In kurzer Zeit haben die Franzosen eine Milliarde Euro für den Wiederaufbau von Notre-Dame gespendet. Der Großteil des Geldes kam von Milliardären und großen Unternehmen. Das hat in Frankreich zu heftigen Diskussionen geführt. Der Sozialneid auf Reiche ist dort laut einer internationalen Studie am stärksten ausgeprägt.
Die Gelbwesten-Anführerin Ingrid Levavasseur kritisierte als Reaktion auf die Spenden von Milliardären „die Tatenlosigkeit der großen Konzerne angesichts der sozialen Not, während sie gleichzeitig in der Lage sind innerhalb einer Nacht irrsinnige Summen für Notre-Dame zu organisieren“.Und Philippe Martinez, der Vorsitzende von Frankreichs mitgliederstärkster Gewerkschaft CGT (die früher eng mit der Kommunistischen Partei verbunden war) meinte:
„Kapieren Sie jetzt, dass es Milliardäre gibt, die viel, viel Geld haben und mit einem Klick 200 Millionen, 100 Millionen auf den Tisch legen. Das zeigt die Ungleichheit in diesem Land, gegen die wir regelmäßig demonstrieren.“
Einer der Kritisierten, der Milliardär Arnault entgegnete, dies sei Ausdruck von „Kleinkariertheit und Neid im Zeitgeist“. Arnault ist laut der Forbes-Liste mit einem Vermögen von 76 Milliarden Euro der reichste Mann Europas und der viertreichste Mann der Welt. Er war einer der ersten, der eine große Spende – 200 Mio. Euro – zugesagt hatte.
„Es ist bestürzend, dass man in Frankreich kritisiert wird, wenn man sich (für das Gemeinwohl) einsetzt“, sagte er unter dem Applaus von hunderten Aktionären bei der Hauptversammlung seines Unternehmens.
Franzosen sind besonders sozialneidisch
Im französischen Frühstücksfernsehen beschimpfte ein Gast die Spender als „reiche Mistkerle“ und sogar die bürgerliche „Le Monde“ meint: „Zu viel ist zu viel.“ Heute bringt Le Monde indes ein ausführliches Interview mit mir zu dem Thema: Les riches, ces mal-aimés
Diese Reaktionen waren zu erwarten. Im vergangenen Jahr haben die Institute Allensbach und Ipsos Mori für meine Studie „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ erstmals eine internationale Befragung zur Einstellung gegenüber reichen Menschen durchgeführt. Eine der Fragen zielte auf die Motive reicher Spender:
„Einige Reiche spenden ja sehr viel Geld für wohltätige Zwecke. Was glauben Sie, warum die meisten Reichen das vor allem tun? Spenden sie vor allem, weil sie anderen etwas Gutes tun wollen, oder vor allem, weil sie für sich selbst etwas Gutes tun wollen, z.B. dadurch, dass sie Steuern sparen oder ihren Ruf verbessern?“
In Frankreich meinen nur 12 Prozent der Befragten, dass reiche Spender vor allem anderen etwas Gutes tun wollten, doppelt so viele sagen, sie wollten vor allem sich selbst etwas Gutes tun. Von denjenigen Franzosen, die laut der Umfrage besonders sozialneidisch sind, meinen sogar 44 Prozent, die Reichen verfolgten mit ihren Spenden vor allem egoistische Motive, und nur acht Prozent sahen überwiegend altruistische Motive.
In Großbritannien ist der Anteil der Befragten in der Gesamtbevölkerung, die bei Reichen altruistische Motive im Vordergrund sehen, mit 24 Prozent immerhin doppelt so hoch wie in Frankreich.
Besonders ausgeprägt ist die kritische Sicht zu reichen Spendern in Deutschland, wo 51 Prozent der Befragten den Reichen unterstellen, sie spendeten vor allem aus egoistischen Motiven – in Großbritannien sehen das nur 15 Prozent so.
Die Mehrheit der Franzosen, Amerikaner und Briten gaben – wie zu erwarten – an, reiche Spender wollten sowohl sich selbst wie auch anderen etwas Gutes tun.
Die internationale Befragung, bei der den Befragten Dutzende Fragen vorgelegt wurden, belegte, dass die Franzosen eine besonders kritische Einstellung zu reichen Menschen haben. Auf Basis der Befragung wurde ein Sozialneidkoeffizient berechnet, mit dem gemessen werden kann, wie stark der Sozialneid gegen Reiche in einem Land ausgeprägt ist. Danach ist der Sozialneid in Frankreich mit 1,26 am größten, gefolgt von Deutschland mit 0,97. In den USA (0,42) und Großbritannien (0,37) ist er deutlich geringer.
Vor diesem Hintergrund sind die negativen Reaktionen vieler Franzosen auf die Spenden von Milliardären nicht verwunderlich.
Die Medienberichterstattung zu Spenden von Reichen habe ich in meinem jüngst erschienenen Buch „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ untersucht.
Hier ein Auszug aus diesem Buch:
„Giving Pledge“: Die Spenden der Superreichen
Es gibt nicht viele Anlässe, bei denen positiv über Reiche berichtet wird. Ein solcher Anlass könnte „Giving Pledge“ (deutsch: das Versprechen, etwas herzugeben) sein, eine im Juni 2010 ins Leben gerufene Initiative der beiden Milliardäre Bill Gates und Warren Buffett. Sie soll wohlhabende Menschen zum Spenden ihres Reichtums animieren. Im August 2010 versprachen zunächst 40 amerikanische Milliardäre, nach Möglichkeit mindestens die Hälfte ihres Vermögens für wohltätige Zwecke zu spenden, darunter unter anderem New York Citys damaliger Bürgermeister Michael Bloomberg und George Lucas, der Schöpfer der Star-Wars- und Indiana-Jones-Filmreihen. Später kamen über 100 weitere hinzu, auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.
Wie fällt die Berichterstattung zu Superreichen bei diesem Thema aus? In Kapitel 10 haben wir gesehen, dass die Mehrheit der Bevölkerung Reichen auch beim Spenden eigennützige Motive unterstellt, also beispielsweise Steuern zu sparen oder ihren Ruf zu verbessern. Die Hälfte der Befragten meinte, Reiche wollten mit ihren Spenden vor allem sich selbst etwas Gutes tun, und nur 14 Prozent glaubten, die Reichen wollten mit ihren Spenden in erster Linie anderen helfen.
mct hat 16 Artikel zu dieser Initiative untersucht. 37 Spendermotive wurden in der Berichterstattung genannt. Sie lassen sich in altruistische und egoistische Motive unterteilen. Altruistisch ist beispielsweise das Motiv „Verringerung von Bildungsarmut“, egoistisch der Wunsch, durch Spenden weniger Steuern zu zahlen.
Unter den 37 notierten Spendermotiven sind 13 altruistische Motive, 16 egoistische und sechs neutrale (z.B. dass es in den USA „zum guten Ton“ gehöre zu spenden). Insgesamt fällt die Bewertung von Giving Pledge laut der Analyse von mct eher positiv aus. Drei negativen und zwei ambivalenten Beiträgen stehen zehn eher positive gegenüber. Es fällt jedoch auf, dass sehr wenige, insgesamt nur drei Artikel eindeutig positiv sind, da sich neben positiven Aspekten zahlreiche kritische Anmerkungen finden. Folgende Kritikpunkte an der Aktion finden sich in den Artikeln:
Erstens: Eine „Erfolgskontrolle“ gebe es nicht. Viele der Unterzeichner hätten sich schon früher als Philanthropen betätigt, „so dass unklar ist, inwieweit durch die Initiative mehr Spendengeld bewegt wird“.
Zweitens: In manchen Artikeln wurde das Lob für die Spenden durch Kritik an den Spendern relativiert. In der „Süddeutschen Zeitung“ hieß es beispielsweise über den Initiator der Aktion, Warren Buffett: „Seine Besessenheit mit Aktien und die Weigerung, mit der Familie zu kommunizieren, ruinierten schließlich seine Ehe.“ Die FAZ kritisierte in einem Artikel unter der Überschrift „Die großen Stifter“, dass Warren Buffett mit seiner Firma in großem Maße derivative Finanzinstrumente genutzt habe und dass er „trotz seiner scheinbar überragenden Analyse bei der Auswahl unterbewerteter Unternehmen auch ein großer Zocker ist“.
Drittens: Spenden werden als undemokratisch bezeichnet, da einzelne Milliardäre und nicht der Staat entschieden, was gefördert werde. Der „Spiegel“ zitierte den deutschen Reeder Peter Krämer, der sich für eine Erhöhung der Steuern für Reiche einsetzt: „Ich will einfach nicht, dass eine Handvoll Milliardäre bestimmt, ob nun Fischgründe in Alaska, Golfresorts in Florida oder der Kampf gegen Aids finanziert werden.“ Denn man gebe mit einem solchen Modell im Grunde den Gedanken eines Zentralstaates auf, „der doch demokratisch legitimiert ist und wissen sollte, wofür das Geld gerade am dringendsten gebraucht wird“. In der „Süddeutschen Zeitung“ hieß es unter der Überschrift „Wohltaten mit Haken“: „Es gibt keine Kontrolle über Ziele, Mittel und Methoden […] Selbst wenn es keine moralischen oder praktischen Argumente gegen die Vernunft der Risikophilanthropie gibt, so ist sie doch ein weiterer Schritt in eine politische Parallelwelt ohne Kontrollmechanismen.“ Der „Stern“ fragte kritisch zu der Giving Pledge-Initiative: „Ist das noch großherzig? Oder droht die Diktatur der Altruisten?“ In Deutschland herrsche „ein tiefes Misstrauen gegenüber den Motiven, warum Reiche überhaupt Geld verschenken sollten“. Der Artikel endete mit einer Mahnung des Princeton-Professors Peter Singer: „Bei allem Applaus für Gates und Buffett sollten wir uns auch um ein System sorgen, welches das Schicksal vieler Hunderter Millionen von der Entscheidung zweier oder dreier Bürger abhängig macht.“
Viertens: Die Spendenaktion werde auch dadurch motiviert, „das angekratzte Bild des Kapitalismus aufzupolieren“, wie die FAZ im August 2010 anmerkte. Der Spendenaufruf sei „kein reiner Appell zur Selbstlosigkeit“, so die „Süddeutsche Zeitung“: „Die Initiative hilft auch den Superreichen selbst. Denn sie bessert das Image einer Gesellschaftsschicht auf, die sich in den vergangenen Jahren immer stärker vom Rest des Landes [den USA] abgekoppelt hat und deshalb ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist.“ Der „Volkszorn auf die Reichen“ habe sich in den vergangenen Jahren in den Vereinigten Staaten verstärkt: „So gesehen kommt die Spendeninitiative genau zur rechten Zeit. Sie beweist ein soziales Verantwortungsgefühl, das das Land so schmerzlich vermisst hat. Die Initiative wurde bewusst so geplant, dass sie eine große Öffentlichkeitswirkung entfaltet.“
Fünftens: Die Spenden belegten, so die Kritiker, dass in zu wenigen
Händen zu viel Reichtum konzentriert sei. „Die Zeit“ zitierte den ehemaligen US-Arbeitsminister und Politikprofessor Robert Reich, die Spendenaktion erinnere daran, dass überhaupt „so viel Geld in so wenigen Händen konzentriert ist“. Dies sei „ein weiterer Beweis dafür, dass wir wieder im 19. Jahrhundert angekommen sind, wo Räuberbarone die Wirtschaft beherrschten und nahezu jeder andere verlor“.
Es gab jedoch auch Gegenstimmen. In der FAZ äußerten zwei Autoren unter der Überschrift „Gehen den Stiftungen die Stifter aus?“ die Befürchtung, „dass sich potentielle Stifter abwenden, weil ihre Motive und Legitimation misstrauisch hinterfragt werden“. Viele Menschen setzten inzwischen Stiftungen mit Steuersparmodellen gleich. „Den Stiftungen gegenüber ist das unfair – was allein schon schlimm genug ist. Doch für die Gesellschaft wäre es eine Tragödie, wenn sich potentielle Geber vergrätzt abwendeten, weil ihnen und ihren Gaben mit Argwohn begegnet wird, anstatt Dank und Anerkennung zu erfahren.“ In einem anderen Gastbeitrag für die FAZ kritisierten die Verfasser, dass die Initiative „Giving Pledge“ „hierzulande überwiegend Widerspruch und Bedenken gegen ein auf Wirkung bedachtes Handeln von Stiftungen oder von Stiftern“ hervorgerufen habe.
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