich nahm, ein Buch zu schreiben, sollte es auch so viele Menschen wie möglich erreichen.“ Schon das ist eine ungewöhnliche Einstellung für einen theoretischen Physiker. Tatsächlich war sein Buch „A Brief History of Time“ 147 Wochen auf der Bestsellerliste der „New York Times“ und mit einem neuen Rekord von 237 Wochen auf der Bestsellerliste der Londoner „Times“. Es wurde in vierzig Sprachen übersetzt und zehn Millionen Mal verkauft. Wie viele Menschen das Buch verstanden haben, ist eine andere Frage.

Hawking erklärt: „Zweifellos hat die Human-Interest-Geschichte, wie es mir gelang, trotz meiner Behinderung theoretischer Physiker zu werden, zum Verkaufserfolg beigetragen.“ Als Marketinggenie hat er sich selbst zu einer Marke aufgebaut und den Nachteil seiner Behinderung in ein unverwechselbares Markenmerkmal verwandelt. Die künstliche Computerstimme, mit der er kommunizierte, ließ er sogar patentieren.

In einer Zeit, in der wir durch Medien und das Internet mit Informationen überflutet werden, genügt es weniger denn je, gut zu sein. Wer Glaubenssätze wie „Qualität setzt sich von alleine durch“ oder „sei kein Angeber“ verinnerlicht hat, muss akzeptieren, wie andere an ihm vorbeiziehen, die es verstehen, „die Marke Ich“ zu kreieren.

Der Beitrag erschien zuerst in der WELTWOCHE. Zu dem Thema ist soeben das Buch von Rainer Zitelmann erschienen: „Die Kunst, berühmt zu werden. Genies der Selbstvermarktung von Albert Einstein bis Kim Kardashian.“

Zur Webseite: Die Kunst berühmt zu werden

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